Hier sind ein paar Meisterwerke unbekannter Großer und hier unfertige Entwürfe von Männern, die während ihres Lebens berühmt gewesen und deren Namen die scharfsinnigen Akademien der Vergessenheit und – mir überlassen haben. Was denken Sie«, fragte er dann plötzlich brüsk, »von der Madonna Della Pieta?«
»Es ist ja Guidos Original!« antwortete ich mit all der Begeisterung meines Wesens, denn ich hatte ihre Lieblichkeit schon lange staunend betrachtet. »Es ist Guidos Original! Wie ist es möglich, daß Sie es erlangt haben? Sie ist zweifellos das in der Malerei, was die Venus in der Skulptur bedeutet!«
»Ach«, sagte er gedankenvoll, »die Venus – die schöne Venus? – Die Venus von Medici? Mit dem kleinen Kopf und dem goldenen Haar? Ein Teil des linken Armes« (hier senkte er seine Stimme so, daß ich ihn nur mit Mühe verstehen konnte) »und der ganze rechte Arm sind nachträglich ersetzt worden, und in der Koketterie jenes rechten Armes liegt für mein Empfinden die Quintessenz aller Affektation.
Geben Sie mir den Canova! Auch der Apollo ist eine Kopie – zweifellos –, und ich blinder Tor kann nichts von der vielgerühmten Offenbarung in dem Apollo verspüren! Ich muß – bedauern Sie mich – den Antinous vorziehen. Sagte nicht Sokrates, daß der Bildhauer dies Bild in dem Marmorblock gefunden? So wäre also Michel Angelo nicht der erste mit seinem: ›Non ha l’ottimo artista alcun concetto Che un marmo solo in se non circonscriva.‹ «
Man hat sehr oft oder könnte sehr oft bemerkt haben, daß das Benehmen eines bedeutenden Menschen sich in jedem Augenblick von dem Benehmen eines Alltagsmenschen unterscheidet, ohne daß man genau zu erklären vermag, worin der Unterschied eigentlich besteht.
Das fühlte ich nie so deutlich als an jenem ereignisreichen Morgen; und ich kann die Besonderheit im Wesen meines Freundes, die ihn von allen menschlichen Geschöpfen wesentlich unterschied, nur als die Gewohnheit beständigen Denkens kennzeichnen, die selbst seine trivialsten Handlungen durchdrang, seine Tändeleien vertiefte und sogar in den Ausbrüchen. seiner Heiterkeit noch spürbar war – wie die Nattern, die sich aus den Augen der grinsenden Masken an den Friesen der Tempel von Persepolis herauswinden.
Doch fiel mir wiederholt an dem halb leichtsinnigen, halb feierlichen Ton, mit dem er an diesem Morgen oft weitläufig über Dinge von geringer Wichtigkeit sprach, ein gewisses Schaudern auf – eine gewisse nervöse Salbung in seinem Tun und Reden – eine unstete Erregbarkeit des ganzen Wesens, die mir unerklärlich schien und mich ein paarmal mit Unruhe erfüllte. Häufig brach er auch mitten in einem Satz, dessen Anfang er vergessen zu haben schien, ab und lauschte mit tiefster Aufmerksamkeit, als erwarte er in jedem Augenblick einen Besucher oder als höre er Klänge, die nur seiner Phantasie vernehmbar sein konnten.
Während eines jener Augenblicke, da er ganz in Träumerei oder Lauschen versunken war, entdeckte ich, als ich in einem Buch blätterte, das in der Nähe der Ottomane lag, eine mit Bleistift unterstrichene Zeile. Es war eine Stelle gegen Ende des dritten Aktes des Orfeo, der ersten schönen italienischen Tragödie – eine Stelle, die das Herz erbeben machte, die, obwohl voll wüster Begierde, kein Mann ohne den Schauder einer nie gefühlten Erregung, keine Frau ohne einen Seufzer lesen wird. Die ganze Seite war von frischen Tränen durchtränkt, und auf dem folgenden Blatte las ich Verse, von der Hand meines Freundes, jedoch so anders als sonst geschrieben, daß ich nur mit Mühe die Schrift als die seine wiedererkannte:
Du warst mir alles, Liebe, Was meine Seele erfleht, Ein grünes Eiland, Liebe, Ein Quell und Heiligenschein, Umrankt von Früchten und von Blumen, Und alle Blumen waren mein.
Ach Traum! Zu schön, zu währen!
Ach Hoffnungsstern! Erglommen nur Zu eiligem Verlöschen!
Der Zukunft Stimme ruft mir zu:
»Voran!« Doch über der Vergangenheit Trübdunklem Golfe schwebt mein Geist Stumm – regungslos – erstarrt! Denn wehe! Weh! Für mich erlosch Des Lebens Licht auf ewig.
Und nimmer – nimmer – nimmermehr Solch’ Wort ruft feierlich die See Dem Sand der Küsten zu Wird neu erblühn der blitzgetroffne Baum, Schwellt neue Kraft des kranken Adlers Flug!
Entrückung bringt mir jede Stunde, Und jeder Traum der Nacht Sucht Deines dunklen Auges Glanz, Fragt, wo Dein Fuß Dich wiegt?
In welchem Feentanz?
An welchem fernen Strand?
Weh über jene Höllenstunde, Da Dich die Woge mir entführt, Der Lieb’ entführt zu Würden und Verbrechen, Entführt auf ein unheilig Pfühl, Ach! mir entführt und unserm Nebellande, In dem die Silberwelle um Dich weint.
Daß diese Verse in englischer Sprache geschrieben waren, überraschte mich nicht. Ich kannte die ausgedehnten Kenntnisse meines Freundes zu gut und auch seine sonderbare Neigung, dieselben so viel wie möglich zu verbergen. Aber der Ort des Datums setzte mich doch in Erstaunen. Das Gedicht war in London verfaßt worden, später hatte man ein anderes Wort über den Namen geschrieben, jedoch nicht so, daß ein forschendes Auge den ersten nicht mehr hätte lesen können. Ich sage, daß mich dies alles in Erstaunen setzte, denn ich erinnerte mich wohl, daß ich in einer früheren Unterhaltung meinen Freund einmal gefragt hatte, ob er nicht in London mit der Marchesa di Mentoni, die dort einige Jahre vor ihrer Verheiratung lebte, zusammengetroffen sei. Damals gab er mir eine Antwort, aus der ich entnehmen mußte, daß er die Hauptstadt Großbritanniens nie besucht habe. Ich kann hier noch erwähnen, daß ich sehr oft gehört hatte (natürlich ohne einem so unwahrscheinlichen Gerücht Glauben zu schenken), der Mann, von dem ich spreche, sei nicht nur von Geburt, sondern auch durch seine ganze Erziehung ein Engländer.
»Hier ist noch ein Bild«, sagte er ohne zu bemerken, daß ich in der Tragödie blätterte, »das Sie noch nicht gesehen haben.« Er zog einen Vorhang beiseite und enthüllte ein Bild der Marchesa Aphrodite. Noch nie war es irdischer Kunst gelungen, überirdische Schönheit gleich vollkommen nachzubilden. Wieder stand ihre ätherische Gestalt, genau wie in der vorhergehenden Nacht auf den Stufen des Dogenpalastes, vor mir. Doch in dem Ausdruck ihrer Züge, die über und über im Lächeln strahlten, lauerte schon (unbegreiflicher Widerspruch!) jener verhängnisvolle Schatten von Traurigkeit, der von der vollkommenen Schönheit nun einmal unzertrennlich ist. Der rechte Arm deckte halb ihren Busen. Mit der Linken deutete sie auf eine sonderbar geformte Vase nieder. Ihr kleiner Feenfuß berührte nackt den Boden, und in der leuchtenden Luft, die ihre ganze Lieblichkeit einrahmte, dehnten sich, kaum wahrnehmbar zwei hauchzarte Flügel. Mein Blick fiel von dem Bilde auf die Gestalt meines Freundes, und die kraftvollen Worte des Bussy D’Ambois kamen mir unwillkürlich auf die Lippen:
Dem Steinbild eines Römers gleich, Ragt er bewegungslos hier aus der Erden; Und führt der Tod ihn in sein dunkles Reich, Wird er erstarrend langsam Marmor werden.
»Kommen Sie«, sagte er endlich und führte mich zu einem reich emaillierten, massiv silbernen Tische, auf dem phantastisch gearbeitete Becher und zwei etruskische Vasen standen, die nach dem sonderbaren Modell im Vordergrund des Porträts angefertigt zu sein schienen und mit Johannisberger gefüllt waren. »Kommen Sie«, sagte er, »wir wollen trinken; es ist zwar früh, doch wir wollen trinken. – Es ist wirklich früh«, fuhr er plötzlich, wie in tiefen Gedanken, fort, als eine Uhr im Gemache die erste Stunde nach Sonnenaufgang schlug, »es ist wirklich früh – aber was tut’s? Wir wollen trinken, wir wollen der feierlichen Sonne, die diese prunkvollen Lampen und Weihrauchschalen vergebens verdunkeln möchte, ein Opfer bringen.« Und er trank mir aus einem der Riesenkelche zu und stürzte dann in rascher Folge noch mehrere Becher Weins hinunter.
»Träumen«, sagte er und nahm den zerstreuten, flüchtigen Ton seiner Unterhaltung wieder auf, »Träumen war das Tun meines Lebens. Ich habe mir deshalb dieses Haus hergerichtet. Könnte ich hier im Herzen Venedigs ein besseres haben? Sie sehen allerdings einen Mischmasch der verschiedensten Bilder der Schönheit. Antidiluvianische Sprüche beleidigen die Keuschheit der Jonia, und ägyptische Sphinxe strecken sich auf golddurchwirkten Teppichen aus, und doch ist die Wirkung nur für den Furchtsamen unharmonisch. Eigentümlichkeiten des Ortes und besonders der Zeit sind der Popanz, welcher der Menschheit die Betrachtung des Erhabenen verleidet. Wie jene arabeskengezierten Weihrauchschalen windet sich mein Geist in Feuern, und das Delirium dieses Daseins macht mich reif für die wilderen Visionen im Lande jener wirklichen Träume, in das ich nun schnell enteile.« Hier schwieg er plötzlich, neigte sein Haupt und schien auf einen Ton zu lauschen, den ich nicht hören konnte.
Dann richtete er sich auf, blickte empor und flüsterte jene Worte des Bischofs von Chichester:
›Erwarte mich! Ich will Dich nicht verfehlen, Dich wieder treffen in dem hohlen Tal der Schatten!‹
Im nächsten Augenblick sprang er auf und warf sich – der Wein mochte wirken – in voller Länge auf die Ottomane. Da hörte ich einen schnellen Schritt auf der Treppe und gleich darauf ein lautes Klopfen an der Tür. Ich eilte zu öffnen, weil ich eine Störung fürchtete.
Ein Page aus Mentonis Palast stürzte in das Gemach und stammelte mit abgehetzter Stimme die unzusammenhängenden Worte: »Meine Herrin, meine Herrin! Vergiftet – vergiftet! O schöne Aphrodite!«
Bestürzt eilte ich auf die Ottomane zu, um den Schläfer zu wekken, doch seine Glieder waren starr, seine Lippen totenbleich, seine eben noch glänzenden Augen im Tode erstarrt.
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