Man sieht immer schon aus der Ferne ein großes, gewaltiges Kompliment einherschwimmen, aber alle Schollen laufen gegen die Eisbrecher auf und fallen so in den Strom zurück. – Auch diese Eisbrecher können von sehr verschiedener Art und Beschaffenheit sein, sie können in einer Verbeugung, einem Lächeln, in einem Gegenkomplimente bestehen, oder auch darin, daß man das Kompliment des andern gar nicht zu verstehen scheint; diese letztern sind von der allerzerstörendsten Gattung.
Die Präsidentin war eine Frau von mittlern Jahren, mittler Statur, mittelmäßiger Schönheit, mittelmäßigem Verstande; – kurz, man sieht sie gehörte zu den mittelmäßigen Leuten, deren Zahl in der Weit die größte ist, ob sich gleich keiner selbst unter diese Rubrik einschreiben will.
Wir schwatzten zusammen bis zum Mittagsessen, und ich war heute mit mir selber ganz außerordentlich zufrieden. Mein Witz ward zwar in einigen kleinen Vorpostengefechten geschlagen, aber doch ward keine von meinen Batterien zum Schweigen gebracht, noch weniger verlor ich ein Haupttreffen. Ich schien der Präsidentin spaßhaft genug vorzukommen, und wir wurden endlich zum Essen abgerufen.
Man sagte mir, daß die Familie alle Tage in einem bestimmten Saale zusammen äße; die Familie bestand aus dem Präsidenten, seiner Frau, einer Tochter und seinen zweien Söhnen! man tat mir die Ehre an, mich von diesem Tage auch dazuzurechnen, so wie die Erzieherin der kleinen Fräulein von Blumbach.
Die Söhne wurden an meine Seite gesetzt, und ich sahe wechselsweise bald den einen, bald den andern an, um das Genie herauszufinden, aber ich konnte aus mir selber nicht klug werden, als mir beide wie ganz gewöhnliche Kinder vorkamen. Aus dem, was sie zuweilen sagten, schien sogar eine Art von Dummheit hervorzuleuchten, von der aber weder Papa noch Mama Notiz nahmen.
Die Tochter schien ein ganz artiges, niedliches, kleines Mädchen zu sein; da sie mit meinen Amtsgeschäften nichts zu tun hatte, bekümmerte ich mich wenig um sie. Desto öfter aber und ganz unwillkürlich fielen meine Augen auf ihre Gouvernante. Ich hatte mir diese unter dem Charakter einer gewöhnlichen französischen Mamsell gedacht, sie war mir daher in meiner Vorstellung immer äußerst uninteressant vorgekommen: ich fand aber jetzt, daß sie eine Deutsche sei und daß ihre Augen so wie ihr Gesicht außerordentlich viel Anziehendes hätten. Mir fielen hundert Stellen vom wunderbaren Zuge der Sympathie ein, die ich bis jetzt immer für baren Unsinn erklärt hatte. Ihr schönes blaues Auge ruhte zuweilen auf mir und ich konnte ihren Blick nicht ein einzigmal aushalten, mir war jedesmal, als wenn mir die Sonne ins Gesicht schiene. Ihre blonden Haare fielen in ungekünstelten Locken auf den weißen Nacken hinab, in ihrem Wesen herrschte eine unbeschreibliche Sanftheit, die fast ans Melancholische grenzte. Ein Wort, das sie sagte, klang wie Musik in meinen Ohren.
Meine Frau hat mir über die Schulter gesehn, und mir jetzt eben lächelnd die Feder aus der Hand genommen; ich muß daher mit meiner Beschreibung aufhören, ich hoffe überdies, daß jeder Leser sich die Person hinzudenken wird; kann er es aber nicht, so darf er nur irgendeine von den weitläuftigen Beschreibungen in den neuesten Romanen nachschlagen.
Ich bemerkte, daß noch ein Gedeck übrig sei, und war auf die Person sehr neugierig, die noch erscheinen sollte. Endlich erschien ein sehr wohlgewachsener, junger Mensch, den die Frau vom Hause als Herr von Bärenklau begrüßte. Er setzte sich auf den leeren Stuhl neben der liebenswürdigen Erzieherin, und ich war bald mit mir selber einig, daß er, trotz seinem einnehmenden Wesen, diese Stelle nicht verdiene.
Ich glaubte zu sehen, daß seine feurigen Augen oft den sanften Blicken des Mädchens begegneten und ich hatte Gelegenheit, eine Menge von Bemerkungen zu machen, von denen die vorzüglichste war, daß ich gegen den Herrn von Bärenklau ein sehr linksches und ungeschicktes Benehmen habe. Diese Bemerkung tat meiner Eitelkeit außerordentlich wehe, ich glaubte daher am Ende, das gewandte Wesen des Herrn von Bärenklau sei nur ein Zeichen, daß er kein so gründlicher Philosoph sei, als ich.
Als wir gegessen hatten, ging ich mit meinen beiden hoffnungsvollen Zöglingen auf mein Zimmer. Ich fand nun bald, worin das Genie des Altesten bestand: er hatte nämlich ein ganz außerordentliches Gedächtnis für Vokabeln, Namen und Phrasen, bei denen er sich aber gar nichts dachte. Er sagte mir den größten Teil der lateinischen Grammatik mit einer Fertigkeit her, die mich in Erstaunen würde gesetzt haben, wenn ich nicht kurz vorher ein Kunstpferd gesehn, dessen viele und wunderbaren Künste auch auf das Gedächtnis berechnet waren. Ich fand bald, daß der Jüngste, ungeachtet er nur wenig wußte, weit mehr Verstand als sein Bruder hatte, den man durch unzeitiges Lob zu einem eingebildeten phlegmatischen Narren gemacht hatte.
Wozu denn die vielen Charakterschilderungen? höre ich verdrüßlich meine Leser ausrufen. – Am Ende ist alles das unnütz und hat weiter gar keinen Bezug auf Ihre Geschichte, Herr Verfasser, die an sich schon langweilig genug ist. –
Nun, haben Sie nur Geduld. – Sie können jetzt weder von dem einen, noch dem andern urteilen, denn, meine teuern Leser, Sie stehn immer noch in der Ankündigung oder dem ersten Akte.
So hätten Sie das so einrichten sollen, daß sich die Charaktere Ihrer Personen in Handlungen zeigen. Dadurch hätte Ihr Buch an Langeweile verloren und Ihre Personen an Interesse gewonnen.
Wenn nun diese Personen aber damals gerade gar nichts taten, oder wenigstens nichts vornahmen, was ich bemerkte? – Ich will doch lieber etwas langweilig werden, als Sie mit Lügen amüsieren.
So hätten Sie Ihre Geschichte gar nicht schreiben sollen, denn so wie sie bis jetzt erscheint, verdient sie es durchaus nicht. – Es ist eine Alltagsgeschichte von der alltäglichsten Art.
Habe ich denn aber das nicht gleich in meinem ersten Warnungs-Kapitel gesagt? –
Doch, ich wende mich wieder zu meiner Erzählung.
Sechstes Kapitel
Ich werde verliebt
»Gottlob!« hör ich die ungeduldigen Leserinnen rufen, indem sie dies Kapitel aufschlagen, »der langweilige Mensch fängt nun vielleicht an interessanter zu werden!« – Ich muß aber bekennen, daß bei so vielen Schriftstellern nichts langweiliger und ermüdender ist, als die detaillierten Beschreibungen des verliebten Approchierens: wie sie vom Blick zum Händedruck, vom Händedruck zum Kusse und von diesem endlich weiter übergehen; dann sich wieder mit der Vielgeliebten entzweien, einen eifersüchtigen Zweispruch halten, und sich nach vielen Debatten wieder zu einer Aussöhnung bequemen, die der Leser schon über zwei ganze Bogen voraussahe. Wer diese Offizialberichte von dem Kriege der Liebe gern liest, der überschlage dieses Kapitel, denn ich habe mir vorgenommen, nur sehr im allgemeinen über meine Liebe zu sprechen.
Der Leser wird es gewiß schon erraten haben, daß ich in niemand anders, als die schöne Gouvernante verliebt wurde. Meine Augen trafen immer öfter und öfter die ihrigen, mit jedem Tage entdeckte ich neue Vollkommenheiten an ihr, mit jedem Tage entwickelte sich ihre schöne Seele reizender. – Ich bemerkte sehr bald, daß ihr Blick dem meinigen häufiger begegnete, daß sie rot ward, wenn mein Auge auf ihrer Gestalt verweilte, daß sie oft meine Gesellschaft suchte, und doch im Gespräche mit mir in eine Art von Verlegenheit geriet. Ich schloß aber aus allen diesen Bemerkungen bei weitem nicht so viel, als ich mit vollem Rechte hätte schließen können: ich hielt alles mehr für Zufälligkeit und wagte es gar nicht, diese Zeichen auf eine günstige Art für mich auszulegen. – In mir selber ging eine wunderbare Veränderung vor. – Meine Lehrstunden, die ich bis jetzt mit großem Eifer gehalten hatte, fingen an mir Langeweile zu machen; meine Zöglinge erschienen mir um ein großes Teil einfältiger; alle meine enthusiastischen Entwürfe kamen mir albern und abgeschmackt vor. Dagegen stieg die Waagschale auf der andern Seite um vieles mehr, als sie auf der einen sank: es kam mir vor, als wenn meine Seele eine große Revolution erlitten hätte, es ging ein Licht in mir auf, das alles erleuchtete, was bis dahin dunkel und verworren in mir gelegen hatte. Es hatte sich mir plötzlich ein helles kristallenes Glas vor die Augen geschoben und ich sahe itzt die Welt weit schöner und reizender als ehedem.
Die Liebe ist bei den meisten Menschen die erste bewegende Kraft, die ihre Fähigkeiten entwickelt, und dem trägen, einförmigen Gange des gewöhnlichen Lebens einen neuen, raschen Schwung gibt.
1 comment