Ich weiß, daß ich ein streitbarer Theologe bin, vielleicht streitbarer, als die Bibel will, und es ist stets das Hauptbestreben der Toten gewesen, dieses mein aggressives Wesen zu mil- mildern. Sie warnte mich vor China, und als ich trotzdem meine Absicht, dorthin zu gehen, nicht aufgab, trübte sich die Zeit, welche, für uns so schrecklich unerwartet, die letzte ihres Lebens sein sollte. Als ich an ihrem Todestage zum letzten Male mit ihr allein war, - du hattest draußen mit dem Arzt zu sprechen - mußte ich ihr die Erfüllung ihres Abschiedswunsches geloben. Ich tat es, indem ich ihre Hand in die meine nahm, und dann sprach sie ihn aus: »Sei stets ein echter Christ, und halte Frieden!« Und nun trägt heut der Wind dir fast genau dieselben Worte zu! Deine Stimme gleicht der ihrigen, und als du vorhin diese Zeilen lasest, da tauchte plötzlich ihr Sterbezimmer vor mir auf und - - -«
Weiter hörte ich nichts, oder vielmehr weiter wollte ich nichts hören. Die anderen Gäste saßen drin im eigentlichen Saale und wir, durch Säulen von diesem getrennt, allein im Seitenraum; sie brauchte er also nicht zu beachten. Aber mein Tisch stand dem seinen so nahe, daß ich seine Worte hören mußte, wenn ich auch nicht wollte. Mochte er mich nun wirklich für einen Franzosen halten, der nicht deutsch verstand, oder galt ich als Fremder faktisch für ihn als gar nicht vorhanden, jetzt durfte mir das nicht mehr gleichgültig sein. Er berührte eine Angelegenheit von solcher Diskretion, daß es mir meine Pflicht verbot, noch länger zuzuhören. Ich stand also auf und ging, wobei ich zu meiner Genugtuung bemerkte, daß er nicht die mindeste Notiz davon nahm.
Hatte ich gestern gemeint, daß er vielleicht ein ganz guter Mensch sei, so war mir dieses Vielleicht jetzt zur Gewißheit geworden. Nur wohnte und wirkte leider ein Dämon in ihm, der ihn selbst um den Frieden brachte, den er Andern doch so gern geben wollte; er hatte ihn ganz richtig als Agressivität [Aggressivität] bezeichnet. Dieser Teufel ist es, der Menschen, Korporationen und Völker immer vorwärts drängt, um neuen Raum zu gewinnen, dabei aber auf dem alten, wohlerworbenen keinen Frieden und keinen Segen aufkommen läßt!
Während des Mittagessens wurde es mir nicht schwer gemacht, diskret zu sein, denn meine Nachbarn sprachen außerordentlich wenig. Später bemerkte ich von meinem Fenster aus, daß sie einen Hotelwagen bestiegen, um den beabsichtigten Ausflug zu unternehmen.
Punkt drei Uhr klopfte Sejjid Omar an meine Tür. Die Pferde wurden schon bereit gehalten; wir konnten aufbrechen. Natürlich beobachtete ich ihn schon beim Aufsteigen. Das ging so leicht und glatt vonstatten, als ob es seine tägliche Gewohnheit sei. Auch hielt er sich eine volle Pferdelänge hinter mir, was ich dadurch belohnte, daß ich ihn aufforderte, an meine linke Seite heranzukommen. Ich konnte ihn doch nicht beobachten, wenn ich ihm vorausritt. Er hielt sich nun still und ruhig neben mir, ohne, was ein Anderer wahrscheinlich versucht hätte, mir zeigen zu wollen, daß er sein Pferd zu beherrschen verstand. Doch wurde, als wir uns dem Kasr en Nil näherten, der Straßenverkehr trotz der Hitze ein so lebhafter, daß ich leicht Gelegenheit fand, ihn, ohne daß er es bemerkte, auf die Probe zu stellen. Die uns begegnenden Wagen, Reiter, Kamele und Fußgänger bildeten mir willkommene Hindernisse, und ich wich ihnen in einer Weise aus, welche es einem mittelmäßigen oder gar schlechten Reiter sehr schwer gemacht hätte, nicht von mir abzukommen; er aber überwand diese Schwierigkeiten, ohne daß er sie zu bemerken schien.
Nachdem wir die Nilbrücke passiert hatten, ging es im Trab. Er saß wie angegessen. Jenseits des Mu- Museums, als wir das bekannte Eckcaf‚ hinter uns hatten, mußten wir wieder langsam reiten, denn es begegneten sich da zwei Reihen aneinander gebundener Lastkamele, zwischen denen, gerad als ein Doppelwagen der Tramway von Gizeh kam, sich eine Schar schwatzender Fellachenfrauen befand, welche Körbe auf ihren Köpfen trugen. Das gab wahrscheinlich einen kritischen Augenblick.
Wie gedacht, so geschehen! Die Tramway erschreckte die Kamele; sie blieben stehen; das eine zerrte nach rechts, das andere nach links; dieses stand lang und jenes quer, und da sie zusammengebunden waren, so entstand für einige Zeit ein straßenbreites Hindernis von blökenden Kamelen und schreienden Weibern, in deren Mitte wir steckten.
»Komm, Omar!«
Mit diesem Rufe drängte ich mein Pferd zwischen zwei Frauen hindurch, hinter denen zwei Kamele so standen, daß sie eine schmale Lücke bildeten, welche durch den sie verbindenden Strick geschlossen war. Ich nahm mein Pferd hoch und kam glücklich über den Strick hinweg. Die Frauen kreischten; die Kameltreiber schimpften; Omar aber lachte fröhlich auf und nahm das Hindernis ganz in derselben Weise. Das war für dieses Mal genug, und es handelte sich nur noch darum, seine Ausdauer kennen zu lernen.
Auf der Straße von Kairo nach den Pyramiden kommt man an zwei Fellachendörfern vorüber, welche links liegen. Rechts dehnen sich grüne Flächen aus, welche von Kanälen bewässert werden. Die Pyramiden hat man gerade vor sich liegen. Sie erscheinen von weitem als dreieckige Flächen, treten aber, je mehr man sich ihnen nähert, um so plastischer hervor. Das Mena- Menahouse-Hotel liegt am Fuß derselben.
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