Einer von ihnen führte dieses Kunststück aus, und der Schech der fremden Pilger behauptete, es ihm nachmachen zu können. Man glaubte es ihm nicht; es wurde hin und her gestritten und ihm schließlich eine Wette angeboten, auf welche er einging. Er zog seinen Mantel aus und nahm auch sein Hama#ïl vom Halse, weil es während des Kletterns leicht beschädigt werden konnte. Die Schnur, an welcher es hing, war zu eng, sie über den Kopf zu bringen. Er zog zu sehr; sie zerriß, und da er sie nicht festhielt, flog das Hama#ïl seitwärts auf den Boden nieder, wo sich der Fels nach unten rundet. Es glitt weiter und fiel in die Tiefe hinab.«

»Das hat nichts zu sagen. Die Hama#ïls werden in Futteralen getragen, und unten gibt es lockeren Sand; das Buch wird also nicht beschädigt worden sein.«

»Das ist richtig; aber höre, was gleich weiter geschah! Der Schech kümmerte sich jetzt nicht um sein Hama#ïl, welches er sich dann ja holen konnte; er dachte nur an seine Wette. Es war ausgemacht worden, daß noch einmal Jemand von el Kafr hinaufzuklettern habe, damit der Fremde sich die Stellen merken könne, wo die Finger und die Zehen einzusetzen sind. Diese Bedingung wurde auch erfüllt. Es gab also bis zum Austrag der Wette ein zweimaliges Hinauf- und wieder Herunterklettern. Das dauerte natürlich lange, weil jede Bewegung äußerst vorsichtig unternommen werden mußte, und während dieser Zeit geschah unten Etwas, was wir nicht beachteten, weil unsere ganze Aufmerksamkeit nach oben gerichtet war.«

»Ah, ich errate! Der Amerikaner und das Hama#ïl!«

»Ja, so ist es, Sihdi! Die vier Personen hatten den Granittempel verlassen und waren dann auch nach der Sphinx gegangen, obgleich sie sahen, daß deren Körper von Beduinen geradezu wimmelte. Doch hatte dieser Umstand sie wenigstens abgehalten, sie auch zu besteigen; sie waren vielmehr den schmalen Pfad, welcher von ihrem westlichen Teile nach dem östlichen führt, hinabgegangen und hatten dort bei dem Vorderfuße das Hama#ïl liegen sehen. Anstatt es nun gar nicht anzurühren, weil sie doch keine Muhammedaner waren, und sich auch gewiß denken konnten, daß es einem oben auf der Sphinx befindlichen Pilger gehören werde, hatten sie es sogar aus dem Futterale gezogen, geöffnet und durchblättert. Inzwischen hatte der fremde Schech, der ein sehr kühner Kletterer ist, seine Wette gewonnen, und wir stiegen von der Sphinxherunter [Sphinx herunter], was, wie du weißt, an ihrem Hinterkörper geschieht. Dort trafen wir mit dem wieder nach hier gekommenen Amerikaner zusammen. Als der Schech sein Hama#ïl in den Händen dieses Mannes sah, war er zunächst so erschrocken, daß er kaum sprechen konnte; bald aber verwandelte sich der Schreck in Zorn. Er riß es ihm aus der Hand und fragte, ob er im Menahouse wohne, wo man Wurst und Schinken esse. Als der Gefragte mit einem Ja antwortete, mußte die Heiligkeit des Hama#ïl für vernichtet gelten. Du kannst dir nun die Wut des Schechs denken, welcher den Amerikaner am liebsten vernichtet hätte. Dieser war aber nicht etwa so klug, zu schweigen, sondern er verteidigte sich und nannte das Hama#ïl ein Lügenbuch.«

»Er kann aber doch nicht arabisch sprechen!«

»Der Dolmetscher war bei ihm, den du auf dem Dschebel Mokkatam mit ihm und mir gesehen hast. Er ist vom Hotel weg zu ihm gefahren, um ihn abzuholen und mitzunehmen.«

»Und dieser Mensch war so unvorsichtig, das Wort Lügenbuch zu übersetzen, ohne ein anderes, weniger beleidigendes an seine Stelle zu nehmen?«

»O, er hat noch ganz Anderes übersetzt! Ich kann dir nicht Alles so ausführlich erzählen, wie es geschehen ist, denn ich habe schon jetzt zu viel Zeit versäumt und will dir nur noch sagen, daß der Amerikaner es in seinem Zorne gewagt hat, dem Schech das Hama#ïl wieder zu entreißen und unter schlimmen Ausdrücken, welche auch übersetzt worden sind, ihm vor die Füße zu werfen.«

»Unmöglich!«

»Es ist wahr. Ich stand dabei und habe es selbst auch gesehen. Der Schech riß das Messer heraus, um ihn zu erstechen; die Tochter wollte sich dazwischen werfen; der junge Chinese riß sie zurück und hat den Stich in den Arm bekommen. Der fremde Scheich wollte wieder stechen, und seine Leute griffen auch nach ihren Messern. Es wären wenigstens drei Menschenleben zu Grunde gegangen, wenn nicht der Scheich el Beled (* Dorfschulze.) von el Kafr eingeschritten wäre. Diesem ist von der Regierung die Aufsicht über das Gebiet der Pyramiden übertragen worden, und er mußte sich sagen, daß die Ermordung von Christen, die überdies noch Ausländer sind, für ihn und die Bewohner seines Dorfes von sehr schlimmen Folgen sein werde. Aber es kostete ihm sehr viel Ueberredung, bis die Fremden ihre Messer wieder einsteckten, doch verlangten sie Sühne, und zwar blutige Sühne, weil eine solche Behandlung eines Hama#ïl ein größeres Verbrechen ist, als selbst ein zehnfacher Mord sein würde. Diese Sühne soll auch sofort und ohne Zeitverlust gegeben werden, und darum drangen sie auf das Zusammentreten einer Dschemma (** Gerichtsversammlung.) , welche den Fall ohne Zögern zu besprechen und das Urteil zu fällen habe.«

»Sind die Beisitzer dieser Dschemma bereits gewählt?«

»Nein. Es werden lauter Fremde sein, und von den Hiesigen darf nur der Schech el Beled beitreten. Dieser hat einen seiner Leute heimlich nach Kairo um Hilfe geschickt.