Er bestieg die von Limonien mit Sonnenschein besprengte Galerie und sah nach den hohen Zypressen und den Kastaniengipfeln im weiten Blau, wo ihm der Mond wie das aufgegangne Mutter-Auge erschienen war. – Er trat nahe vor eine Kaskade hinter dem Lorbeerwalde, die sich in 20 Absätze wie er in 20 Jahre zerteilte, und er fühlte auf den heißen Wangen ihren dünnen Regen nicht.
Er stieg nun auf die hohe Terrasse zurück, um seinen Freunden entgegenzusehen. Wie gebrochen und magisch stahl sich der Sonnenschein der äußern Welt in den heiligen dunkeln Irrhain der innern! – Die Natur, die gestern ein flammender Sonnenball gewesen, war heute ein Abendstern voll Dämmerlicht – die Welt und die Zukunft lagen so groß um ihn und doch so nahe und berührend, wie vor dem Regen Eisberge näher scheinen im tiefern Blau – er stellte sich auf das Geländer und hielt sich an die kolossalische Statue, und sein Auge schweifte hinab zu dem See und hinauf zu den Alpen und zu dem Himmel und wieder herab, und unter der freundlichen Luft Hesperiens flatterten leicht bedeckt alle Wellen und alle Blätter auf – weiße Türme blinkten aus dem Ufer-Grün, und Glocken und Vögel klangen im Winde durcheinander. – Ein schmerzliches Sehnen faßte ihn, da er nach der Bahn seines Vaters sah; ach nach dem wärmern Spanien voll schwelgerischer Frühlinge, voll lauer Orange-Nächte, voll umhergeworfener Glieder zerstückter Riesengebürge, da wäre er gern durch den schönen Himmel hingeflogen! – Endlich löste sich das Freuen und das Träumen und das Scheiden in jene unnennbare Wehmut auf, worein das Übermaß der Wonne den Schmerz der Grenzen kleidet, weil ja unsere Brust leichter zu überfüllen als zu füllen ist. – –
Auf einmal wurde Albano gerührt und ergriffen, als wenn die Gottheit der Liebe ein Erdbeben in seinen innern Tempel schickte, um ihn für ihre künftige Erscheinung einzuweihen, da er an einem indischen Bäumchen neben sich den Zettel mit dessen Namen Liane las. Er sah es zärtlich an und sagte immer: »Liebe Liane!« Er wollte sich einen Zweig abbrechen; da er aber daran dachte, daß dann Wasser aus ihm rinne, so sagte er: »Nein, Liane, durch mich sollst du nicht weinen« und unterließ es, weil in seiner Erinnerung das Gewächs auf irgendeine Art mit einem unbekannten teuern Wesen in Verwandtschaft stand. Sich unaussprechlich-hinübersehnend blickte er jetzt nach den Tempeltoren Deutschlands, nach den Alpen – in einem Frühlingswölkchen schien sich der schneeweiße Engel seines Traums tief einzuhüllen und nur stumm darin dahinzuschweben – und es war ihm, als hör' er von fernen Harmonikatöne. – Er zog, um nur etwas Deutsches zu haben, eine Brieftasche heraus, worauf seine Pflegeschwester Rabette die Worte gestickt: Gedenke unserer; er fühlte sich allein und war nun erfreuet über die Freunde, welche heiter von Isola madre zurückruderten.
Ach Albano, welch ein Morgen wäre dieser für einen Geist wie deinen zehn Jahre später gewesen, wo sich die feste Knospe der jungen Pracht schon weiter und weicher und loser auseinander geblättert hätte! Vor einer Seele wie deiner wären dann, da die Gegenwart in ihr blaß wurde, zwei Welten zugleich – die zwei Ringe um den Saturn der Zeit – die der Vergangenheit und die der Zukunft miteinander aufgegangen; du hättest nicht bloß über die kurze rückständige Laufbahn an das helle weiße Ziel geblickt, sondern dich umgewandt und die krumme lange durchlaufene überschauet. Du hättest die tausend Fehlgriffe des Willens, die Fehltritte des Geistes zusammengerechnet und die unersetzliche Verschwendung des Herzens und des Gehirns. Würdest du auf den Boden haben sehen können, ohne dich zu fragen: Ach haben die 1004 Erschütterungen17, die durch mich wie durch das Land hinter mir gegangen sind, mich ebenso befruchtet wie dieses? – O da alle Erfahrungen so teuer sind, da sie uns entweder unsere Tage kosten oder unsere Kräfte oder unsere – Irrtümer: o warum muß der Mensch an jedem Morgen vor der Natur, die mit jedem Tautropfen in der Blume wuchert, so verarmet über die tausend vergeblich vertrockneten Tränen erröten, die er schon vergossen und gekostet hat? – Aus Frühlingen zieht diese Allmächtige Sommer auf, aus Wintern Frühlinge, aus Vulkanen Wälder und Berge, aus der Hölle einen Himmel, aus diesem einen größern – – und wir törichte Kinder wissen uns aus keiner Vergangenheit eine Zukunft zu bereiten, die uns stillt – wir hacken wie die Steindohle nach jedem Glanze und tragen die Glutkohle als Goldstück beiseite und zünden damit Häuser an – ach mehr als eine große schöne Welt geht unter in der Brust und läßt nichts zurück, und gerade der Strom der höhern Menschen verspringt, und befruchtet nichts, wie sich hohe Wasserfälle zersplittern und schon weit über der Erde verflattern. –
Albano empfing die Freunde mit vergütender Zärtlichkeit; aber dem Jünglinge wurde mit der Zunahme des Tages so öde und bange wie einem, der seine Stube im Gasthofe ausgeleeret, der die Rechnung entrichtet und der nur noch einige Minuten in dem rauhen leeren Stoppelfelde auf- und abzugehen hat, bis die Pferde kommen. Wie fallende Körper bewegten sich in seiner heftigen Seele Entschlüsse in jeder neuen Sekunde schneller und stärker; er bat mit äußerer Milde, aber innerer Heftigkeit seine Freunde, noch heute mit ihm abzureisen. – Und so ging er nachmittags mit ihnen von der stillen Kindheits-Insel ab, um durch die Kastanienalleen Mailands eilig auf die neue Bühne seines Lebens und an die Falltüre zu kommen, die sich in den unterirdischen Gang so vieler Rätsel öffnet. –
Antrittsprogramm des Titans
Eh' ich den Titan dem flachsenfingischen geheimen Legationsrat und Lehnpropst, Herrn von Hafenreffer, dedizierte: so fragt' ich bei ihm erst so um die Erlaubnis an:
»Da Sie weit mehr an dieser Geschichte mitarbeiteten als der russische Hof an Voltairens Schöpfungsgeschichte des großen Peters: so können Sie meinem dankbegierigen Herzen nichts Schöneres geben als die Erlaubnis, Ihnen wie einem Judengotte das zu opfern und zu dedizieren, was Sie geschaffen haben.«
Aber er schrieb mir auf der Stelle zurück:
»Aus derselben Raison könnten Sie, wie es Sonnenfels getan, das Werk noch besser sich selber dedizieren und, in einem richtigern Sinne als andere, den Verfasser und Gönner desselben zugleich vereinen. – Lassen Sie mich (auch schon des Herrn von ** und der Frau von ** wegen) aus dem Spiele; und schränken Sie sich bloß auf die notwendigsten Notizen ein, die Sie dem Publikum von dem sehr maschinenmäßigen Anteil, den ich an Ihrem schönen Werke habe, etwa gönnen wollen, aber um der Götter willen hic haec hoc hujus huic hunc hanc hoc hoc hac hoc.«
v. Hafenreffer.
Die römische Zeile ist eine Chiffre und soll dem Publikum dunkel bleiben. –
Was dasselbe vom Antrittsprogramme zu fordern hat, sind vier Namenerklärungen und eine Sacherklärung.
Die erste Namenerklärung, welche die Jobelperiode angeht, treff' ich schon bei dem Stifter der Periode, dem Superintendent Franke, an, der sie für eine von ihm erfundne Ära oder Zeitsumme von 152 Zykeln erklärt, deren jeder seine guten 49 tropischen Mondsonnenjahre in sich hält. Das Wort Jobel setzt der Superintendent voran, weil in jedem siebenten Jahre ein kleines, und in jedem siebenmal 7ten oder 49sten ein großes Jobel-, Schalt-, Erlaß-, Sabbats-oder Hall-Jahr anbrach, wo man ohne Schulden, ohne Säen und Arbeiten und ohne Knechtschaft lebte. Glücklich genug wend' ich, wie es scheint, diesen Jobelnamen auf meine historischen Kapitel an, welche den Geschäftsmann und die Geschäftsfrau in einem sanften Zykel voll Frei-, Sabbats-, Erlaß-, Hall- und Jobelstunden herumführen, worin beide nicht zu säen und zu bezahlen, sondern nur zu ernten und zu ruhen brauchen; denn ich bin der einzige, der als krummgeschlossener pflügender Fröner an dem Schreibtische steht und welcher Säemaschinen und Ehrenschulden und Handschellen vor und an sich sieht. – Die siebentausendvierhundertundachtundvierzig tropischen Mondsonnenjahre, die eine Frankesche Jobelperiode enthält, sind auch in meiner vorhanden, aber nur dramatisch, weil ich dem Leser in jedem Kapitel immer so viel Ideen – und diese sind ja das Längen- und Kubikmaß der Zeit – vortreiben werde, bis ihm die kurze Zeit so lang geworden, als das Kapitel verlangte.
Ein Zykel – welches der Gegenstand meiner zweiten Namenerklärung ist – braucht nun gar keine.
Die dritte Nominaldefinition hat die obligaten Blätter zu beschreiben, die ich in zwanglosen Heften in jeder Jobelperiode herausgebe. Die obligaten Blätter nehmen durchaus nur reine gleichzeitige, mit meinem Helden weniger zusammenhängende Fakta von solchen Leuten auf, die mit ihm desto mehr zusammenhängen; auch in den obligaten Blättern ist nicht das kleinste, nur einer Brandblase große satirische Extravasat von Ausschweifung ersichtlich, sondern der selige Leser und Lektor wandelt mit den Seinigen frei und aufgeweckt und gerade durch das weite Hoflager und die Reitbahn und Landschaft eines ganzen langen Bandes zwischen lauter historischen Figuren – auf allen Seiten von fliegenden Corps, von tätigen Knapp- und Judenschaften, anrückenden Marschsäulen, reitenden Horden und spielenden Theatertruppen umzingelt – und er kann sich gar nicht satt sehen.
Ist aber der Tomus aus: so fängt – das ist die letzte Nominaldefinition – sich ein kleiner an, worin ich mache, was ich will (nur keine Erzählung), und worin ich mit solcher Seligkeit mit meinem langen Bienenstachel auf- und abfliege von einer Blüten-Nektarie und Honigzelle zur andern, daß ich das bloß zum Privatvorteile meines Ausschweifens gebauete Filialbändchen recht schicklich meine Honigmonate benenne, weil ich darin Honig weniger mache als esse, geschäftig nicht als eintragende Arbeitsbiene, sondern als zeidelnder Bienenvater. – Bisher hatt' ich freilich geglaubt, das Durchfahren meiner satirischen Schwanzkometen würde jeder Leser von dem ungestörten Gange meines historischen Planetensystems auf der Stelle absondern, und ich hatte mich gefragt: »Wird denn in einer Monatsschrift die Einheit einer Geschichte durch das Abbrechen der letztern und durch die Erbfolge eines andern Aufsatzes beschädigt; und haben sich denn die Leser darüber beschweret, wenn z.B. in den Horen-Jahrgängen zuweilen Cellinis Geschichte abgebrochen und ein ganz anderer Aufsatz eingehoben wurde?« – Aber was geschah?
Wie im Jahre 1795 eine medizinische Gesellschaft in Brüssel den contract social unter sich machte, daß jeder eine Krone Strafgeld erlegen sollte, der in der Session einen andern Laut von sich gäbe als einen medizinischen: so ist bekanntlich ein ähnliches Edikt vom 9ten Juli an alle Biographen erlassen, daß wir stets bei der Sache – welches die Historie ist – bleiben sollten, weil man sonst mit uns reden würde. Der Sinn des Mandats ist der, daß, wenn ein Biograph in allgemeinen Welthistorien von 20 Bänden, ja in noch längern – wie z.B. in dieser – ein- oder zweimal denkt oder lacht, d.h. abschweift, Inkulpat auf der kritischen Pillory als sein eigner Pasquino und Marforio ausstehen soll – welches man an mir schon mehr als einmal vollstreckte.
Jetzt aber geb' ich den Sachen eine andere Gestalt, indem ich erstlich Geschichte und Digression in diesem Werke strenge auseinanderhalte – wenig Dispensationsfälle ausgenommen –, zweitens indem ich die Freiheiten, die ich mir in meinen vorigen Werken nahm, im jetzigen zu einem Rechte, zu einer Servitut verjähre und verstärke; der Leser ergibt sich, wenn er weiß, nach einem Bande voll Jobelperioden erscheinet durchaus nie etwas anders als einer voll Honigmonate. Ich schäme mich, wenn ich mich erinnere, wie ich sonst in frühern Werken mit dem Bettelstabe vor dem Leser stand und um Ausschweifungen bat, indes ich doch – wie ich hier tue – mir das Anleihen hätte erzwingen können, wie man von Weibern mit Erfolg nicht nur Tribut als Almosen, sondern auch das don gratuit als Quatembersteuer zu begehren hat. So macht es nicht bloß der kultivierte Regent auf dem Landtage, sondern schon der rohe Araber, der dem Passagier außer der Barschaft noch einen Schenkungsbrief derselben abnötigt.
Ich komme nun auf den geheimen Legationsrat von Hafenreffer, welcher der Gegenstand meiner versprochnen Sacherklärung ist.
Aus dem 45sten Hundsposttage sollt' es einmal bekannt sein, wer Flachsenfingen beherrscht – nämlich mein Herr Vater. Im Grunde war meine so frappante Standeserhöhung mehr ein Schritt als ein Sprung; denn ich war vorher schon Jurist, mithin schon die Knospe oder das Blütenkätzchen eines noch eingewickelten Doktors utriusque, und folglich ein Edelmann, da im Doktor der ganze Rogen und Dotter zum Ritter steckt; daher er auch so gut wie dieser, wenn gerade etwas vorbeigeht, vom Sattel oder Stegreif lebt, wiewohl weniger in einem Raubschlosse als Raubzimmer. Ich habe also seit dem Avancement weniger mich geändert als mein Residenzschloß – das väterliche in Flachsenfingen ist gegenwärtig mein eignes.
Ich mag nun nicht gern am Hofe mein Zuckerbrot mit Sünden essen – wiewohl man gemächlicher Zucker- und Himmelsbrot erwirbt als Schiffsbrot –, sondern ich stelle, um zu wuchern mit meinem Schiffspfunde, das ganze flachsenfingische Departement der auswärtigen Angelegenheiten zu Hause im Schlosse vor samt der erforderlichen Entzifferungskanzlei.
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