Seine Hagerkeit fiel ihr auf, der elegante, etwas zu helle Anzug, den er trug, sowie der jugendlich rasche, absichtlich federnde Schritt, mit dem er sich rascher entfernte, als er herangekommen war.

 

9

 

Am Tag nach dieser Begegnung erwartete Therese daheim Alfred Nüllheim, der ihr Bücher bringen und sie zu einem Spaziergang abholen sollte. Es war ihr eigentlich lästig; lieber wäre sie allein spazieren gegangen, trotzdem sie in der letzten Zeit öfters von Herren verfolgt und etliche Male auch schon angesprochen worden war. Wie immer zu dieser Jahreszeit, gab es viele Fremde in der Stadt. Therese hatte seit jeher einen offenen, neugierigen Blick für alles, was nach Vornehmheit und Eleganz aussah; als Zwölfjährige schon in Lemberg hatte sie für einen hübschen jungen Erzherzog geschwärmt, der im Regiment des Vaters als Leutnant diente, und sie bedauerte manchmal, daß Alfred, der doch aus wohlhabendem Hause war, trotz seiner guten Figur und seines feinen Gesichts sich gar nicht nach der Mode, ja geradezu kleinstädtisch zu kleiden pflegte. Die Mutter trat ins Zimmer, äußerte ihre Verwunderung, daß Therese bei dem schönen Wetter noch zu Hause sei, und fing wie beiläufig vom Grafen Benkheim zu sprechen an, den sie heute zufällig wieder getroffen hatte. Er interessiere sich für die kriegswissenschaftliche Bibliothek des Vaters, die er gelegentlich besichtigen wolle, um sie vielleicht käuflich zu erwerben. »Das ist nicht wahr«, sagte Therese, und ohne Gruß verließ sie das Zimmer. Sie nahm Hut und Jacke, lief die Treppe hinab. Im Hausflur begegnete ihr Alfred. »Endlich«, rief sie. Er entschuldigte sich; er war zu Hause aufgehalten worden. Schon dämmerte es. Was ihr denn wäre, fragte Alfred, sie sehe so erregt aus. »Nichts«, erwiderte sie. Übrigens habe sie ihm einen komischen Einfall anzuvertrauen. Wie wär's, wenn sie heute zusammen in einem der großen, schönen Hotelgärten zu Abend essen würden? Er und sie ganz allein unter lauter fremden Leuten? Er errötete. Oh, wie gern, wie gern; aber – leider – gerade heute sei es vollkommen unmöglich. Er habe nämlich kein Geld bei sich; jedenfalls zu wenig für ein gemeinsames Souper in einem der vornehmen Hotels, an die sie denke. Sie lächelte, sie sah ihn an. Er war noch tiefer errötet und rührte sie ein wenig. – »Das nächste Mal«, bemerkte er schüchtern. Sie nickte. Dann gingen sie weiter durch die Straßen, bald waren sie außerhalb der Stadt und nahmen ihren Lieblingsweg durch die Felder. Der Abend war schwül, die Stadt wich immer weiter hinter ihnen zurück, sternenlos hing über ihnen der dämmernde Himmel. Sie wandelten zwischen hochstehenden Ähren; Alfred hielt Theresens Hand gefaßt und fragte nach Karl. Sie zuckte die Achseln. »Er schreibt beinahe nie«, erwiderte sie. »Ich habe überhaupt noch nichts von ihm gehört,« sagte Alfred, »seit er fort ist.« Dann kam er wieder auf seine eigene, bald bevorstehende Abreise zu reden. Therese schwieg und sah an ihm vorbei. Ob sie ihm wenigstens nach Wien schreiben werde?

»Was sollte ich Ihnen schreiben?« erwiderte sie ungeduldig.