Aber, meine liebe Stine, das ist es ja eben. Ich hab es mir so gedacht, gerade so. Gleich als ich ihn das erste Mal sah, als die beiden Alten mit da waren und Wanda Holofernessen köppte, da wußt ich es. Sieh, Kind, es sind mir so viele Mannsleute zu Gesichte gekommen, und wenn ich welche sehe, na, so kenn ich sie gleich durch un durch un kann sie aussuchen wie Handschuh nach der Nummer un weiß gleich, was los is. Un mit dem jungen Grafen is nich viel los. Er is man schwächlich, un die Schwächlichen sind immer so un richten mehr Schaden an als die Dollen.«
Stine sah die Schwester an.
»Ja, du siehst mich an, Kind. Aber es is wahr un wahrhaftig so. Du denkst wunder, wie du mich beruhigst, wenn du sagst: ›Es is keine Liebschaft.‹ Ach, meine liebe Stine, damit beruhigst du mich gar nich; konträr im Gegenteil. Liebschaft, Liebschaft. Jott, Liebschaft is lange nich das schlimmste. Heut is sie noch, un morgen is sie nich mehr, un er geht da hin, und sie geht da hin, un den dritten Tag singen sie wieder alle beide: ›Geh du nur hin, ich hab mein Teil.‹ Ach, Stine, Liebschaft! Glaube mir, daran stirbt keiner, un auch nich mal, wenn's schlimm geht. Was is es denn groß? Na, dann läuft 'ne Olga mehr in der Welt rum, un in vierzehn Tagen kräht nich Huhn, nich Hahn mehr danach. Nein, nein, Stine, Liebschaft is nich viel, Liebschaft is eigentlich gar nichts. Aber wenn's hier sitzt« (und sie wies aufs Herz), »dann wird es was, dann wird es eklig.«
Stine lächelte.
»Du lachst, und ich weiß auch warum. Du lachst, weil du denkst, Pauline weiß nichts davon und kann auch nichts davon wissen, denn es hat ihr nie hier gesessen. Un das hat auch seine Richtigkeit damit. Ich bin noch so drum rumgekommen. Aber, meine liebe Stine, man erlebt nich bloß an sich selbst, man erlebt auch an andern. Un ich sage dir, von so was, wie du mit dem Grafen vorhast oder der Graf mit dir, von so was is noch nie was Gutes gekommen. Es hat nu mal jeder seinen Platz, un daran kannst du nichts ändern, un daran kann auch das Grafchen nichts ändern. Ich puste was auf die Grafen, alt oder jung, das weißt du, hast es ja oft genug gesehen. Aber ich kann so lange pusten, wie ich will, ich puste sie doch nich weg, un den Unterschied auch nich; sie sind nun mal da, und sind, wie sie sind, und sind anders aufgepäppelt wie wir, und können aus ihrer Haut nicht raus. Un wenn einer mal raus will, so leiden es die andern nich und ruhen nich eher, als bis er wieder drinsteckt. Un denn kannst du hier so lang in die Sonne kucken, bis sie morgens bei Polzins oder bei der Frau Privatsekretär wieder rauskommt, er kommt doch nich, er sitzt erster Klasse mit Plüsch un hat noch ein Luftkissen bei sich, un sie hat 'nen blauen Schleier an 'n Hut, und so geht es heidi! nach Italien. Un das is denn, was sie Hochzeitsreise nennen.«
»Ach, Pauline, so kommt es nich.«
»Ja, so kommt es, mein armes Stineken. Un wenn es nich so kommt, na, denn kommt es noch schlimmer, denn is er ein Eigensinn un will partout mit 'n Kopp durch die Wand, un da hast du denn den Kladderadatsch erst recht. Glaube mir, Kind, von 'ne unglückliche Liebe kann sich einer noch wieder erholen un ganz gut rausmausern, aber von 's unglückliche Leben nich.«
Elftes Kapitel
Baron Papageno (niemanden über sich) wohnte von alter Zeit her drei Treppen hoch, teils, weil er das seiner Meinung nach erst in etwa Dachhöhe beginnende Ozon auch in seiner Berliner Abschwächung nicht missen wollte, teils, weil er einen Widerwillen hatte, bei jeder über ihm stattfindenden Mahlzeit ein halbes Dutzend Menschen und Stühle herumpoltern zu hören. Namentlich war ihm das Hinundherschrammen in den Tod verhaßt, das seiner in früheren Wohnungen gemachten Erfahrung nach überall da blühte, wo Kinder mit zu Tische saßen, Kinder, die noch nicht alt genug waren, ihren Stuhl manierlich heranzustellen, und sich deshalb aushilfeweise zum Schieben gezwungen sahen. Neben dem Griffelgequietsch auf Schiefertafeln gab es nichts, was ihn so nervös gemacht hätte wie solche Stuhl- und Rutschfahrten ihm zu Häupten.
Aber freilich, seine der gesamten Wohnungsfrage geltenden Sorglichkeiten beschränkten sich nicht auf Luftschicht und Hausruhe, sondern zeigten sich beinah mehr noch in dem Raffinement, mit dem er bei der Wahl der Stadtgegend verfahren war und Zietenplatz und Mohrenstraße-Ecke gewählt hatte. Wie sich denken läßt, hielt er diese seine Kastellecke für nicht mehr und nicht weniger als den schönsten Punkt der Stadt und lag darüber mit dem alten Grafen in einer beständigen Fehde.
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