Wie wird es aber auf den steiermärkischen Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborne bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Mut! Damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt und Neukirchen, einer langen, langen Ebene zwischen den Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr zusammenschließen, begegnete mir ein starkes Kommando mit Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend, eben keine sehr gute Aussicht! Einige waren schwer geschlossen und klirrten trotzig mit den Ketten. Die meisten waren Leute, welche die Straßen unsicher gemacht hatten. Aber desto besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da, und diese werden gewiß nicht so bald wieder losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, daß man die Preßburger Post angefallen, ausgeplündert und den Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bei Pegau, nicht weit von Grätz, war das nämliche geschehen. Das waren aber gewiß Leute, die vorher gehörig rekognosziert hatten, daß die Post beträchtliche Summen führte, die sich auch wirklich zusammen über hundertunddreißigtausend Gulden belaufen haben sollen. Bei mir ist nicht viel zu rekognoszieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in Versuchung bringen.
Mürzhofen
Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Semmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweite Hälfte der Nacht entsetzlich geschneit, der Schnee ging mir bis hoch an die Waden; ich wußte keinen Schritt Weg, und es war durchaus keine Bahn. Einige Male lief ich den Morgen noch im Finstern unten im Tal zu weit links und mußte durch Verschläge in dem tiefen Schnee die große Straße wiedersuchen. Nun ging es bergan zwei Stunden, und nach und nach kamen einige Fuhrleute den Semmering herab und zeigten mir wenigstens, daß ich dorthin mußte, wo sie herkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwanzig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begegneten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege nicht fortkonnten. Der Frost hielt noch nicht, und überdies waren die Gleise entsetzlich ausgeleiert. Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter hinaufwinden. Ich wechselte die Schluchten bergauf, bergab und trabte zum großen Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen Wagen fürbaß. Ein andermal rollten sie vor mir vorbei, wenn ich langsam fortzog. So geht's in der Welt; sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf dieser Seite des Semmerings kommt aus verschiedenen Schluchten die Wien herab; und auf der zweiten Hälfte der Station, nach Mürzzuschlag, nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt ebenso die Mürz hervor und ist in einer Stunde schon ein recht schöner Bach. Bei Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo sie größer wird, nun schon einen ansehnlichen Fluß bildet und nur mit Kosten gebraucht werden kann. Es ist angenehm, die Industrie zu sehen, mit welcher man das kleine Wässerchen zu seinem Behufe zu leiten und zu gebrauchen weiß; und die kleinen Täler an dem Flusse herunter sind außerordentlich lieblich und machen auch unter dem Schnee mit ihren fleißigen Gruppen ein schönes Winterbild.
Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie nomina male ominata, deren Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre, irgendeinen Pastor aufzusuchen; und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich aus der abenteuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr Gewöhnliches, daß man einem Gaste, wenn er die Zeche bezahlt und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man denkt weiter nicht viel dabei; aber Du kannst nicht glauben, wie angenehm es ist, wenn es in einer solchen Lage, im Januar, wenn der Sturm den Schnee gegen die Felsen jagt, mit Teilnahme von einem artigen, hübschen Mädchen geschieht, zumal wenn man den Kopf voll Räuber und Strauchdiebe hat.
Graz
Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen: die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weißt, daß der Ort auf beiden Seiten der Murr sehr angenehm liegt; und das Ganze hat hier einen Anblick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den ersten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen, und den zweiten mit viel Leichtigkeit sieben; aber den ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf, und den zweiten ging ich bei ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen zu sehen und ihnen zu folgen, bis sie Flüsse werden. Die Mürz ist ein herrliches Wasser und muß die erste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich deucht, ich habe es versprochen; aber ich habe bis jetzt doch schon zweimal dagegen gesündigt und bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen, wer wird gern in einer schlechten Kneipe übernachten, wenn man ihm sagt, daß er eine Meile davon ein gutes Wirtshaus findet?
An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirtet und bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das tat meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weißt, daß ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus den Kreuzen.
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