Die Sehnsucht, Don Zesara zu sehen, entflammte sich an der römischen Geschichte mehr, welche Cäsars kolossalisches Bild vor ihm in die Höhe stellte und darunterschrieb: Zesara. Die verhüllte Lindenstadt wurde von seiner Phantasie auf sieben Hügeln getragen und zum Rom erhoben. Ein Posthorn schallte in sein Innerstes wie ein Schweizer Kuhreigen, der alle Höhen unserer Wünsche in langen Bergketten glänzend in den Äther hinausbauet; und es blies ihm das Zeichen zum Aufbruch, und alle Städte der Erde lagen mit offnen Toren und mit breiten Fuhrstraßen um ihn herum. Und wenn er in jener Zeit an einem kalten hellen Sommermorgen neben einem nach Pestitz gehenden Regimente so lange metrisch mitzog, als die Trommeln und die Pfeifen lärmten: so feierte seine Seele ein Händelsches Alexanderfest – sie hörte die Vergangenheit – das Fahren der Triumphwagen – das Gehen der spartischen Heere und ihre Flöten – und die helle Trompete der Fama – und wie unter den letzten Posaunen erstand seine Seele unter lauter glänzenden Toten aus der aufgeriegelten Erde und zog mit ihnen weiter. – –

Wenn die Geschichte einen edlen Jüngling in die Ebene von Marathon und auf das Kapitolium führt: so will er an seiner Seite einen Freund, einen Waffenbruder haben – aber auch weiter nichts, keine Waffenschwester; denn einem Heros schadet eine Heroine sehr. In den starken Jüngling zieht die Freundschaft eher als die Liebe ein; jene erscheint wie die Lerche im Vorfrühlinge des Lebens und geht erst im späten Herbste fort; diese kommt und fliehet wie die Wachtel mit der warmen Zeit. Albano hörte schon diese Lerche unsichtbar in den Lüften über ihm schmettern; er fand einen Freund, nicht in Blumenbühl, nicht in der Lindenstadt, an keinem Orte, sondern in seiner – Brust; aber diesen hieß er – Roquairol.

Die Sache war diese: für Leute wie ich ist das Landleben der Honig, worin sie die Pille des Stadtlebens einnehmen; Falterle hingegen brachte das bittre Landleben nicht ohne die Versilberung des Stadtlebens hinunter; wöchentlich lief er dreimal nach Pestitz, entweder in die Logen der Liebhabertheater als Dramaturg oder auf diese selber als Akteur. Nun nahm er jedesmal sein Rollenbüchlein aufs Dorf hinaus und studierte da – im Vertrauen auf die Komödienprobe – – seine Rolle insularisch ohne die kollegialischen ein; so wie noch jeder Staatsdiener seine ohne einen Blick in die mitspielenden memoriert; daher jeder von uns nur aus einer Seelenkraft besteht und, wie in der russischen Jagdmusik, nur einen Ton zu pfeifen weiß und seine Stärke ins Pausieren setzen muß. – In diesen von Falterle geliehenen Bruchstücken der Bühne ging nun Albano mit einem Entzücken herum, das jener bald höher zu treiben suchte durch den Tausch der ganzen dramatischen Weltgloben gegen diese Kugelsektoren.

Der Wiener hatt' ihm längst den selbstmörderischen Wildfang Roquairol als ein Genie im Lernen – besonders sich als eines im Lehren – vorgelobt; jetzt führt' er den Beweis aus den großen Rollen, die der Wildfang immer gut spiele. Übrigens war es nicht seine Schuld, daß er den Ministers-Sohn nicht ungemein heruntersetzte, dem er nicht nur die theatralischen Siege beneidete, sondern auch die erotischen. Denn der phantasiereiche Roquairol hatte mit dem Selbstschusse des 13ten Jahres das ganze weibliche Geschlecht salutiert und gewonnen und sich zum Opferpriester aus einem Opfertiere gemacht und zum Regisseur des ans Liebhabertheater gestoßenen Liebhaberinnentheater, indes der scheue blöde Falterle mit seiner totgebornen Phantasie keine Schöne zu einem andern Schritte brachte als zum Rückpas im Menuett und statt der Setzung seines Ichs zu nichts als zur Fingersetzung. Aber der Eitle kann andern kein Lob versagen, das sein eignes wird.

Wie mußte das alles unsern Freund für einen Jüngling gewinnen, den er bald als Karl Moor – bald als Hamlet – als Clavigo – als Egmont durch seine Seele gehen sah! – Was den bekannten Redoutenschuß in frühern Jobelperioden anlangt, so mußte unser so unerfahrner Herkules, den der blanke Dolch des Kato blendete, einem so verwandten Herakliden den Schuß als eine seiner tragischen 12 Arbeiten anrechnen. – Der Lehnpropst Hafenreffer erzählt sogar, Albano habe einmal mit dem Wiener, der längst aus einem Schullehrer zu einem Schulkameraden herunter war, über die schönsten Todesarten gestritten und sei gegen den sanften Falterle, der sich für den Schlaftrunk erklärte, auf Roquairols Seite getreten, sogar mit dem stärkern Zusatze: »am liebsten stieg' er auf einen Turm und zöge den Wetterstrahl auf seinen Kopf!« – Im letztern zeigt er das hohe Gefühl der Alten, die den Donnertod für keine Verdammnis, sondern für eine Vergötterung hielten; sollt' aber nicht der Körper etwas dabei tun, da seine Ellenbogen und seine Haare oft im Finstern elektrisches Feuer aussprühen und sein Kopf in der Wiege mehrmals einen heiligen Zirkel ausstrahlt? Der Lehnpropst ist sehr dafür. – –

Albano konnte sein feuriges Herz am Ende nicht anders kühlen, als daß er Papier nahm und an den Unsichtbaren schrieb und es dem Wiener zu bestellen gab. Falterle, der die Gefälligkeit selber war – und dabei auch die Unwahrheit selber –, nahm trotz seiner Abneigung gegen Roquairol die Briefe herzlich gern mit »ich bin beim Minister ja wie zu Hause«, sagt' er –, bestellte aber, da er sowohl im stolzen Froulayschen Palaste als bei dem Sohne wenig galt, keinen einzigen und brachte bloß jedesmal eine neue gültige Ursache mit, warum Roquairol nicht darauf antworten können; er war entweder zu sehr in der Arbeit – oder auf dem Krankenstuhle – oder in Gesellschaft – jedesmal aber entzückt darüber gewesen; – und unser argloser Jüngling glaubte alles fest und schrieb und hoffte fort. Vom Legationsrate wär' es brav gewesen, wenn er mich, falls er anders konnte, sich verbindlich gemacht und mir Albanos Palm-Blätter eines liebenden Herzens eingeliefert hätte; nicht für das Archiv dieses Buchs, sondern bloß für meine Manualakten, für den Blumenblätterkatalog, den ich mir zu eignem Gebrauche von Albanos Nelkenflor hefte und leime. –

 

20. Zykel

 

Plötzlich wurde unser Zesara, der in die Jahre trat, wo der Gesang der Dichter und der Nachtigallen tiefer in die aufgeweichte Seele quillt, ein anderer Mensch. Er wurde stiller und wilder zugleich, sanfter und aufbrausender, wie er denn einmal einem unter Prügeln schreienden Hunde im wildesten Harnische zu Hülfe lief – Himmel und Erde, die bisher in ihm, wie nach dem ägyptischen Systeme, ineinander gelegen, nämlich das Ideal und die Wirklichkeit, arbeiteten sich voneinander los, und der Himmel stieg rein und hoch und glänzend zurück – über die innere Welt ging eine Sonne auf und über die äußere ein Mond, aber beide Welten und Halbkugeln zogen sich zu einer ganzen an sein Aufschritt wurde langsamer, sein helles Auge träumerisch, seine Athleten-Gymnastik seltener – er mußte jetzt alle Menschen wärmer lieben und sie näher fühlen, und er fiel oft seiner Pflegemutter mit geschlossenen Augen zitternd um den Hals oder nahm draußen im Freien von dem verreisenden Pflegevater einen einsamern und heißern Abschied. –

Und nun wurde vor solchen reinen und scharfen Augen der Isis-Schleier der Natur durchsichtig, und eine lebendige Göttin blickte mit seelenvollen Zügen darunter in sein Herz. Ach als wenn er seine Mutter fände, so fand er jetzt die Natur – jetzt erst wußt' er, was der Frühling sei und der Mond und das Morgenrot und die Sternennacht Ach wir haben es alle einmal gewußt, wir wurden alle einmal von der Morgenröte des Lebens gefärbt!

.... O warum achten wir nicht alle ersten Regungen der menschlichen Natur für heilig, als Erstlinge für den göttlichen Altar?

Es gibt ja nichts Reineres und Wärmeres als unsere erste Freundschaft, unsere erste Liebe, unser erstes Streben nach Wahrheiten, unser erstes Gefühl für die Natur; wie Adam werden wir erst aus Unsterblichen Sterbliche; wie Ägypter werden wir früher von Göttern als Menschen regiert; – und das Ideal eilet der Wirklichkeit, wie bei einigen Bäumen die weichen Bluten den breiten rohen Blättern, vor, damit nicht diese sich vor das Stäuben und Befruchten jener stellen. –

Wenn oft Albano von seinen innern und äußern Irrgängen nach Hause kam, zugleich trunken und durstig – zugleich mit geschlossenen Sinnen und mit geschärften, träumend, aber wie Schläfer, die das Auslöschen des Lichts herber empfinden –: so braucht' es freilich wenige kalte Tropfen von kalten Worten, damit die heiße, in Fluß gebrachte Seele von den fremden kalten Körpern in Zickzack und Klumpen zerschoß, indes eine warme Form den Guß zur lieblichsten Gestalt geründet hätte. –

Bei so bewandten Umständen wird sich freilich keiner wundern über das, was ich bald berichten werde. Der Tanz-, Musik- und Fecht-Meister, der wenig auf seine Pas, Griffe und Stöße großtat, aber desto mehr auf seine (Reichstags-) Literatur – denn die neuen Monatsnamen, die Klopstocksche Rechtschreibung und die lateinischen Lettern in deutschen Briefen hatt' er früher in seinen als einer von uns –, wollte dem Wehrfritzischen Hause gern zeigen, daß er ein wenig mehr von Literatur verstehe und da wisse, wo der Hase liegt, als andere Wiener (um so mehr, da er gar nichts las, nicht einmal politische Zeitungen und Romane, weil ihm lebendige wahre Menschen lieber waren); – er trat daher nie ins Haus, ohne zwei Taschen voll Romane und Verse für Rabette und Albano. Dazu half seine unendliche Dienstbeflissenheit – und sein kollegialisches Wettrennen mit Wehmeier im Bilden und sein Anteilnehmen am verstummenden Jünglinge, dem er aus den süßen Träumen, die der Rubin30 des glänzenden jugendlichen Lebens schenkt, mit den exegetischen Traumbüchern, den Dichterwerken, helfen wollte. Die Umwälzung des Jünglings, der nun ganze romantische Everdingens-Wiesen abmähete und ganze poetische Huysums-Blumenrabatten abpflückte, auch nur leidlich zu schildern, hab' ich jetzt wegen der oben versprochnen Wundersache weder Zeit noch Lust; genug, daß Albano, so dasitzend – der Himmel der Dichtkunst vor ihm aufgetan, das gelobte Land des Romans vor ihm ausgebreitet –, einem Erdballe glich, an welchen mehrere Schwanzsterne sich brausend anwerfen und der mit ihnen gemeinschaftlich aufbrennt.

Allein wie weiter? Der Wiener, das muß ich noch vorher sagen, war ein eitler Narr (wenigstens in Punkten der Demut, z.B. seiner Zwergfüße, seiner Literatur, seines Glücks bei Weibern) und ließ besonders durch vertraute Gemälde von Großen und Damen gern auf sein Föderativsystem mit den Originalen schließen. Der arme Teufel war freilich arm und glaubte mit mehrern Autoren, er und diese hätten – ungleich dem Salomo, der Weisheit erbat und Gold erhielt – umgekehrt das Unglück gehabt, nur erstere zu empfangen, indes sie um letzteres geworben. Kurz aus solchen Gründen wollt' er – im Vorbeigehen gesagt – gern den Glauben im Wehrfritzischen Hause ausgebreitet wissen, daß er sehr gut stehe bei seiner vorigen Schülerin, der Ministers-Tochter- Liane, glaub' ich, wenn ich anders Hafenreffer Hand richtig lese –, und daß er sie oft genug sehe und spreche bei ihrer Mutter.