Sonnenfinsternis

Holz, Arno

Sonnenfinsternis

 

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Arno Holz

Sonnenfinsternis

Tragödie

 

Personen.

Hollrieder, Maler.

 

Musmann, Maler.

 

La bella Cenci.

 

Url.

 

Professor Lipsius, Bildhauer.

 

Der Präsident der Sezession.

 

 

Erster Akt

Schon bevor der Vorhang hochgeht, ertönt auf einem Harmonium gespielt das Thema des zweiten Satzes aus dem Schubertschen D-Moll-Quartett:

 

Bild

Bei der Wiederholung des zweiten Teils, an der mit einem Kreuz bezeichneten Stelle, teilt sich langsam der Vorhang. An der mit einem Doppelkreuz

bezeichneten Stelle ist er voll auseinander gegangen. Die Bühne stellt ein hohes, geräumiges Atelier dar. Die Hinterwand wird fast ganz von einem einzigen, etwas hoch ansetzenden, dreiteiligen, flachbogigen, großscheibigen Fenster eingenommen. Und zwar haben dessen Seitenteile der Breite nach je drei, der Mittelteil vier Fensterfelder. In der Mitte des Mittelteils führt eine Tür, die mit ihren Scheiben die Breite von zwei Fensterfeldern einnimmt, auf einen langen, aber nur schmalen Balkon, der mit seiner flachen, niederen Eisenbrüstung fast über die ganze Bühne verläuft. Rechts und links dieses Fensters zwei bis auf den Boden reichende, naturleinene Lichtvorhänge, mit denen das Ganze beliebig von der Seite abgedeckt werden kann. Außerdem, den drei Fensterteilen entsprechend, drei weitere solcher Vorhänge, durch die das etwa unterste Drittel noch besonders abdeckbar ist. In den beiden Seitenwänden je eine Tür. Die Tür in der Seitenwand links mehr dem Fenster zu, die in der Seitenwand rechts mehr nach dem Zuschauerraum. Die Tür rechts öffnet sich nach dem Zuschauerraum, vor der Tür links hängt ein tiefweinroter Friesvorhang, der nach dem Zuschauerraum hin zur Seite geschoben werden kann. Hinter diesem Friesvorhang erst ein tieferes Türgerüst. Die Türen, wie das Fenstergerüst,

schwarz. Um den ganzen Raum läuft ein dreieinhalb Meter hoher, steingrauer Paneelanstrich. Darüber die Wände und die Decke weißlich. Die Wände mit gerahmten Bildern bedeckt, die ausnahmslos Berliner Milieus darstellen. Der Boden fast ganz von einem echten, vielfarbig prächtigen Tierteppich eingenommen. An der Seitenwand rechts vor einer Chaiselongue mit ebenfalls tiefweinroter Decke ein halb eingebauter, schwarzer, brennender Gasofen, mit dem unterhalb des Fensters rechts und links der Tür eine steingrau gestrichene Warmwasserheizung korrespondiert. Am Kopfende dieser Chaiselongue nach dem Fenster zu eine leere Staffelei, hinter der mit den Rückseiten nach dem Zuschauerraum ungerahmte Bilder lehnen, Rotten stehen usw. Etwas nach der Hinterwand links auf geschweiften Beinen ein großer, schöner, runder Tisch mit allerhand Malutensilien und Rauchzeug, um den, die Polster wieder tiefweinrot, zwei entsprechende Sessel. Auf der Mitte des Tisches ein mächtiger, silberner, siebenarmiger Rokokoleuchter mit gelben Wachskerzen in roten Schutzschirmen. An der Seitenwand links, ganz nach vorn, ein kostbar geschnitztes, altgotisches Regal mit einer von rotem Tuch überspannten Hockergondel davor im gleichen Stil. Über der Chaiselongue ein kunstvoll gearbeitetes, japanisches Wandschränkchen.

Zwischen dem Regal und der friesverhangenen Tür zwei hohe, altchinesische Vasen. Mehr nach dem Fenster zu, zwischen Tisch und Chaiselongue, auf einem holzskulpturierten, sechseckigen Untersatz ein großer, bunt emaillierter Bronzekranich. Vor dem Regal, in der Tracht und Frisur der heiligen Cäcilie auf dem van Eyckschen Altarflügel, das Haar prachtvollstes venetianisches Rot, La bella Cenci. Auf der vorderen Ecke der Chaiselongue, ganz versunken, Url schlank; bartlos; edles, harmonisches, feindurchgeistigtes Cherubsgesicht; kurzes, apollinisch gelocktes Kastanienhaar; langer, leicht glockenförmig geschnittener Tuchrock aus allertiefstem Violenblau; Hose aus dem gleichen Stoff, dunkle, künstlerische, ziemlich hochgehende Seidenweste; geschmackvolles, selbstgebundenes, von einer Nadel mit einer einzigen schwarzen Perle zusammengehaltenes Plastron unter einem Umlegestehkragen und dünne, feinstgliedrige, um den Hals getragene Golduhrkette. – Durch das große Fenster im Hintergrund, mit verschneiten Dächern, ein weit ausgebreitetes Panorama Berlins. Noch helles Nachmittagslicht.

 

LA BELLA CENCI während der Vorhang aufgeht und die Melodie immer lichter wird, in ihrer Pose aus dunkler Schwermut sich bis zu aufgelöster Ekstase steigernd. Nachdem die letzten Töne verklungen; die Hände noch auf den Tasten.