Ich wette zehn gegen eins: Shakespeare...«

»Der Herr Graf treffen immer ins Schwarze. Ja, das ›Wintermärchen‹, und mir ist die Hauptrolle zugefallen, die der Hermióne, von der ich vorläufig nur weiß, daß ich eine ganze Szene lang auf einem Postamente stehe, ganz schmucklos, aber doch was Weißes um.«

Sarastro lächelte. »Diese Besetzung der Rolle kann niemand überraschen, und Sie, mein gnädigstes Fräulein, wenn Sie nicht blind gegen Ihre so deutlich hervortretenden Gaben und Vorzüge sind, am wenigsten. Die Natur hat Sie zu glücklich ausgestattet, als daß das Marmorbräutliche, das hier beinahe ausschließlich in Frage kommt, an Ihnen vorübergehen konnte. Wenn ich mir Sie so denke, ganz Stein, und mit einem Male durchdringt Sie das warme, pulsierende Leben, alles wogt, und in rötlicher Beleuchtung steigen Sie vom Sockel hernieder, um wieder Mensch unter Menschen zu sein, ein erhabener Gedanke...«

»Der Herr Graf schmeicheln. Es ist eine Rolle, die durchaus Jugend fordert, ja, mehr als Jugend, ich möchte sagen dürfen, Jugend und Zartheit...«

»Eigenschaften, die Sie sich in übergroßer Bescheidenheit nur absprechen, um unseres heftigsten Widerspruchs sicher zu sein. Hermióne, soviel mir vorschwebt, ist schon zu Beginn des Stücks Gattin und Mutter, zudem auf Untreue verklagt, Ereignisse, die doch nur ausnahmsweise vor das vierzehnte Lebensjahr fallen. Ich bitte Sie, was heißt jung, und vor allem, was heißt zart. Es wird mit diesem Worte ›zart‹ ein beständiger Mißbrauch getrieben, und alles, was bleich oder schwindsüchtig ist, das ist sicher, als zart bezeichnet zu werden. Eine der vielen Verirrungen unseres modernen Geschmacks. Zart, zart; zart ist etwas Innerliches, Seelisches, das auch innerhalb einer vollsten Formengebung existieren kann. Fragen Sie meinen Neffen. Er reist seit fünf Jahren in Italien umher, namentlich in Kirchen, und kennt, schlecht gerechnet, fünftausend Heilige weiblichen Geschlechts. Und was heilig ist, muß doch auch zart sein. Und nun soll er uns Rede stehen über den Begriff der Zartheit. Ich will seinem bessern Urteile nicht vorgreifen, aber ich wage vorweg die Behauptung, alles, was er von heiligen Cäcilien und Barbaras und selbstverständlich auch von Genovevas, die immer die Hauptsache bleiben, gesehen hat – alle waren Damen von Ihrer Konstitution, meine Gnädigste, Damen, denen alles Mondscheinene fehlte, Damen in schwarzem Sammet und roter Rose. Waldemar, ich bitte dich dringend, unterstütze mich in einer Sache, die meinem Herzen und meinem Kunstgefühl gleich viel bedeutet.«

Er stieß mit Wanda an und hatte die Freude, daß Waldemar auf den angestimmten Ton einging und unter verbindlichem Lächeln versicherte: Der Onkel habe recht; alle Heiligen seien wohlproportioniert, und auch das Zarteste könne sich noch innerhalb der Wellenlinie...

»Brav, brav«, unterbrach hier der Graf. »Und so bitt ich denn, die Gläser zu füllen, um auf das Wohl Hermiónens zu trinken – eine von Fräulein Wanda bevorzugte Akzentverschiebung, die mir eine ganz neue Auffassung verspricht. Denn die Akzente machen's im Leben und in der Kunst. Es lebe die Kunst, es lebe das Zarte, es lebe die Wellenlinie, vor allem, es lebe Hermióne-Hermióne, es lebe Fräulein Wanda, es lebe die rote Rose.«

Wanda verneigte sich und überreichte dem alten Grafen die rote Rose, die so sinnig den Schluß seiner Rede gebildet hatte. Der alte Baron aber stieß von der andern Seite her mit beiden an.

Es folgte nun Toast auf Toast, Papageno ließ Stine leben, und nachdem auch noch Waldemar, ebenfalls an Stine sich wendend, ein paar Worte gesprochen, sprach Wanda, wie herkömmlich, in Klappreimen, die sie sich übrigens auf die einfachste Weise, indem sie »Liebe« statt »Freundschaft« setzte, für Gelegenheiten wie die heutige aus einem alten Stammbuchvers zurechtgemacht hatte. Zuletzt ergriff der alte Graf noch einmal das Wort, um seine Freundin Pauline leben zu lassen. Er verschwieg aber ihren Namen dabei, sprach nur ganz allgemein über den Zauber und die Vorzüge der Witwenschaft und schloß mit dem Ausruf: »Es lebe meine Mohrenkönigin, meine Königin der Nacht.«

Alles erhob sich, und Baron Papageno versicherte, daß das ein echter Sarastro-Toast gewesen sei und daß die Reihe der Trinksprüche nicht würdiger hätte schließen können.

Alle stimmten zu, nur nicht die, der der Trinkspruch gegolten hatte. Das Drastische darin mochte gehen (verhöhnte sie doch selber alles, was sie »sich zieren« nannte), der Spott aber, der durchklang, und ein behagliches Sich-Ergehen in Witzeleien, die sie nur halb verstand und die gerade deshalb ihr schlimmer erschienen, als sie waren – das verdarb ihr die Stimmung, und so sagte sie, während sie sich verfärbte: »Na, Graf, bloß nich so, bloß nich übermütig. Das lieb ich nich. Un so vor alle! Was sollen denn der junge Herr Graf davon denken?«

»Immer das Beste.«

»Na, das Jute wäre mir lieber.« Und während sie sich Wasser einschenkte, wiederholte sie: »Königin der Nacht. Is nich zu glauben.«

 

Fünftes Kapitel

 

Die sich im Herzen der Witwe Pittelkow regende Verstimmung würde sich bei der vorherrschenden Tafelheiterkeit unter allen Umständen rasch wieder verzogen haben, der alte Graf aber, der die beispiellose Heftigkeit seiner »Königin der Nacht« nur zu gut kannte, hielt es nichtsdestoweniger für angezeigt, auch der bloßen Möglichkeit eines Sturmes vorzubeugen. »Ich denke«, sagte er, »wir sorgen für etwas frische Luft und nehmen im Nebenzimmer den Kaffee.«

»Geht nich«, erwiderte die Pittelkow. »Alle Gardinen ab; alles wie Kraut und Rüben...«

»Gut denn, so bleiben wir. Auch eng und warm hat seine Vorzüge...