Anne soll nach mir schicken, wenn etwas los ist.«
Eheleute wissen im allgemeinen genau, wann Widerstand vergeblich ist. Mary erkannte an Charles’ Art zu sprechen, daß er entschlossen war zu gehen und daß es zu nichts führte, wenn sie ihm zusetzen würde. Sie sagte deshalb nichts, solange er im Zimmer war, aber sobald nur Anne allein sie hören konnte, begann sie: »Aha! Wir beide dürfen also sehen, wie wir mit diesem armen kranken Kind allein fertig werden – und den ganzen Abend keine Menschenseele, die sich um uns kümmert! Ich wußte, daß es so kommen würde. So geht es mir immer. Wenn es etwas Unerfreuliches zu tun gibt, halten sich die Männer immer raus, und Charles ist auch nicht besser. Eine ausgesprochene Rücksichtslosigkeit! Ich muß schon sagen, es ist eine ausgesprochene Rücksichtslosigkeit von ihm, diesen armen kleinen Jungen im Stich zu lassen! Und sagt auch noch, daß es ihm besser geht! Woher will er denn wissen, ob es ihm besser geht oder ob er in einer halben Stunde nicht einen plötzlichen Rückfall hat. Ich hätte nicht gedacht, daß Charles so rücksichtslos sein kann! Er geht also weg und amüsiert sich, und bloß weil ich die arme Mutter bin, darf ich mich nicht vom Fleck rühren, und dabei bin ich am allerwenigsten geeignet, mich um das Kind zu kümmern. Gerade weil ich seine Mutter bin, müßten meine Gefühle geschont werden. Ich bin dem ganz und gar nicht gewachsen. Du hast ja gesehen, wie hysterisch ich gestern war.« »Aber das lag doch nur an dem plötzlichen Schreck – an dem Schock. Du wirst sicher nicht noch einmal hysterisch. Es gibt bestimmt keinen Grund zur Beunruhigung. Mr. Robinsons Anweisungen sind mir völlig klar, und ich habe keine Befürchtungen. Und außerdem, Mary, ich wundere mich nicht über deinen Mann, Krankenpflege ist nichts für Männer, es ist nicht ihre Stärke. Ein krankes Kind gehört immer der Mutter, das sagen ihr ihre eigenen Gefühle.«
»Ich hänge hoffentlich an meinem Kind ebenso wie jede andere Mutter, aber ich weiß wirklich nicht, warum ich im Krankenzimmer dringender gebraucht werde als Charles, denn ich kann so ein armes Kind nicht immer ausschimpfen und zurechtweisen, wenn es krank ist. Du hast ja selbst heute vormittag gesehen, wenn ich ihm sage, er soll still liegen, dann strampelt er sich gleich wieder bloß. Für so was habe ich einfach keine Nerven.«
»Aber hättest du denn Ruhe, wenn du den armen Jungen den ganzen Abend allein ließest?«
»Ja, seinem Papa macht es nichts aus, warum also mir? Jemima ist so gewissenhaft! Und sie könnte uns alle Stunde Bescheid sagen lassen, wie es ihm geht. Ich finde wirklich, Charles hätte seinem Vater ebensogut sagen können, daß wir alle kommen. Ich mache mir im Augenblick nicht mehr Sorgen um den Kleinen als er. Gestern habe ich mir furchtbare Sorgen gemacht, aber heute sieht die Sache ganz anders aus.« »Na ja – wenn du findest, daß es nicht zu spät ist, Bescheid zu sagen, warum geht ihr dann nicht beide hin? Überlaßt den kleinen Charles mir. Mr. und Mrs. Musgrove können nichts dagegen haben, solange ich bei ihm bin.«
»Ist das dein Ernst?« rief Mary mit leuchtenden Augen.
»Meine Güte, das ist eine glänzende Idee, wirklich glänzend. Was liegt schon daran, ob ich gehe oder bleibe, ich werde hier doch nicht gebraucht – oder? Und es belastet mich ohnehin nur. Du hast nicht die Gefühle einer Mutter und bist wesentlich besser geeignet. Du wirst mit dem kleinen Charles so gut fertig, dir gehorcht er aufs Wort. Das ist bei weitem besser, als ihn mit Jemima allein zu lassen. Doch! Natürlich gehe ich hin. Ich muß mindestens ebenso dringend gehen wie Charles, denn sie wollen unbedingt, daß ich Kapitän Wentworth kennenlerne, ich weiß, daß es dir nichts ausmacht, allein zu bleiben.
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