»Ich möchte wissen, warum Sie sich einen Schneesturm zum Umherstreifen aussuchen. Wissen Sie, dass Sie Gefahr laufen, sich im Moore zu verirren? Selbst Leute, die mit unseren Sümpfen vertraut sind, kommen an solchen Abenden oft vom Wege ab, und ich sage Ihnen, dass im Augenblick keine Aussicht auf eine Änderung besteht.«
»Vielleicht darf ich einen Ihrer Burschen als Führer haben, und er kann bis morgen früh in meinem Gehöft bleiben. Können Sie jemanden entbehren?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Ach, wirklich? Nun, dann muss ich mich eben auf meinen eigenen Scharfsinn verlassen.«
»Hm!«
»Wirst du jetzt den Tee aufgiessen?« fragte der im schäbigen Rock und ließ seine wilden Blicke von mir zu der jungen Dame wandern.
»Soll er welchen haben?« fragte sie, sich an Heathcliff wendend.
»Mach los!« war die in einem so wütenden Tone vorgebrachte Antwort, dass ich auffuhr. Der Ton, in dem die Worte gesprochen wurden, offenbarte unverhüllte Bosheit, und ich fühlte mich nicht mehr geneigt, Heathcliff einen famosen Burschen zu nennen.
Als der Tee fertig war, lud er mich mit den Worten ein: »Na, dann rücken Sie Ihren Stuhl heran!« Wir alle, auch der bäuerliche junge Mann, vereinigten uns um den Tisch, und während wir uns mit der Mahlzeit beschäftigten, herrschte ein unfreundliches Schweigen.
Ich hielt mich zu einem Versuch verpflichtet, die Wolke, deren Ursache ich gewesen war, zu verscheuchen. Sie konnten doch nicht alle Tage so düster und schweigsam dasitzen; es war unmöglich, wie schlecht gelaunt sie auch sein mochten, dass der gemeinsame finstere Ausdruck ihr alltägliches Gesicht war! »Es ist seltsam«, begann ich in der Pause zwischen zwei Tassen Tee, »Es ist seltsam, wie stark Gewohnheit unsere Neigungen und Vorstellungen formt. Manch einer könnte sich kein Glück denken in einem Leben völliger Abgeschiedenheit von der Welt, wie Sie es führen, Mr. Heathcliff. Und doch wage ich zu behaupten, dass, umgeben von Ihrer Familie und mit Ihrer liebenswürdigen Hausfrau, die in Ihrem Heim und Herzen regiert…«
»Meine liebenswürdige Hausfrau?« unterbrach er mich mit einem geradezu teuflischen Hohnlachen im Gesicht. »Wo ist sie, meine liebenswürdige Hausfrau?«
»Ich meine Mrs. Heathcliff, Ihre Frau.«
»Ach so! Also Sie wollten andeuten, dass ihr Geist die Obliegenheiten eines Schutzengels übernommen hat und die Schätze von Wuthering Heights bewacht, obwohl ihr Leib dahin ist. War es so?«
Ich merkte, dass ich einen Fehler begangen hatte, und versuchte, ihn wiedergutzumachen. Ich hätte sehen müssen, dass der Altersunterschied zwischen den beiden zu groß war, als dass man sie für Mann und Frau hätte halten können. Er war etwa vierzig, ein Alter geistiger Kraft, in dem Männer sich selten der Täuschung hingeben, dass ein Mädchen sie aus Liebe heiraten könnte; dieser Traum ist uns als Trost für unseren Lebensabend vorbehalten. Sie sah aus wie höchstens siebzehn. Da blitzte es in mir auf: Der Tölpel an meiner Seite, der seinen Tee aus einem Napf trinkt und sein Brot mit ungewaschenen Händen isst, ist vielleicht ihr Mann. Natürlich, Heathcliff junior. Das ist die Folge des Lebendigbegrabenseins: sie hat sich an diesen Bauernlümmel weggeworfen aus lauter Unkenntnis, dass es noch bessere Männer gibt! Wie schade! — Ich muss vorsichtig sein und ihr keine Ursache geben, ihre Wahl zu bereuen. — Diese letzte Überlegung mag eingebildet klingen, sie war es nicht. Mein Nachbar erfüllte mich fast mit Abscheu; aus Erfahrung wusste ich, dass ich leidlich anziehend wirkte. »Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff, meine Vermutung bestätigend. Während er sprach, warf er einen eigentümlichen Blick in ihre Richtung, einen hasserfüllten Blick, es wäre denn, dass er über höchst eigenwillige Gesichtsmuskeln verfügte, die nicht, wie die anderer Leute, die Sprache der Seele erkennen lassen.
»O natürlich — ich verstehe: Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee«, bemerkte ich, mich an meinen Nachbar wendend.
Das war schlimmer als alles Vorhergehende! Der junge Mann wurde puterrot und ballte die Fäuste mit allen Anzeichen eines beabsichtigten Angriffs. Aber schließlich schien er sich zu fassen und unterdrückte den Sturm mit einem auf mich gemünzten Fluch, den ich zu überhören suchte.
»Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen«, bemerkte mein Wirt; »keiner von uns hat den Vorzug, der Gefährte Ihrer guten Fee zu sein; ihr Mann ist tot. Ich sagte, dass sie meine Schwiegertochter sei, daher muss sie meinen Sohn geheiratet haben.«
»Und dieser junge Mann ist…«
»Ganz gewiss nicht mein Sohn!« Heathcliff lächelte wieder, als ob es ein allzu kühner Scherz sei, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zuzuschreiben.
»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich rate Ihnen, Achtung davor zu haben!«
»Ich habe es nicht daran fehlen lassen«, entgegnete ich, innerlich über die Würde lachend, mit der er sich vorstellte.
Er starrte mich an, länger, als ich den Blick aushalten konnte, aus Furcht vor der Versuchung, ihm entweder eine Ohrfeige zu versetzen oder meine Heiterkeit zu verraten. Ich fühlte mich in diesem angenehmen Familienkreise durchaus fehl am Platze. Die düstere seelische Atmosphäre überwog die warme äussere Behaglichkeit um mich her, und ich beschloss, mich auf keinen Fall ein drittes Mal unter dieses Dach zu begeben. Die Mahlzeit war beendet, und da niemand zu geselliger Unterhaltung Neigung zeigte, ging ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es war ein trostloser Anblick: die Nacht war vorzeitig hereingebrochen, der Himmel und die Berge schwammen in dem heftigen Wirbel des Windes und des alles begrabenden Schnees.
»Jetzt glaube ich selbst, dass ich ohne Führer nicht nach Hause zurückfände«, entfuhr es mir unwillkürlich, »die Straßen werden bereits verschneit sein, und selbst wenn sie es nicht wären, könnte ich sie kaum einen Schritt weit erkennen.«
»Hareton, treibe die zwölf Schafe in die Scheune! Sie werden einschneien, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Lege auch eine Planke vor!« sagte Heathcliff.
»Was soll ich nur tun?« fragte ich mit aufsteigendem Ärger. Es kam keine Antwort auf meine Frage.
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