Mrs. Bennets Augen leuchteten vor Vergnügen, und während Jane das Papier entfaltete, rief sie aufgeregt: »Nun, Jane, von wem ist es? Was steht darin? Was will er? Beeile dich, Jane! Mach doch schnell, Liebling!«
»Von Miss Bingley«, sagte Jane und las dann vor:
»Liebe Freundin!
Wenn Sie ein mitleidiges Herz besitzen, dann kommen Sie und speisen mit mir und meiner Schwester Louisa zu Abend; sonst laufen wir Gefahr, uns unser Leben lang zu hassen; Sie wissen, wenn zwei Frauen einen ganzen Tag miteinander verbringen, das muß zwangsläufig mit einem Streit enden. Kommen Sie, sobald Sie können. Mein Bruder und die beiden Herren sind bei den Offizieren zu Gast.
Es begrüßt Sie Ihre Caroline Bingley«
»Bei den Offizieren?« rief Lydia erstaunt. »Merkwürdig, daß Tante uns das nicht erzählt hat!«
»Die Herren sind eingeladen«, meinte Mrs. Bennet, »so ein Pech!«
»Kann ich den Wagen bekommen?« fragte Jane.
»Nein, meine Liebe, ich finde, du reitest besser hin; es sieht nach Regen aus, und dann mußt du dort übernachten.«
»Eine großartige Idee«, sagte Elisabeth, »außer wenn es den Bingleys einfallen sollte, sie in ihrem Wagen nach Hause zu bringen.«
»Ach so — aber nein, die Herren werden ja in Mr. Bingley’s Wagen nach Meryton gefahren sein; und Mr. Hurst hat zwar einen Vierspänner, aber keine Pferde dazu.«
»Ich möchte aber viel lieber dorthin fahren, wenn es geht.«
»Unmöglich, Liebling, dein Vater wird die Pferde bestimmt nicht entbehren können. Sie werden doch bei der Feldarbeit benötigt, nicht wahr, Bennet?«
»Ich brauche sie dort sehr viel öfter, als ich sie von euch freibekommen kann.«
»Aber wenn du sie ausgerechnet heute brauchst«, sagte Elisabeth, »dann unterstützt du doch nur Mutters Plan.«
Es stellte sich dann aber heraus, daß die Pferde schon auf den Äckern bei der Arbeit waren, und Jane blieb nichts anderes übrig, als das Reitpferd zu nehmen. Ihre Mutter begleitete sie zur Tür und verabschiedete sich von ihr in der aufgeräumtesten Laune mit der Prophezeiung, daß es bestimmt bald anfangen werde zu regnen. Ihre Erwartungen wurden auch nicht enttäuscht: Jane war noch nicht lange unterwegs, als es vom Himmel herab zu gießen begann. Die Schwestern waren etwas in Sorge ihretwegen, aber Mrs. Bennet strahlte. Der Himmel machte keine Anstalten, freundlicher zu werden; Jane konnte bei dem Wetter unmöglich nach Hause kommen.
»Das war wirklich eine ganz vorzügliche Idee von mir«, sagte Mrs. Bennet mehr als einmal im Laufe des Abends; als ob der Regen ausschließlich ihr Werk sei.
Aber erst am nächsten Morgen durfte sie alle Früchte ihrer weisen Vorbedacht ernten. Man hatte gerade das Frühstück beendet, als ein kurzes Schreiben von Netherfield für Elisabeth gebracht wurde:
»Liebste Lizzy!
Mir geht es heute morgen gar nicht gut, wahrscheinlich, weil ich gestern bis auf die Haut durchnäßt hier ankam. Die lieben Freunde hier wollen von meiner Rückkehr nichts hören, bis ich mich nicht wohler fühle. Sie haben auch darauf bestanden, Doktor Jones zu holen; beunruhigt euch also nicht, wenn ihr hört, er habe mich untersucht; bis auf ein wenig Hals- und Kopfschmerzen fehlt mir bestimmt nichts.
Deine Schwester J.«
Elisabeth fühlte sich aber ernstlich besorgt und war fest entschlossen, zu ihrer Schwester zu gehen, obgleich der Wagen nicht zur Verfügung stand; und da sie nicht reiten konnte, hatte sie keine andere Wahl, als den Weg zu Fuß zu machen. Sie teilte ihrer Familie ihren Entschluß mit.
»Wie kannst du so töricht sein«, rief ihre Mutter aus, »bei diesem schmutzigen Wetter auch nur daran zu denken! Stell’ dir vor, wie du ausschauen wirst, wenn du dort anlangst! Du wirst dich nicht sehen lassen können!«
»Vor Jane werde ich es wohl können; und nur ihrethalben gehe ich ja hin.«
»Das soll wohl ein Wink sein«, sagte Mr. Bennet, »daß ich eigentlich die Pferde von der Arbeit holen könnte.«
»Nein, bestimmt nicht, Vater! Ich mache gern den Weg. Es ist ja gar keine Entfernung, nur drei Meilen. Zum Essen bin ich sicher wieder zurück.«
»Obzwar ich deiner tatkräftigen Nächstenliebe meine Bewunderung nicht versagen möchte«, bemerkte Mary, »so kann ich dennoch nicht billigen, daß du deine Gefühle deiner gesunden Vernunft überordnen willst. Meiner Meinung nach ist jede Handlung ungerechtfertigt, wenn sie in einem Mißverhältnis zum gewünschten Ergebnis steht.«
Es störte Mary gar nicht, daß, während sie noch dozierte, Lydia und Catherine der älteren Schwester ihre Begleitung bis Meryton angeboten hatten und daß die drei sich schon zum Gehen fertig machten.
»Wenn wir uns ein wenig beeilen«, meinte Lydia, als sie aufbrachen, »treffen wir vielleicht noch Captain Carter, ehe er nach London fährt.«
In Meryton trennten sich die Geschwister; die beiden jüngeren besuchten eine der Offiziersdamen, und Elisabeth setzte ihren Weg allein fort; ein Feld, eine Wiese nach der anderen mußte sie überqueren, hier einen Zaun nehmen, da über eine Pfütze springen, alles in ungeduldiger Eile, bald an ihr Ziel zu gelangen, bis sie endlich mit müden Füßen, beschmutzten Strümpfen und erhitztem, glühendem Gesicht vor Netherfield anlangte.
Ihr Erscheinen im Wohnzimmer, wo alle außer Jane versammelt waren, rief beträchtliches Erstaunen hervor. Daß sie so früh am Tage, bei solchem Wetter und dazu noch allein den weiten Weg gemacht haben sollte, kam Mrs. Hurst und Caroline fast unglaublich vor; und Elisabeth merkte, daß sie deshalb in der Achtung der beiden Damen gesunken war. Immerhin, sie wurde sehr höflich empfangen; und in der Art, wie Mr. Bingley sich um sie kümmerte, lag mehr als bloße Höflichkeit, lagen Anerkennung und Freundlichkeit. Mr. Darcy sagte sehr wenig und Mr. Hurst gar nichts.
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