Sie trat auch zu mir, Angela und die hochatmende Emma am Arme führend.
Wie ganz anders sind die Worte, die man einer geliebten Gestalt in Gedanken sagt, als wenn sie dann vor uns tritt und das dumme Herz erschrocken zurücksinkt und eine Flachheit vorbringt.
Emma sagte, ich sei heute der unerträglichste Mensch; auch Lucie fand mich verstimmt. Ich entschuldigte mich, daß ich nicht tanze und also nichts zum allgemeinen Vergnügen beitragen könne. Angela sagte, daß sie mich schon lange aus meinen Bildern und aus den Beschreibungen kenne! die ihre zwei Freundinnen von mir machten, und es sei gar nicht schön von mir, daß ich ihr fast absichtlich auswich; – ich errötete heftig und konnte es zu keiner Entschuldigung bringen. Indessen kamen wir zu einem Sitze; alle drei setzten sich, und ich blieb vor ihnen stehen.
»Jetzt müssen Sie aber sehr oft kommen«, sagte Lucie, »und unsere liebe Freundin kennen lernen; sie ist es wohl ein wenig wert.« Hierbei sah sie dieser lieben Freundin zärtlich ins Antlitz und nahm ihre weiße Hand.
»Und er ist es auch erschrecklich wert«, entgegnete Emma; »denn er ist der liebenswürdigste Pedant, der je einem Mädchen Langeweile machte.« Unverzüglich nahm sie auch meine Hand, ihre Schwester äffend, und legte alle vier Hände aufeinander, so daß meine auf Angelas kam, und denke Dir, Titus! dies war mir peinlich ich zog sie fast unartig zurück. Angela zog ihre auch weg und legte sie wie dankend auf die Schulter Luciens und hob dabei, wie eine griechische Priesterin, das schöne Haupt.
Plötzlich, als sie meiner Phantasie das Bild einer antiken Priesterin bot, fiel mir ihr Latein ein, und ich griff hastig nach diesem Gesprächsanker, mit der Bemerkung, daß es wohl ein seltner Fall sein möge, daß ein Mädchen den Virgil in der Ursprache lese.
»In gar keiner sollte man den langweiligen Menschen lesen«, meinte die ewig dareinsprechende Emma.
»Als nur in der Ursprache«, entgegnete Angela; »weil selbst in der besten Übersetzung drei Vierteile verloren gehen und das vierte seelenlos bleibt.« Dann, zu mir gewendet, fuhr sie wie entschuldigend fort: »Ich kann aber auch sehr wenig; mein gütiger Lehrer erzählte mir eine so schöne Geschichte von den Taten der alten Heiden, daß ich ihn bat, mich auch ihre Sprache zu lehren, ihre Seele, wie er sagte. Er tat es, und ich lernte auf diese Weise ein weniges.«
»Also können Sie auch Griechisch?« platzte ich heraus, sie mit offenen Augen anstarrend.
Jungfräulich errötend und fast erschrocken durch meine Hast, sagte sie verwundert: »Ja« und sah mich verlegen an.
Emma, die einen Instinkt hat, zu rechter Zeit drollig zu sein, sagte: »Sie lernt noch die Taktik, wenn Sie ihr einen Meister auftreiben.«
»Warum nicht?« entgegnete Angela; »wenn man nicht so traurig werden müßte, daß es unter vernünftigen Geschöpfen noch eine solche Wissenschaft geben kann.« – – »Habe ich etwas Unschickliches gesagt?« fragte sie plötzlich Lucien, wahrscheinlich weil sie an mir die äußerste Verwunderung merkte und nicht deuten konnte.
Die sanfte Lucie nahm nun das Wort, indem sie den früher um Angelas Nacken geschlungenen Arm herabzog und die schöne Gruppe auflöste und sagte: »Sie müssen nämlich erfahren, daß unsere Freundin nicht in Wien erzogen worden ist und auch nicht von einem Manne, der mit unsern Sitten sehr einverstanden wäre. Wenn Sie uns nicht schon geraume Zeit her so sehr vernachlässigt hätten, so hätten Sie ihn kennen gelernt, da er die letzte Zeit fast täglich in unser Haus kam; aber eine seiner ewigen Reisen führte ihn mit seiner Schwester nach Frankreich, von wo er kaum vor September zurück sein wird. Der Vater hat ihm von Ihnen so viel Gutes gesagt, daß er Ihre Bekanntschaft verlangte. Aber er mußte abreisen, ehe dies bewerkstelligt werden konnte. Seine Schülerin kennen Sie jetzt in unserer Angela; seiner Tante werden wir Sie später vorstellen; auf ihn und die Schwester aber müssen Sie bis zum Herbste warten. Ich bin der vollsten Überzeugung, daß ihr euch gegenseitig sehr gefallen werdet.«
»O, ich auch der vollsten«, sprach Emma drein; »da wird ein Leben losgehen, närrische Leute die Hülle und Fülle: Sie, er, seine Schwester, Fräulein Natalie, Angela, ich, die zärtliche Schwester Lucie beginnt auch schon, der Vater obendrein, – die Plane sollen sich kreuzen und mehren und verwirren; wir müssen noch mehr solches Zeug herbeischaffen – Sie haben ja da einen neuen Freund angeworben – Disson, glaub ich, heißt er – den Sie so sehr lobten – der wird doch auch einen oder den andern Sinn verkehrt haben – diesen bringen Sie – und in den Pyrenäen reist auch einer, den Sie neulich lobposaunt haben: der muß auch herbei, und wenn der Vater so fortsammelt, dann erleben wir die lichte Freude: auf Erhabenheit verlegt, Überschwenglichkeit getrieben – und zuletzt Lieb' und Heiraten aller Orten und Wegen: Sie mich, Angela ihren Lehrer, – – nein, der ist für sie zu ruhig: ich den Lehrer, Sie die Angela, Lucie den Lothar, Natalie den spanischen Reisenden – – nun, ich denke: dann sind alle unter Dach gebracht.«
Lucie, die seit dem Tode der Mutter eine Art sanfter Vormundschaft über den jungen Wildfang übte, verwies ihr lächelnd ihre unartige Übermütigkeit. In den lebhaften jugendlichen Augen glänzte so eben ein neuer Übermut; aber in dem Augenblicke stob eine ganze Spreu von weißen Mädchen herbei, gefolgt von jungen Männern, die alle über den Schlußtanz unterhandelten. Emma war sogleich mitten drinnen, hielt kurze Staats-Versammlungsreden und stimmte unmittelbar darauf. In diesem Augenblicke ergriff ich die Gelegenheit, endlich einmal mit meiner Paradiesgartenbegegnung hervorzukommen – vor Emma wollte ich nicht. – Ich erzählte etwas lügnerischer Weise, daß es wahrscheinlich eine russische Fürstin gewesen sei, die ich unlängst im Paradiesgarten vor dem schwarzen Hochspiegel sah und die mit dem gegenwärtigen Fräulein die vollständigste Ähnlichkeit habe, die ich je auf Erden gefunden; darum habe es mich so sehr verwirrt, als ich heute dieselbe Gestalt und dasselbe Angesicht hinter meiner Stuhllehne sah und sogleich als Freundin Luciens und Emmas aufgeführt bekam. »Und«, schloß ich, »doppelt überraschend war mir Ihr Anblick, weil ich neulich durch Zufall ein lebensgroßes Bild der Fürstin zu sehen bekam, auf dem sie in einem schwarzseidnen Kleide saß, gerade so, wie Sie hier eines anhaben; ja, was mir beinahe Schreck einjagte, war noch, daß Sie auch das kleine goldne Kreuzchen tragen, wie jene Fürstin mit einem abgebildet ist. Ich besitze ein kleines Nachbild von dem Gemälde, wo all das noch jeden Augenblick zu sehen ist.«
Beide Schwestern sahen sich seltsam an, als ich dieses sprach – Angela aber mußte bis zu Tode erschrocken sein, denn sie stand weiß wie eine getünchte Wand da und wankte; mit unbeholfener Verlegenheit suchte sie das äußerst kleine Kreuzchen in ihrem Busen zu bergen – es gelang – eine Sekunde nur wars, sie bezwang sich, und die ernsten, schönen Augen auf mich richtend, sprach Angela, daß sie mit dieser Fürstin nichts gemein habe; ich möge sie nur als ein einfaches Mädchen ansehen und behandeln, das nie einen Adelsbrief gehabt habe, noch je einen haben werde.
»Außer den lilienweißen des allerschönsten und liebsten Herzens, das auf dieser Erde schlägt«, rief Lucie mit sonderbarer Rührung, die mir für diese Veranlassung zu heftig vorkam, und küßte sie auf die Augen und suchte sie hinwegzuziehen; allein es war nicht möglich, denn in demselben Augenblicke erschien ein Mann und erinnerte Lucien an ihr Versprechen, die dritte Figur mitzumachen – und – so ist der Mensch – in höchster Verwirrung und Not tut er noch immer eher das Schickliche als das Rechte: Lucie ließ sich in der Betäubung fortziehen; sie fand das Wort der Widerrede nicht, und die Fremde stand verlassen in ihrer so seltsamen Erregung vor dem Fremden – aber so klar es war, daß ich irgendein unheimlich Sonderbares getroffen haben mußte: so klar war es auch, daß in dem Augenblicke keine Spur mehr davon in ihrem Antlitze übrig war. Wie ich nämlich beklommen scheu in dasselbe blickte, war das sanfte Rot wieder in die vorher lilienweiße Wange geflossen, und das große Auge sah freundlich auf mich, als sie die Worte sagte: »Mir ist nicht unwohl geworden, wie Sie etwa denken können, sondern, wie es wohl öfters bei Menschen geschieht, es ist plötzlich ein sehr wichtiges Ereignis meines Lebens eingetreten, und das hat mir die kindische Erregung gemacht, die Sie gesehen haben.«
Mir war diese ruhige Aufrichtigkeit bei einer Sache, die jede andere verborgen, ja, gerade unter Unwohlsein verborgen hätte, sonderbar, zum mindesten neu; ich blieb daher befangen stehen und sagte kein Wort.
»Ich werde jetzt fortgehen«, sagte sie nach einem Augenblicke; »aber vorher muß ich Ihnen noch sagen: daß ich es gewesen bin, die Sie an dem erhabenen Spiegel gesehen haben – nannten Sie nicht die Beleuchtung eine Unterweltsbeleuchtung?«
»Ja, ja, ich nannte sie so«, antwortete ich freudig, als wir bereits im Hinausgehen waren, wo sie sich dann verneigte und wieder zu jener ältlichen Frau ging, bei der ich sie heute schon einmal gesehen hatte. Später, als der Tanz aus war, sah ich sie noch einmal hinter einem Vorhange in Luciens Armen und heftig mit ihr reden – dann sah ich sie nicht mehr; denn sie war fortgefahren – nur ein schönes, liebes, süßes Bild schwebte mir im Haupte und im Herzen.
Also war es doch sie gewesen!
Welch schöne Größe und Milde sah ich damals in ihrem Angesichte; wie wahr hatte meine Empfindung geredet! nun ist sie fort; das Rollen ihrer Räder hörte ich herauf; ich hörte es mit dem Herzen; ihr Bild schwebt noch in dem Gewirre, das um mich ist, und ich stehe wie ein Fremder in dem Sausen.
Gütiger, heiliger Gott! welch sanftes, schönes Fühlen legtest du in des Menschen Seele, und wie groß wird sie selbst vor dir, wenn sie Freude fühlt, in ein fremdes Herz zu schauen und es zu lieben, weil sie weiß, daß dieses Herz schön sein wird. – Dies nennen sie Unnatur, was wie ein einfach Licht der Engel um ihr Haupt fließt.
Freilich, weil sie diesen Schein nicht kennen, und sich dafür nur armseligen Modeflitter hinaufstecken.
Ich ging auch bald nach Hause und schrieb noch bis fünf Uhr; dann legte ich mich erst nieder und sank in ein verworrenes Träumen.
8. Erdrauch
4. Juni 1834
Es greifen immer sonderbarere Menschen in mein Leben – es ist, als sollte ich mit lauter ausländischen Dingen umringt werden. Ich wußte eigentlich bisher gar nie recht, was ein Nabob ist, und weiß es noch nicht; aber doch soll ich mit einem zusammenkommen, und Aston sagt, daß dies mein Lebensglück gründen werde; – nun, ich bin neugierig – er sagt nicht, wie? – überhaupt muß man mit mir irgendein Geheimnis haben; ich merke es an Lucien und Emma – aber ich kann es nicht ergreifen mögen sie immerhin – aber seltsamer Weise, wie man oft vorgefaßte Meinungen über das Aussehen und den Charakter von Menschen hat, die man nie sah, so geht es einem auch oft mit Worten und Begriffen. Dieses ›Nabob‹ ist so ein Wort für mich gewesen seit meiner Kindheit. Ich stellte mir darunter immer einen Mann vor zwischen fünfzig und sechzig Jahren, gut erhalten, braunen Angesichts, ein farbiges Tuch um den Hals, einen Hut mit breiten Krempen, einen lichten, meistens gelben Rock an – einen Mann, der in irgendeinem Indien Pflanzer war, alle seine Neger hindanngegeben und nun in Europa viel Gold genießt und grob ist.
Ist diese Beschreibung falsch, so bitte ich alle um Verzeihung, die sich dadurch gekränkt fühlen; denn ich kenne keine Schuldefinition eines Nabob – ja, sogar der Name war mir von jeher fast lächerlich.
Aston sagt, dieser Mann und ich gleichen uns in Launen und Gutherzigkeit, wie ein Wassertropfen dem andern wäre ich nur diese Zeit her, wie er sich ausdrückte, nicht immer auf so ausschweifend langen Ausflügen gewesen, daß ich unter den hundert Malen, die er ihn zu mir geschleppt, zu treffen gewesen wäre, so könnte bereits alles in Ordnung sein; aber so habe der Nabob fort gemußt, und alles schiebe sich auf die lange Bank. Es seien noch ganz andere Dinge dahinter, die er mir nicht sagen dürfe. »Dieser Nabob,« rief er aus, »so ganz vortrefflich er sonst ist, gehört unter die Menschen, die immer voll von Planen stecken, was mir so verhaßt ist, weil sie auf keinen Rat hören, und einen nichts machen und fügen lassen, wenn es auch sonnenklar besser wäre.«
Lieber Titus! Wenn der Nabob, wie ihn Aston nennt, etwa so ein Mann ist, der um sein gutes Geld auch ein Mäcenas sein will, so wird das Wohlvernehmen von kurzer Dauer sein; denn ich meine, daß bei einem solchen Seebär, wie ich mir ihn vorstelle, nicht leicht geistige Duldung vorhanden sein wird. Daß es übrigens der gute Daniel Aston mit seiner Güte und Pfiffigkeit, womit er den Gefühlen in die Schuhe hilft und Freundschaften übereilt, unsäglich gut meine, bin ich vollkommen überzeugt – jedoch bei all den Geschäften, die er sich immer zum Heile der Menschheit auf den Hals ladet, und wofür ihm niemand dankt, tappt er oft zu; es geht ihm, wie mir einst als Knaben, da ich gefangene Schmetterlinge unter Gläser einsperrte und mit dem besten Rindfleisch fütterte.
Ehe ich schließe, muß ich Dir noch den Verlauf mit dem kleinen Bilde erzählen. Man hat mich bei Aston dringend gebeten, es zu bringen; ich versprach es auf meinen nächsten Besuch. Da ich nun des andern Tages kam, hielt mich der Diener im Vorzimmer auf und sagte, er müsse Lady Lucia rufen.
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