Der Henker müßte darin (oder darauf) sitzen, wenn ein geschickter Bereiter nicht sein Trauerroß so zureiten wollte, daß es sich recht gut zu einem Handgaul des Freudenpferdes anstellte; ich schule sowohl mein Sonnenroß als mein Bagageroß viel anders.«
Vor allen Dingen nahmen sie jetzt die Otaheiti-Insel durch Märsche ein, und jede Provinz derselben mußte ihnen, wie eine persische dem Kaiser, ein anderes Vergnügen entrichten. – »Die untern Terrassen« (sagte Schoppe)»müssen uns Majoratsherren den Obst- und Sackzehent in Zitronen- und Orangendüften abliefern – die oberste trägt die Reichssteuer in Aussichten ab – die Grotte drunten zahlet, hoff' ich, Judenschutz in Wellen-Gemurmel und der Zypressenwald drüben seine Prinzessinsteuer in Kühle – die Schiffe werden ihren Rhein- und Neckarzoll nicht defraudieren, sondern ihn dadurch erlegen, daß sie sich von weitem zeigen.«- –
Es wird mir nicht schwer, zu merken, daß Schoppe durch diese scherzhaften Vexierzüge die heftigen Bewegungen in Cesarens Kopf und Herzen brechen wollte; denn noch immer ging der Glanz der Morgenentzückung, wiewohl der Jüngling über kleinere Dinge unbefangen sprach, nicht von dessen Gesicht. In ihm zitterte jede Erschütterung lange – und eine am Morgen den ganzen Tag – und zwar darum nach, weswegen eine Sturmglocke länger nachsummt als eine Schafglocke; gleichwohl konnte ein solcher Nachklang weder seine Aufmerksamkeit noch seine Werke und Gespräche stören.
Mittags wollte der Ritter kommen. Bis dahin schwärmten und sumseten sie stiller-genießend mit Bienenflügeln und Bienenrüsseln durch die honigreiche Flora der Insel; und sie hatten jene heitere Unbefangenheit der Kinder, der Künstler und der südlichen Völker, die nur den Honigbehälter der Minute ausnascht; und daher fanden sie an jeder anfallenden Welle, an jedem Zitronenspalier, an jeder Statue unter Blüten, an jedem rückenden Widerschein, an jedem fliehenden Schilfe mehr als eine Blume, die den gefüllten Kelch weiter unter dem warmen Himmel aufmachte, anstatt daß es uns unter unserm kalten wie den Bienen geht, vor denen Maifröste die Blumen verschließen. – O die Insulaner tun recht. Unser größter und längster Irrtum ist, daß wir das Leben, d.h. seinen Genuß, wie die Materialisten das Ich, in seiner Zusammensetzung suchen, als könnte das Ganze oder das Verhältnis der Bestandteile uns etwas geben, das nicht jeder einzelne Teil schon hätte. Besteht denn der Himmel unsers Daseins, wie der blaue über uns, aus öder matter Luft, die in der Nähe und im Kleinen nur ein durchsichtiges Nichts ist und die erst in der Ferne und im Großen blauer Äther wird? Das Jahrhundert wirft den Blumensamen deiner Freude nur aus der porösen Säemaschine von Minuten; oder vielmehr an der seligen Ewigkeit selber ist keine andere Handhabe als der Augenblick. Das Leben besteht nicht aus 70 Jahren, sondern die 70 Jahre bestehen aus einem fortwehenden Leben, und man hat allemal gelebt und genug gelebt, man sterbe, wenn man will.
3. Zykel
Endlich als die drei Frohen sich in die Tafelstube eines Lorbeerwaldes vor ihre Speis- und Trankopfer, die Schoppe zu Sesto ins Proviantschiff eingepackt hatte, niedersetzen wollten: ging durch die Zweige ein feiner, elegant und einfärbig gekleideter Fremder mit langsamen festen Schritten auf die liegende Tischgesellschaft zu und wandte sich, ohne zu fragen, sofort an Cesara mit der deutschen, langsam, leise und bestimmt prononcierten Anrede: »Ich habe dem Herrn Grafen Cesara eine Entschuldigung zu bringen.« – »Von meinem Vater?« fragt' er schnell. – »Um Verzeihung, von meinem Prinzen;« (versetzte der Fremde) »er verhinderte Ihren Herrn Vater, der kränklich aufstand, in der Morgenkühle zu reisen, aber gegen Abend wird er eintreffen. – Indes bring' ich« (setzte er mit einem wohlwollenden Lächeln und mit einer leichten Verbeugung hinzu) »dem Herrn Ritter ein Opfer, daß ich den Anfang des Glücks, künftig länger bei Ihnen zu sein, Herr Graf, mit einer Nachricht Ihres Verlustes mache.« – – Schoppe, der fein erriet, ohne fein zu sprechen, fuhr sofort heraus – weil er sich von keinem Menschen imponieren ließ –: »Sonach sind wir pädagogische Maskopisten und Unioten. Willkommen, lieber Grau-Bündner!« – »Es freuet mich«, sagte kalt der Fremde, der grau angezogen war.
Aber erraten hatt' es Schoppe; der Fremde sollte künftig das Oberhofmeistertum bei Cesara bekleiden, und Schoppe war Kollaborator. Mir kommt es vernünftig vor; der elektrische funkelnde Schoppe konnte das Katzenfell, der Fuchsschwanz, die Glasscheibe sein, die unsern aus Leiter und Nichtleiter gebaueten Jüngling vollud, der Oberhofmeister konnte als Leiter der Funkenzieher sein, der ihn mit feinen Franklinschen Spitzen auslud.
Der Mann hieß von Augusti, war Lektor bei dem Prinzen und hatte viel in der großen Welt gelebt; er schien, wie dieser ganze Hof-Schlag, zehen Jahre älter zu sein, denn er war wirklich erst 37 Jahre.
Man hätt' es auszubaden unter dem umgekehrten Dintentopf rezensierender Xanthippen, wenn man die Rezensenten oder Xanthippen in der Unwissenheit ließe, wer der Prinz eigentlich war, dessen wir alle oben erwähnten. Es war der Erbprinz von Hohenfließ, in dessen Dorfe Blumenbühl der Graf erzogen war und in dessen Hauptstadt er nun ziehen sollte. Der hohenfließische Infant jagte aus Italien, worin er viele Notmünzen und Territorialmandate nachgelassen hatte, stäubend und keuchend nach Deutschland zurück, um da auf sich Huldigungsmünzen auszuprägen, weil sein regierender Vater die Treppe in das Erbbegräbnis hinabging und nur noch einige Stufen zum Sarge hatte.
Unter dem Essen sprach der Lektor Augusti mit wahrem Geschmack über die liebliche Gegend, aber mit wenig Sturm und Drang, und zog sie einigen Tempestas4 im borromäischen Palaste bei weitem vor. Dann ging er – um des Ritters öfter zu gedenken – zu den Personalien des Hofes über und gestand, daß der deutsche Herr, Mr. de Bouverot, in besonderer Gnade stehe – denn bei Hofleuten und Heiligen tut die Gnade alles – und daß der Prinz ungemein an Nerven leide u.s.w. Die Hofleute, die sonst ihr Ich nach dem fremden zuschneiden, fassen doch für einen, der nicht am Hofe lebt, ihre ministeriellen Blätter darüber so ausführlich und ernsthaft ab, daß ihr Zeitungsleser dabei entweder lacht oder einschläft; ein Hofmann und das Buch »des erreurs et de la verité« nennen den Jesuitergeneral Gott – die Jesuiten Menschen und die Nichtjesuiten Tiere. – Schoppe horchte mit einem fatalen Kräusel- und Schnörkelwerke auf dem Gesichte zu; er hassete Höfe bitter. Der Jüngling Albano dachte nicht viel besser; ja da er gern wagte, lieber mit dem Arm des innern Menschen als mit den Fingern desselben arbeitete und anpackte und vor den Schneepflug und die Egge- und Säemaschine des Lebens gern Streit- und Donnerrosse vorspannte, anstatt eines Zugs tüchtiger Filial- und Ackerpferde: so konnt' er Leute, die vorsichtig und bedächtig zu Werke gingen und die lieber lackierte Arbeit und leichte Frauenzimmerarbeit machten als Herkulesarbeiten, nicht sonderlich leiden. Gleichwohl mußt' er für die auf einer schönen Selbstständigkeit ruhende Bescheidenheit Augustis, der kein Wort von sich selber sprach, so wie für seine Reisekenntnisse, Achtung tragen.
Cesara – beiläufig, in diesem Zykel will ich ihn noch mit C, der spanischen Orthographie zu Gefallen, schreiben; aber vom vierten an wird er, weil ich in meiner keines gewohnt bin und mich im langen Buche nicht ewig verschreiben kann, mit einem Z geschrieben – Cesara konnte den Lektor nicht genug über seinen Vater abhören. Er erzählte ihm die letzte Handlung des Ritters in Rom, aber mit einer irreligiösen Kälte, die im Jüngling eine andere wurde. Don Gaspard wettete nämlich mit einem deutschen Nuntius Gemälde gegen Gemälde, daß er einen gewissen Deutschen (Augusti wollt' ihn nicht nennen), dessen Leben nur ein längerer moralischer Kotmonat in Epikurs Marstalle war, in zwei Tagen, ohne ihn zu sehen, auf so lange bekehren wollte, als der Nuntius verlangen würde. Dieser wettete, ließ aber den Deutschen heimlich umstellen. Nach zwei Tagen sperrte sich der Deutsche ein, wurde andächtig, bleich, still, bettlägerig und kam im Handeln einem wahren Christen nahe. Der Nuntius sah dem Übel eine Woche lang zu, dann verlangt' er schleunige Verwandlung oder den Circes- der die tierische Gestalt wieder herstellte. Der Ritter berührte den Deutschen mit dem Stabe, und das epikureische Schwein stand genesen da. Ich weiß nicht, was unerklärlicher ist, das Wunderwerk oder die Härte. Aber der Lektor konnte nicht sagen, mit welchen Menstruis Gaspard diese schnellen Auflösungen und Wolken und Präzipitationen erzwang.
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