Elfriede musternd. In Ihren Gesichtszügen, mein verehrtes Fräulein, ist weder irgend etwas von Glückseligkeit noch irgend etwas von Unschuld zu lesen.

ELFRIEDE zögernd. Glauben Sie denn nicht, Herr Baron, daß ich bei meinem eisernen Fleiß, bei meiner Energie, bei meiner unüberwindlichen Begeisterung für alles Schöne das Zartgefühl und den feinen Takt, von dem Sie sprechen, noch lernen könnte?

CASTI PIANI. Nein, nein, mein Fräulein! Bitte nein! Schlagen Sie sich diese Gedanken nur gleich aus dem Kopf!

ELFRIEDE. Ich bin von der sittlichen Bedeutung alles dessen, was Sie sagen, so tief überzeugt, daß mir das größte Opfer, durch das ich meine kleinbürgerliche Hilflosigkeit überwinden könnte, nicht zu groß wäre!

CASTI PIANI. Nein, nein, dafür bin ich nicht zu haben! Das würde grauenvoll! Das Leben ist grauenvoll genug! Nein, mein Fräulein! Lassen Sie Ihre fürchterliche Hand von dem einzigen göttlichen Lichtstrahl, der die schauerliche Nacht unseres martervollen Erdendaseins durchdringt! Wofür lebe ich denn! Wofür betätige ich mich in unserer Zivilisation! Nein, nein! Die einzige reine Himmelsblume in dem von Schweiß und Blut besudelten Dornendickicht des Lebens soll nicht von plumpen Fußtritten zerstampft werden! Glauben Sie mir bitte, daß ich mir schon vor einem halben Jahrhundert eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte, wenn nicht über dem zum Himmel emporgellenden Jammergeheul aus Geburtswehen, Daseinsschmerzen und Todesqualen dieser eine klare Stern leuchtete!

ELFRIEDE. Die äußerste geistige Anstrengung ermöglicht mir nicht, den Sinn Ihrer Worte zu erraten! Was ist der Lichtstrahl, der die Nacht unseres Daseins durchdringt? Was ist die einzige reine Himmelsblume, die nicht zu Schmutz zerstampft werden soll?

CASTI PIANI Elfriede bei der Hand nehmend, geheimnisvoll flüsternd. Das ist der Sinnengenuß, mein gnädiges Fräulein! Der sonnige, lachende Sinnengenuß! Der Sinnengenuß ist der Lichtstrahl, die Himmelsblume, weil er das einzige ungetrübte Glück, die einzige reine, lautere Freude ist, die das Erden dasein uns bietet. Glauben Sie mir, daß mich seit einem halben Jahrhundert nichts mehr in dieser Welt zurückhält, als die selbstlose Anbetung dieses einzigen aus voller Kehle auflachenden Glückes, das im Sinnengenuß de n Menschen für alle Qualen des Daseins entschädigt!

ELFRIEDE. Ich glaube, da kommt jemand.

CASTI PIANI. Das wird Lisiska sein!

ELFRIEDE. Lisiska? – Wer ist denn Lisiska?

CASTI PIANI. Das ist das Mädchen, das bei Ihnen zu Hause die Bücher über die internationale Bekämpfung des Mädchenhandels studiert hat! Jetzt können Sie sich gleich davon überzeugen, ob ich den Mund zu voll genommen habe! Wir sind hier gottlob für solche Gelegenheiten eingerichtet. Er führt sie ins rechte Proszenium. Nehmen Sie nur hinter dieser Efeuwand Platz! Von hier aus können auch Sie einmal das lautere, ungetrübte Glück zweier Kreaturen beobachten, die der Sinnengenuß zusammenführt!

 

Elfriede nimmt auf dem Hockerl hinter der Efeuwand im rechten Proszenium Platz. Casti Piani geht zur Mitteltür, wirft einen Blick hinaus und setzt sich darauf hinter der Efeuwand im linken Proszenium nieder. – Herr König und Lisiska treten durch die Mitte ein. Herr König, fünfundzwanzig Jahre alt, in hellem Sportanzug mit Kniehosen. Lisiska in einfachem, bis zur Mitte der Wade reichenden, weißen Gewand, schwarzen Strümpfen, schwarzen Lackschuhen, eine weiße Schleife im offenen schwarzen Haar.

 

HERR KÖNIG.

Ich komme nicht, die Zeit mir zu vertreiben

Als Wollüstling in deiner Reize Bann,

Und will dir dankbar und gewogen bleiben,

Wenn bald ernüchtert ich von hinnen kann.

LISISKA.

Reden Sie nicht so freundlich zu mir.

Hier sind Sie Herr und befehlen hier.

Färben Sie nur getrost mir das bleiche

Blutleere Antlitz durch Backenstreiche.

Für eine Dirne, wie ich es bin,

Ist das noch unerhörter Gewinn.

Hilfloses Klagen, Schluchzen und Wimmern

Braucht Sie noch nicht im geringsten zu kümmern.

Solcher Beschimpfung Wonnen sind schal.

Häufen Sie mitleidlos Qual auf Qual!

Wenn Ihre Faust mein Gesicht zerschlüge,

War's meiner Sehnsucht noch kein Genüge.

HERR KÖNIG.

Ich bin auf solche Worte nicht gefaßt ...

Ist das ein heitrer Willkomm für den Gast? –

Du sprichst, als büßtest du im Fegefeuer

Schon hier die Strafen für genoßne Lust.

LISISKA.

Im Gegenteil! Die Lust, das Ungeheuer,

Tobt ewig ungezähmt in dieser Brust!

Meinen Sie, ich Teufelsbraten

Wäre je in dies Haus geraten

Wenn von des Herzens gräßlichem Klopfen

Freude mich konnte befrein?

Freude zerstiebt, ein Tropfen

Auf heißem Stein!

Und die Wollust, ungestillt,

Ein hungerndes Jammerbild

Stürzt sich, daß sie den Tod finde,

In alle Abgründe! – –

Sind Sie nicht grausam, verehrter Herr?

Ich müßt es beklagen.

Was kümmert Sie hier mein Geplärr,

Wenn Sie mich schlagen!

HERR KÖNIG.

Ist wirklich dir der dunkle Trieb zu eigen,

Aus tiefster Tiefe noch hinabzusteigen,

Dann könnt ich weinen, daß ich aus dem Flor

Verliebter Mädchen grade dich erkor.

Aus deinen Augen traf in meine Sinne

Ein Strahl unschuldiger Glückseligkeit ...

LISISKA.

Wollen Sie, daß uns die Zeit

Ungenossen verrinne?!

Unten sitzt über unsern Statuten

Mutter Adele, die Uhr in der Hand;

Zählt und berechnet unverwandt

Meines Glückes Minuten.

HERR KÖNIG.

Du bist der höchsten Lust nachgrade satt

Und hoffst auf Müdigkeit aus Schmerz und Tränen,

Bis tiefe Ruh dich überwältigt hat,

Die Tag und Nacht umsonst dein heißes Sehnen!

LISISKA.

Schlaf ich, dann bitt ich, mit einem kecken

Kräftigen Rippenstoß mich zu wecken.

HERR KÖNIG.

Der Ton war falsch! Das Glas hat einen Sprung,

Wie sollte das ein Mensch begreifen!

Auf Glück, ja auf dein Leben magst du pfeifen!

Doch auf den Schlaf! – Nein, das war Lästerung!

LISISKA.

Ich bin nicht Ihr Eigentum,

Sie sind nicht mein Hüter,

Sparen Sie nicht ängstlich drum

Meine Lebensgüter!

Suchen Sie durch Menschlichkeit

Nicht mein Herz zu trösten!

Wer mich mitleidlos zerbleut,

Den acht ich am größten.

Sie fragen,

Ob ich noch

Erröten kann?

So schlagen

Sie mich doch,

Dann ist's getan!

HERR KÖNIG.

Mir rieseln Schauer über Brust und Rücken.

Laß mich hinaus! Ich hoffte, halb im Rausch

Der Liebe süße Frucht vom Baum zu pflücken.

Du bietest Dornen mir dafür zum Tausch.

Wie war's nur möglich, daß du junges Wild

Vom Blumenpfad dich im Gestrüpp verfangen?!

LISISKA.

Lassen Sie mein Verlangen

Nicht ungestillt!

Wenden Sie sich nicht herzlos ab!

Vor mir hab ich mein Grab

Und hoffe nur noch, aus dieser Welt

Möglichst viel mit hinabzunehmen.

Glauben Sie, solche Begierden kämen,

Weil dies Haus uns gefangenhält?

Nein! Nur der Sinne folternde Gier

Bannt uns hier!

Aber auch diese Berechnung war

Ohne Vernunft gemacht.

Nacht für Nacht

Seh ich es blendend sonnenklar,

Daß selbst in diesem Hause kein Frieden

Den Sinnen beschieden.

ELFRIEDE in ihrem Versteck, für sich, mit dem Ausdruck des Erstaunens. Allmächtiger Himmel! Das ist genau das entgegengesetzte Gegenteil von dem, was ich mir volle zehn Jahre lang darüber gedacht habe!

CASTI PIANI in seinem Versteck, für sich, mit dem Ausdruck des Entsetzens. Teufel! Teufel! Teufel! Das ist genau das entgegengesetzte Gegenteil von dem, was ich mir fünfzig Jahre lang über den Sinnengenuß gedacht habe!

LISISKA.

Gehen Sie nicht von mir! Hören Sie mich an!

Ich war ein schuldloses Kind und begann

Mein Leben so ernst, voll Eifer und Pflicht!

Sorglos zu lächeln gelang mir nicht.

Von meinen Lehrern, selbst von den Geschwistern,

Hört ich oft ehrfurchtsvoll über mich flüstern

Und meine Eltern meinten beide:

Du wirst noch einmal unsers Alters Freude!

Plötzlich beim Hahnenschrei

War das vorbei!

Und die einmal erweckte Lust

Wuchs über alle Schranken,

Über all meine Gedanken,

Über all mein treues Gefühl in der Brust,

Daß ich nur staunte, wie mir geschah,

Was mich so herrisch betörte,

Daß ich den Blitz mir zur Seite nicht sah

Und kein Donnern vom Himmel mehr hörte.

Da glaubt ich, da hofft ich, es sei uns das Leben

Zu nimmer versiegender Freude gegeben!

HERR KÖNIG.

Fandst du die stolze Hoffnung nicht erfüllt? –

Zwar red ich wie ein Blinder dir von Farben ...

LISISKA.

Nein, es war nur der höllische Trieb,

Aus dem an Freude nichts übrigblieb.

HERR KÖNIG.

So viele Mädchen schon durch Liebe starben,

Blieb allen denn die Sehnsucht ungestillt?

Wie kam es dann, daß Weiber sich in Mengen

Von Tausenden auf deinen Pfaden drängen?

LISISKA.

Wollen Sie sich der Striemen

An meinem Körper nicht rühmen?

Wozu ward er so weich,

Wozu ward er so zart geschaffen!

Sprachlose Blicke begaffen

Die Spuren dann Streich um Streich. –

Um die Begierden neu zu entflammen,

Erzähl ich prahlend, von wem sie stammen.

HERR KÖNIG.

Schweig, sag ich dir! Nur noch ein Wort davon,

Dann bin ich schon zum längsten hier gewesen! –

In deinen blassen Zügen steht zu lesen,

Wie sturmgeschwind die Jugend dir entflohn.

Und als du deine Unschuld nun verloren,

Ließ er im Elend dich, der sie dir nahm?

LISISKA.

Nein. – Aber ein andrer kam,

Fand Lust und Gram;

Denn ich hab all den jungen Toren

Immer ewige Treue geschworen.

Immer hofft ich, meine Qual

Müßte doch bei dem andern entschwinden.

Es war nur Bitternis jedes Mal,

War keine Ruhe für mich zu finden,

Denn es war stets nur der höllische Trieb.

Aus dem an Freude nichts übrigblieb!

HERR KÖNIG.

So kamst du schließlich denn in dieses Haus

Und führst ein Dasein hier in Saus und Braus!

Musik erschallt, der Sekt trieft von den Tischen,

Gelächter dröhnt, sooft der Morgen graut.

Der lange Arbeitstag kennt nur den Laut

Von heißen Zungen, die in Liebe zischen. –

Welch ein gemeiner Bettler ich doch bin

Vor dir, du stolze Freudenkönigin!

Ich kam mit dem, was mein ist, um von dir

Der Freude schlichten Austausch zu erkaufen.

Ich könnte mir vor Zorn die Haare raufen!

Du lebst nur scheußlicher Genußsucht hier!

Der Wüstling ist dein Freund, der keine Grenzen

Der Menschlichkeit für seine Kurzweil kennt.

Beeil dich, ihm die Glieder zu bekränzen!

Mich trägt und labt ein reinres Element.

Erfrischung sucht ich und hab kein Verlangen,

Im tiefsten Erdenschmutz mich zu verfangen.

LISISKA flehentlich.

O bleiben Sie! – Wenn Sie mich jetzt verlassen,

Ist wieder Nacht um mich! Gehn Sie nicht fort!

Von Ihren Lippen trifft schon jedes Wort

Wie Peitschenhieb und stachelt mein Begehren,

Sie möchten mich mit solcher Inbrunst hassen,

Daß statt der Lippen es die Fäuste wären,

Von denen Hieb auf Hieb den Körper schmerzt.

Hab ich Sie einmal geherzt,

Dann gehn Sie, woher Sie kamen,

Schreiben sich meinen Namen

Lächelnd in Ihr Notizbuch ...

Und mir – mir bleibt der gräßliche Fluch,

Daß es nur wieder der höllische Trieb,

Aus dem an Freude nichts übrigblieb.

HERR KÖNIG sehr ernst.

Jetzt trau ich meinen Sinnen nicht! Mir scheint,

Du bist in mich verliebt? – O welch ein Grauen! –

Wie manche Schmerzensnacht hab ich, von Frauen

Grausam zurückgewiesen, laut durchweint!

Nun stammelt Liebe mir in diesem Leben

Zum erstenmal die Dirne? – Pflegst du hier

Nicht wahllos dich dem Fremdling hinzugeben?

Und was dich trösten soll, willst du von mir?

Mir deckst du eifrig deine Seele bloß,

Daß mich ihr düstrer Reiz umsponnen hält!

War ich so nah zur Seite dir gestellt,

Dann packt Entsetzen mich vor meinem Los!

LISISKA.

Trauen Sie bei Gott meiner Liebe nicht!

Liebe zu heucheln ist hier meine Pflicht.

Denken Sie nur einmal, was das heißt,

Wenn jemand plötzlich die Tür aufreißt:

Jetzt gilt es, die Liebe zusammenzuraffen;

Es ist ein Mann da, Gott hat ihn geschaffen. –

Wünschen Sie, daß ich dies heillose Spiel

Mit Ihnen spiele?

Daß ich bei Ihrem höchsten Gefühl

Nur Ekel fühle?!

Aber wenn Sie mit Ihrer tüchtigen

Bauernfaust meine Glieder züchtigen,

Das kann uns, wenn Sie Lust daran finden,

Bis mich der Tod Ihnen raubt, verbinden.

HERR KÖNIG.

Der Unschuld weißes Kleid trägst du. Dir hat

Selbst dieses Haus die Seele nicht geschändet.

Von deiner Reinheit ist mein Aug geblendet,

An deinem Bild sieht sich mein Herz nicht satt.

Im Selbstmord schwelgend ohne Unterlaß,

Kämpfst du mit nie erforschten Seelenschmerzen,

Den Tod im Antlitz und den heißen Haß

Auf alles eitle Erdenglück im Herzen!

 

Er kniet vor ihr.

 

Laß deinen Freund mich, deinen Bruder sein.

Ob deinen Körper du mir gibst, das liegt

Tief unter uns. So hast du mich erhoben!

Darf ich den schlanken Knien hier geloben:

Nur wie die Seele sich zur Seele fügt,

Bist du mein eigen! So nur bin ich dein!

Aus Höllenqualen stiegst du himmelan

Und ahnst nicht mehr, wo die Begierden fluten.

In deinen Himmelshöhn mußt du verbluten.

Durch mich sei das den Menschen kundgetan.

In keuscher Dichtung soll durch mich die Welt

Verkaufter Liebe Leid ermessen lernen.

Ich schwör es bei des Himmels ew'gen Sternen,

Dem klarsten Licht, das unsere Nacht erhellt!

Gib mir ein Pfand, gesteh mir offen ein:

Bist du aus Liebe jemals froh geworden?

LISISKA ihn emporhebend.

Wenn Sie jetzt gleich mich ermorden,

Könnt meine Rede nicht anders sein.

Immer nur war es der höllische Trieb,

Aus dem an Freude nichts übrigblieb ...

So ist's in diesem Haus nun einmal:

Alle begegnen sich hier,

Denen die Liebe unendliche Qual

Und niegestillte Begier.

Was da noch sonst an Besuchern kommen,

Das wird von uns doch nicht ernst genommen.

Menschen wie Sie sind selten,

Weil sie nichts gelten

Wie wir,

Die man dem unvernünftigen Tier

Vergleicht. –

Aber hab ich denn nun erreicht,

Daß Sie dem wilden Begehren

Trost gewähren?

HERR KÖNIG.

So wirre Pfade deine Hand mich leitet,

Noch blinkt ein Stern herab, der uns begleitet.

LISISKA umarmt und küßt ihn.

Dann komm, mein Schatz! Jetzt bist du endlich mürbe.

Mir ist als höchste Wollust längst ein Land

Urew'ger niegestörter Ruh bekannt. –

Ach, daß ich unter deinen Fäusten stürbe!

 

Beide nach rechts ab.

 

CASTI PIANI aus seinem Versteck hervor stürzend, vergeistert. Was war das?!

ELFRIEDE stürzt aus ihrem Versteck hervor, leidenschaftlich. Was war das?! Was habe ich nichtswürdige Schmarotzerin mir in meinem vertrockneten Hirn unter Sinnengenuß vorgestellt?! – Selbstaufopferung, glühendes Märtyrertum ist das Leben in diesem Hause.