Über das Ziel erwart ich Ihre Befehle. Wissen Sie doch, wie glücklich ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Bescheid durch den Überbringer. Er ist gerade firm genug im Deutschen, um ein ›Ja‹ oder ›Nein‹ nicht zu verwechseln. Unter Gruß und Empfehlungen an meine liebe Freundin Victoire (die zu größerer Sicherheit vielleicht eine Zeile schreibt)

Ihr Schach.«

»Nun, Victoire, was lassen wir sagen...?«

»Aber du kannst doch nicht ernsthaft fragen, Mama?«

»Nun denn also ›ja‹.«

Victoire hatte sich mittlerweile bereits an den Schreibtisch gesetzt, und ihre Feder kritzelte »Herzlichst akzeptiert, trotzdem die Ziele vorläufig im dunkeln bleiben. Aber ist der Entscheidungsmoment erst da, so wird er uns auch das Richtige wählen lassen.«

Frau von Carayon las über Victoires Schulter fort. »Es klingt so vieldeutig«, sagte sie.

»So will ich ein bloßes Ja schreiben, und du kontrasignierst.«

»Nein; laß es nur.«

Und Victoire schloß das Blatt und gab es dem draußen wartenden Groom.

Als sie vom Flur her in das Zimmer zurückkehrte, fand sie die Mama nachdenklich. »Ich liebe solche Pikanterien nicht, und am wenigsten solche Rätselsätze.«

»Du dürftest sie auch nicht schreiben. Aber ich? Ich darf alles. Und nun höre mich. Es muß etwas geschehen, Mama. Die Leute reden so viel, auch schon zu mir, und da Schach immer noch schweigt und du nicht sprechen darfst, so muß ich es tun statt eurer und euch verheiraten. Alles in der Welt kehrt sich einmal um. Sonst verheiraten Mütter ihre Tochter, hier liegt es anders, und ich verheirate dich. Er liebt dich und du liebst ihn. In den Jahren seid ihr gleich, und ihr werdet das schönste Paar sein, das seit Menschengedenken im Französischen Dom oder in der Dreifaltigkeitskirche getraut wurde. Du siehst, ich lasse dir wenigstens hinsichtlich der Prediger und der Kirche die Wahl; mehr kann ich nicht tun in dieser Sache. Daß du mich mit in die Ehe bringst, ist nicht gut, aber auch nicht schlimm. Wo viel Licht ist, ist viel Schatten.«

Frau von Carayons Auge wurde feucht. »Ach, meine süße Victoire, du siehst es anders, als es liegt. Ich will dich nicht mit Bekenntnissen überraschen, und in bloßen Andeutungen zu sprechen, wie du gelegentlich liebst, widerstreitet mir. Ich mag auch nicht philosophieren. Aber das laß dir sagen, es liegt alles vorgezeichnet in uns, und was Ursach scheint, ist meist schon wieder Wirkung und Folge. Glaube mir, deine kleine Hand wird das Band nicht knüpfen, das du knüpfen möchtest. Es geht nicht, es kann nicht sein. Ich weiß es besser. Und warum auch? Zuletzt lieb ich doch eigentlich nur dich

Ihr Gespräch wurde durch das Erscheinen einer alten Dame, Schwester des verstorbenen Herrn von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienstag ein für allemal zu Mittag geladen war und unter »zu Mittag« pünktlicherweise zwölf Uhr verstand, trotzdem sie wußte, daß bei den Carayons erst um drei Uhr gegessen wurde. Tante Marguerite, das war ihr Name, war noch eine echte Koloniefranzösin, das heißt eine alte Dame, die das damalige, sich fast ausschließlich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder »Kürschen« aß oder in die »Kürche« ging und ihre Rede selbstverständlich mit französischen Einschiebseln und Anredefloskeln garnierte. Sauber und altmodisch gekleidet, trug sie Sommer und Winter denselben kleinen Seidenmantel und hatte jene halbe Verwachsenheit, die damals bei den alten Koloniedamen so allgemein war, daß Victoire einmal als Kind gefragt hatte: »Wie kommt es nur, liebe Mama, daß fast alle Tanten so ›ich weiß nicht wie‹ sind?« Und dabei hatte sie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar seidene Handschuhe, die sie ganz besonders in Ehren hielt und immer erst auf dem obersten Treppenabsatz anzog.