»Es wird doch nichts daraus«, sagte sie bitterlich weinend, »ich habe keine Sonntagsschuhe mehr! Schon gestern habe
ich diese groben hier anziehen müssen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß keine Schuhe aufzubringen!« Sali stand ratlos
und verblüfft. »Keine Schuhe!« sagte er, »da mußt du halt in diesen kommen!« – »Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen!«
– »Nun, so müssen wir welche kaufen?« – »Wo, mit was?« – »Ei, in Seldwyl da gibt es Schuhläden genug! Geld werde ich in minder
als zwei Stunden haben.« – »Aber ich kann doch nicht mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch
noch Schuhe zu kaufen!« – »Es muß! und ich will die Schuhe kaufen und morgen mitbringen!« – »O du Närrchen, sie werden ja
nicht passen, die du kaufst!« – »So gib mir einen alten Schuh mit, oder halt, noch besser, ich will dir das Maß nehmen, das
wird doch kein Hexenwerk sein!« – »Das Maßnehmen? Wahrhaftig, daran hab ich nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnürchen
suchen!« Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurück und streifte den Schuh vom Fuße, der noch von der
gestrigen Reise her mit einem weißen Strumpfe bekleidet war. Sali kniete nieder und nahm, so gut er es verstand, das Maß,
indem er den zierlichen Fuß der Länge und Breite nach umspannte mit dem Schnürchen und sorgfältig Knoten in dasselbe knüpfte.
»Du Schuhmacher!« sagte Vrenchen und lachte errötend und freundschaftlich zu ihm nieder. Sali wurde aber auch rot und hielt
den Fuß fest in seinen Händen, länger als nötig war, so daß Vrenchen ihn, noch tiefer errötend, zurückzog, den verwirrten
Sali aber noch einmal stürmisch umhalste und küßte, dann aber fortschickte.
Sobald er in der Stadt war, trug er seine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs oder sieben Gulden dafür gab; für die silberne
Kette bekam er auch einige Gulden, und er dünkte sich nun reich genug, denn er hatte, seit er groß war, nie so viel Geld besessen
auf einmal. Wenn nur erst der Tag vorüber und der Sonntag angebrochen wäre, um das Glück damit zu erkaufen, das er sich von
dem Tage versprach, dachte er; denn wenn das Übermorgen auch um so dunkler und unbekannter hereinragte, so gewann die ersehnte
Lustbarkeit von morgen nur einen seltsamem erhöhten Glanz und Schein. Indessen brachte er die Zeit noch leidlich hin, indem
er ein Paar Schuhe für Vrenchen suchte, und dies war ihm das vergnügteste Geschäft, das er je betrieben. Er ging von einem
Schuhmacher zum andern, ließ sich alle Weiberschuhe zeigen, die vorhanden waren, und endlich handelte er ein leichtes und
feines Paar ein, so hübsch, wie sie Vrenchen noch nie getragen. Er verbarg die Schuhe unter seiner Weste und tat sie die übrige
Zeit des Tages nicht mehr von sich; er nahm sie sogar mit ins Bett und legte sie unter das Kopfkissen. Da er das Mädchen heute
früh noch gesehen und morgen wieder sehen sollte, so schlief er fest und ruhig, war aber in aller Frühe munter und begann
seinen dürftigen Sonntagsstaat zurechtzumachen und auszuputzen, so gut es gelingen wollte. Es fiel seiner Mutter auf und sie
fragte verwundert, was er vorhabe, da er sich schon lange nicht mehr so sorglich angezogen. Er wolle einmal über Land gehen
und sich ein wenig umtun, erwiderte er, er werde sonst krank in diesem Hause. »Das ist mir die Zeit her ein merkwürdiges Leben«,
murrte der Vater, »und ein Herumschleichen!« – »Laß ihn nur gehen«, sagte aber die Mutter, »es tut ihm vielleicht gut, es
ist ja ein Elend, wie er aussieht!« – »Hast du Geld zum Spazierengehen? woher hast du es?« sagte der Alte. »Ich brauche keines!«
sagte Sali. »Da hast du einen Gulden!« versetzte der Alte und warf ihm denselben hin, »du kannst im Dorf ins Wirtshaus gehen
und ihn dort verzehren, damit sie nicht glauben, wir seien hier so übel dran.« – »Ich will nicht ins Dorf und brauche den
Gulden nicht, behaltet ihn nur!« – »So hast du ihn gehabt, es wäre schad, wenn du ihn haben müßtest, du Starrkopf!« rief Manz
und schob seinen Gulden wieder in die Tasche. Seine Frau aber, welche nicht wußte, warum sie heute ihres Sohnes wegen so wehmütig
und gerührt war, brachte ihm ein großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rotem Rande, das sie nur selten getragen und er schon
früher gern gehabt hätte. Er schlang es um den Hals und ließ die langen Zipfel fliegen; auch stellte er zum erstenmal den
Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und männlich in die Höhe, bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung
ländlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als
er die Stube verließ, drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben, und auf der Straße sah er sich
noch einmal nach dem Hause um. »Ich glaube am Ende«, sagte Manz, »der Bursche streicht irgendeinem Weibsbild nach; das hätten
wir gerade noch nötig!« Die Frau sagte: »O wollte Gott! daß er vielleicht ein Glück machte! das täte dem armen Buben gut!«
– »Richtig!« sagte der Mann, »das fehlt nicht! das wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur erst an eine solche Maultasche
zu geraten das Unglück hat! das täte dem armen Bübchen gut! natürlich!«
Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; aber unterweges ward er andern Sinnes
und ging gradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb elf. Was kümmern uns
die Leute! dachte er. Niemand hilft uns und ich bin ehrlich und fürchte niemand! So trat er unerwartet in Vrenchens Stube
und ebenso unerwartet fand er es schon vollkommen angekleidet und geschmückt dasitzen und der Zeit harren, wo es gehen könne,
nur die Schuhe fehlten ihm noch. Aber Sali stand mit offenem Munde still in der Mitte der Stube, als er das Mädchen erblickte,
so schön sah es aus. Es hatte nur ein einfaches Kleid an von blaugefärbter Leinwand, aber dasselbe war frisch und sauber und
saß ihm sehr gut um den schlanken Leib. Darüber trug es ein schneeweißes Musselinhalstuch und dies war der ganze Anzug. Das
braune gekräuselte Haar war sehr wohl geordnet und die sonst so wilden Löckchen lagen nun fein und lieblich um den Kopf, da
Vrenchen seit vielen Wochen fast nicht aus dem Hause gekommen, so war seine Farbe zarter und durchsichtiger geworden, so wie
auch vom Kummer; aber in diese Durchsichtigkeit goß jetzt die Liebe und die Freude ein Rot um das andere, und an der Brust
trug es einen schönen Blumenstrauß von Rosmarin, Rosen und prächtigen Astern. Es saß am offenen Fenster und atmete still und
hold die frisch durchsonnte Morgenluft; wie es aber Sali erscheinen sah, streckte es ihm beide hübsche Arme entgegen, welche
vom Ellbogen an bloß waren, und rief. »Wie recht hast du, daß du schon jetzt und hierher kommst! Aber hast du mir Schuhe gebracht?
Gewiß? Nun steh ich nicht auf, bis ich sie anhabe!« Er zog die ersehnten aus der Tasche und gab sie dem begierigen schönen
Mädchen; es schleuderte die alten von sich, schlüpfte in die neuen und sie paßten sehr gut. Erst jetzt erhob es sich vom Stuhl,
wiegte sich in den neuen Schuhen und ging eifrig einigemal auf und nieder. Es zog das lange blaue Kleid etwas zurück und beschaute
wohlgefällig die roten wollenen Schleifen, welche die Schuhe zierten, während Sali unaufhörlich die feine reizende Gestalt
betrachtete, welche da in lieblicher Aufregung vor ihm sich regte und freute. »Du beschaust meinen Strauß?« sagte Vrenchen,
»hab ich nicht einen schönen zusammengebracht? Du mußt wissen, dies sind die letzten Blumen, die ich noch aufgefunden in dieser
Wüstenei. Hier war noch ein Röschen, dort eine Aster, und wie sie nun gebunden sind, würde man es ihnen nicht ansehen, daß
sie aus einem Untergange zusammengesucht sind! Nun ist es aber Zeit, daß ich fortkomme, nicht ein Blümchen mehr im Garten
und das Haus auch leer!« Sali sah sich um und bemerkte erst jetzt, daß alle Fahrhabe, die noch dagewesen, weggebracht war.
»Du armes Vreeli!« sagte er, »haben sie dir schon alles genommen?« – »Gestern«, erwiderte es, »haben sie's weggeholt, was
sich von der Stelle bewegen ließ, und mir kaum mehr mein Bett gelassen.
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