»Da steht ihr«, sagte er, »wißt nicht wo hinaus und hättet euch gern. Ich rate euch, nehmt euch, wie ihr seid,
und säumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften,
keine Ehre, kein Bett, nichts als euern guten Willen! Es ist gar nicht so übel bei uns, gesunde Luft und genug zu essen, wenn
man tätig ist; die grünen Wälder sind unser Haus, wo wir uns liebhaben, wie es uns gefällt, und im Winter machen wir uns die
wärmsten Schlupfwinkel oder kriechen den Bauern ins warme Heu. Also kurz entschlossen, haltet gleich hier Hochzeit und kommt
mit uns, dann seid ihr aller Sorgen los und habt euch für immer und ewiglich, solange es euch gefällt wenigstens; denn alt
werdet ihr bei unserm freien Leben, das könnt ihr glauben! Denkt nicht etwa, daß ich euch nachtragen will, was eure Alten
an mir getan! Nein! es macht mir zwar Vergnügen, euch da angekommen zu sehen, wo ihr seid; allein damit bin ich zufrieden
und werde euch behilflich und dienstfertig sein, wenn ihr mir folgt.« Er sagte das wirklich in einem aufrichtigen und gemütlichen
Tone. »Nun, besinnt euch ein bißchen, aber folget mir, wenn ich euch gut zum Rat bin! Laßt fahren die Welt und nehmet euch
und fraget niemandem was nach! Denkt an das lustige Hochzeitbett im tiefen Wald oder auf einem Heustock, wenn es euch zu kalt
ist!« Damit ging er ins Haus. Vrenchen zitterte in Salis Armen und dieser sagte: »Was meinst du dazu? Mich dünkt, es wäre
nicht übel, die ganze Welt in den Wind zu schlagen und uns dafür zu lieben ohne Hindernis und Schranken!« Er sagte es aber
mehr als einen verzweifelten Scherz denn im Ernst. Vrenchen aber erwiderte ganz treuherzig und küßte ihn: »Nein, dahin möchte
ich nicht gehen, denn da geht es auch nicht nach meinem Sinne zu. Der junge Mensch mit dem Waldhorn und das Mädchen in dem
seidenen Rock gehören auch so zueinander und sollen sehr verliebt gewesen sein. Nun sei letzte Woche die Person ihm zum erstenmal
untreu geworden, was ihm nicht in den Kopf wolle, und deshalb sei er so traurig und schmolle mit ihr und mit den andern, die
ihn auslachen. Sie aber tut eine mutwillige Buße, indem sie allein tanzt und mit niemandem spricht, und lacht ihn auch nur
aus damit. Dem armen Musikanten sieht man es jedoch an, daß er sich noch heute mit ihr versöhnen wird. Wo es aber so hergeht,
möchte ich nicht sein, denn nie möcht ich dir untreu werden, wenn ich auch sonst noch alles ertragen würde, um dich zu besitzen!«
Indessen aber fieberte das arme Vrenchen immer heftiger an Salis Brust; denn schon seit dem Mittag, wo jene Wirtin es für
eine Braut gehalten und es eine solche ohne Widerrede vorgestellt, tobte ihm das Brautwesen im Blute, und je hoffnungsloser
es war, um so wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es ebenso schlimm, da die Reden des Geigers, so wenig er ihnen folgen
mochte, dennoch seinen Kopf verwirrten, und er sagte mit ratlos stockender Stimme: »Komm herein, wir müssen wenigstens noch
was essen und trinken.« Sie gingen in die Gaststube, wo niemand mehr war als die kleine Gesellschaft der Heimatlosen, welche
bereits um einen Tisch saß und eine spärliche Mahlzeit hielt. »Da kommt unser Hochzeitpaar!« rief der Geiger, »jetzt seid
lustig und fröhlich und laßt euch zusammengeben!« Sie wurden an den Tisch genötigt und flüchteten sich vor sich selbst an
denselben hin; sie waren froh, nur für den Augenblick unter Leuten zu sein. Sali bestellte Wein und reichlichere Speisen,
und es begann eine große Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte sich mit der Untreuen versöhnt und das Paar liebkoste sich in
begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar sang und trank und ließ es ebenfalls nicht an Liebesbezeugungen fehlen, und der
Geiger nebst dem buckligen Baßgeiger lärmten ins Blaue hinein. Sali und Vrenchen waren still und hielten sich umschlungen;
auf einmal gebot der Geiger Stille und führte eine spaßhafte Zeremonie auf, welche eine Trauung vorstellen sollte. Sie mußten
sich die Hände geben und die Gesellschaft stand auf und trat der Reihe nach zu ihnen, um sie zu beglückwünschen und in ihrer
Verbrüderung willkommen zu heißen. Sie ließen es geschehen, ohne ein Wort zu sagen, und betrachteten es als einen Spaß, während
es sie doch kalt und heiß durchschauerte.
Die kleine Versammlung wurde jetzt immer lauter und aufgeregter, angefeuert durch den stärkern Wein, bis plötzlich der Geiger
zum Aufbruch mahnte. »Wir haben weit«, rief er, »und Mitternacht ist vorüber! Auf! wir wollen dem Brautpaar das Geleit geben
und ich will vorausgeigen, daß es eine Art hat!« Da die ratlosen Verlassenen nichts Besseres wußten und überhaupt ganz verwirrt
waren, ließen sie abermals geschehen, daß man sie voranstellte und die übrigen zwei Paare einen Zug hinter ihnen formierten,
welchen der Bucklige abschloß mit seiner Baßgeige über der Schulter. Der Schwarze zog voraus und spielte auf seiner Geige
wie besessen den Berg hinunter, und die andern lachten, sangen und sprangen hintendrein. So strich der tolle nächtliche Zug
durch die stillen Felder und durch das Heimatdorf Salis und Vrenchens, dessen Bewohner längst schliefen.
Als sie durch die stillen Gassen kamen und an ihren verlorenen Vaterhäusern vorüber, ergriff sie eine schmerzhaft wilde Laune
und sie tanzten mit den andern um die Wette hinter dem Geiger her, küßten sich, lachten und weinten. Sie tanzten auch den
Hügel hinauf, über welchen der Geiger sie führte, wo die drei Äcker lagen, und oben strich der schwärzliche Kerl die Geige
noch einmal so wild, sprang und hüpfte wie ein Gespenst, und seine Gefährten blieben nicht zurück in der Ausgelassenheit,
so daß es ein wahrer Blocksberg war in der stillen Höhe; selbst der Bucklige sprang keuchend mit seiner Last herum und keines
schien mehr das andere zu sehen. Sali faßte Vrenchen fester in den Arm und zwang es still zu stehen; denn er war zuerst zu
sich gekommen. Er küßte es, damit es schweige, heftig auf den Mund, da es sich ganz vergessen hatte und laut sang. Es verstand
ihn endlich und sie standen still und lauschend, bis ihr tobendes Hochzeitgeleite das Feld entlanggerast war und, ohne sie
zu vermissen, am Ufer des Stromes hinauf sich verzog. Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die Jauchzer der Bursche tönten
aber noch eine gute Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang und still wurde.
»Diesen sind wir entflohen«, sagte Sali, »aber wie entfliehen wir uns selbst? Wie meiden wir uns?«
Vrenchen war nicht imstande zu antworten und lag hochaufatmend an seinem Halse. »Soll ich dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen
und Leute wecken, daß sie dich aufnehmen? Morgen kannst du ja dann deines Weges ziehen und gewiß wird es dir wohl gehen, du
kommst überall fort!«
»Fortkommen, ohne dich!«
»Du mußt mich vergessen!«
»Das werde ich nie! Könntest denn du es tun?«
»Darauf kommt's nicht an, mein Herz!« sagte Sali und streichelte ihm die heißen Wangen, je nachdem es sie leidenschaftlich
an seiner Brust herumwarf, »es handelt sich jetzt nur um dich; du bist noch so ganz jung und es kann dir noch auf allen Wegen
gut gehen!«
»Und dir nicht auch, du alter Mann?«
»Komm!« sagte Sali und zog es fort. Aber sie gingen nur einige Schritte und standen wieder still, um sich bequemer zu umschlingen
und zu herzen. Die Stille der Welt sang und musizierte ihnen durch die Seelen, man hörte nur den Fluß unten sacht und lieblich
rauschen im langsamen Ziehen.
»Wie schön ist es da ringsherum! Hörst du nicht etwas tönen, wie ein schöner Gesang oder ein Geläute?«
»Es ist das Wasser, das rauscht! Sonst ist alles still.«
»Nein, es ist noch etwas anderes, hier, dort hinaus, überall tönt's!«
»Ich glaube, wir hören unser eigenes Blut in unsern Ohren rauschen!«
Sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten oder wirklichen Töne, welche von der großen Stille herrührten oder welche
sie mit den magischen Wirkungen des Mondlichtes verwechselten, welches nah und fern über die weißen Herbstnebel wallte, welche
tief auf den Gründen lagen.
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