Die Schweden sprechen anders deutsch als die
Dänen: die Dänen hauchen es, es klingt bei ihnen
federleicht, und die Konsonanten liegen etwa einen halben Meter vor
dem Mund und vergehen in der Luft, wie ein Gezirp. Bei den Schweden
wohnt die Sprache weiter hinten, und dann singen sie so schön
dabei... Ich protzte furchtbar mit meinen zehn schwedischen
Wörtern, aber sie wurden nicht verstanden. Die Leute hielten
mich sicherlich für einen ganz besonders vertrackten
Ausländer. Kleines Frühstück. »Die
Bouillon«, sagte die Prinzessin, »sieht aus wie Wasser
in Halbtrauer!« -- »So schmeckt sie auch.« Und
dann fuhren wir gen Stockholm.
Sie schlief.
Der, der einen Schlafenden beobachtet, fühlt sich ihm
überlegen -- das ist wohl ein Überbleibsel aus alter
Zeit, vielleicht schlummert da noch der Gedanke: er kann mir nichts
tun, aber ich ihm. Dieser Frau gab der Schlaf wenigstens kein
dümmliches Aussehen; sie atmete fest und ruhig, mit
geschlossenem Mund. So wird sie aussehen, wenn sie tot sein wird.
Dann liegt der Kopf auf einem Brett -- immer, wenn ich an den Tod
denke, sehe ich ein ungehobeltes Brett mit kleinen
Holzfäserchen; dann liegt sie da und ist wachsgelb und wie uns
andern scheint, sehr ehrfurchtgebietend. Einmal, als wir über
den Tod sprachen, hatte sie gesagt: »Wir müssen alle
sterben -- du früher, ich später« -- in diesem Kopf
war so viel Mann. Der Rest war, Gott sei's gelobt, eine ganze
Frau.
Sie wachte auf. »Wo sind wir?« -- »In
Rüdesheim an der Rüde.« Und da tat sie etwas,
wofür ich sie besonders liebte, sie tat es gern in den
merkwürdigsten, in den psychologischen Augenblicken: sie legte
die Zunge zwischen die Zähne und zog sie rasch zurück:
sie spuckte blind. Und dafür bekam sie einen Kuß -- auf
dieser Reise schienen wir immer in leeren Abteilen zu sitzen --,
und gleich wandte sie einen frisch gelernten dänischen Fluch
an: »Der Teufel soll dich hellrosa besticken!« und nun
fingen wir an zu singen.
»In Kokenhusen singt eine Nachtigall wohl an der Düna
Strand. Und die Nachtigall mit dem süßen Schall legt ein
Kringelchen in mei--ne Hand --!«
Und grade, als wir im besten Singen waren, da tauchten die
ersten Häuser der großen Stadt auf. Weichen knackten,
der Zug schepperte über eine niedrige Brücke, hielt. Komm
raus! Die Koffer. Der Träger. Ein Wagen. Hotel. Guten Tag.
Stockholm.
5
»Was machen wir nun?« fragte ich, als wir uns
gewaschen hatten. Der Himmel lag blau über vier Schornsteinen
-- das war es, was wir zunächst von Stockholm sehn konnten.
»Ich meine so«, sagte die Prinzessin, »wir nehmen
uns erst mal einen Dolmetscher - denn du sprichst ja sehr
schön schwedisch, sehr schön ... aber es muß
altschwedisch sein, und die Leute sind hier so ungebildet. Wir
nehmen uns einen Dolmetscher, und mit dem fahren wir über Land
und suchen uns eine ganz billige Hütte, und da sitzen wir
still, und dann will ich nie wieder einen Kilometer
reisen.«
Wir spazierten durch Stockholm.
Sie haben ein schönes Rathaus und hübsche neue
Häuser, eine Stadt mit Wasser ist immer schön. Auf einem
Platz gurrten die Tauben. Der Hafen roch nicht genug nach Teer.
Wunderschöne junge Frauen gingen durch die Straßen ...
von einem gradezu lockenden Blond. Und Schnaps gab es nur zu
bestimmten Stunden, wodurch wir unbändig gereizt wurden,
welchen zu trinken -- er war klar und rein und tat keinem etwas,
solange man nüchtern blieb. Und wenn man ihn getrunken hatte,
nahm der Kellner das Gläschen rasch wieder fort, wie wenn er
etwas Unpassendes begünstigt hätte. In einem Schaufenster
der Vasagatan lag eine schwedische Übersetzung des letzten
Berliner Schlagers. Eh -- und sonst haben Sie nichts von Stockholm
gesehn? Was? Der Nationalcharakter ... wie? Ach, lieben Freunde!
Wie einförmig sind doch unsre Städte geworden! Fahrt nur
nach Melbourne -- ihr müßt erst lange mit den Kaufleuten
konferieren und disputieren; ihr müßt, wenn ihr sie
wirklich kennenlernen wollt, ihre Töchter heiraten oder
Geschäfte mit ihnen machen oder, noch besser, mit ihnen erben;
ihr müßt sie über das aushorchen, was in ihnen ist
... sehen könnt ihr das nicht auf den ersten Blick.
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