Der junge Prokurator wunderte sich nicht über diese
Botschaft; er hatte den Handelsmann in seiner Jugend gekannt, er wußte,
daß er gegenwärtig abwesend war, und ob er gleich von seiner Heirat
nur von weitem gehört hatte, vermutete er doch, daß die
zurückgelassene Frau in der Abwesenheit ihres Mannes wahrscheinlich in
einer wichtigen Sache seines rechtlichen Beistandes bedürfe. Er
antwortete deswegen dem Mädchen auf das verbindlichste und versicherte,
daß er, sobald man von der Tafel aufgestanden, nicht säumen würde,
ihrer Gebieterin aufzuwarten. Mit unaussprechlicher Freude vernahm
die schöne Frau, daß sie den Geliebten nun bald sehen und sprechen
sollte. Sie eilte, sich aufs beste anzuziehen, und ließ geschwind ihr
Haus und ihre Zimmer auf das reinlichste ausputzen. Orangenblätter
und Blumen wurden gestreut, der Sofa mit den köstlichsten Teppichen
bedeckt. So ging die kurze Zeit, die er ausblieb, beschäftigt hin,
die ihr sonst unerträglich lang geworden wäre.
Mit welcher Bewegung ging sie ihm entgegen, als er endlich ankam, mit
welcher Verwirrung hieß sie ihn, indem sie sich auf das Ruhebett
niederließ, auf ein Taburett sitzen, das zunächst dabeistand! Sie
verstummte in seiner so erwünschten Nähe, sie hatte nicht bedacht, was
sie ihm sagen wollte; auch er war still und saß bescheiden vor ihr.
Endlich ermannte sie sich und sagte nicht ohne Sorge und Beklommenheit:
"Sie sind noch nicht lange in Ihrer Vaterstadt wiederangekommen, mein
Herr, und schon sind Sie allenthalben für einen talentreichen und
zuverlässigen Mann bekannt. Auch ich setze mein Vertrauen auf Sie in
einer wichtigen und sonderbaren Angelegenheit, die, wenn ich es recht
bedenke, eher für den Beichtvater als für den Sachwalter gehört. Seit
einem Jahre bin ich an einen würdigen und reichen Mann verheiratet,
der, solange wir zusammenlebten, die größte Aufmerksamkeit für mich
hatte und über den ich mich nicht beklagen würde, wenn nicht ein
unruhiges Verlangen zu reisen und zu handeln ihn seit einiger Zeit aus
meinen Armen gerissen hätte.
Als ein verständiger und gerechter Mann fühlte er wohl das Unrecht,
das er mir durch seine Entfernung antat. Er begriff, daß ein junges
Weib nicht wie Juwelen und Perlen verwahrt werden könne; er wußte, daß
sie vielmehr einem Garten voll schöner Früchte gleicht, die für
jedermann so wie für den Herrn verloren wären, wenn er eigensinnig die
Türe auf einige Jahre verschließen wollte. Er sprach mir daher vor
seiner Abreise sehr ernstlich zu, er versicherte mir, daß ich ohne
Freund nicht würde leben können, er gab mir dazu nicht allein die
Erlaubnis, sondern er drang in mich und nötigte mir gleichsam das
Versprechen ab, daß ich der Neigung, die sich in meinem Herzen finden
würde, frei und ohne Anstand folgen wollte."
Sie hielt einen Augenblick inne, aber bald gab ihr ein
vielversprechender Blick des jungen Mannes Mut genug, in ihrem
Bekenntnis fortzufahren.
"Eine einzige Bedingung fügte mein Gemahl zu seiner übrigens so
nachsichtigen Erlaubnis. Er empfahl mir die äußerste Vorsicht und
verlangte ausdrücklich, daß ich mir einen gesetzten, zuverlässigen,
klugen und verschwiegenen Freund wählen sollte. Ersparen Sie mir, das
übrige zu sagen, mein Herr, ersparen Sie mir die Verwirrung, mit der
ich Ihnen bekennen würde, wie sehr ich für Sie eingenommen bin, und
erraten Sie aus diesem Zutrauen meine Hoffnungen und meine Wünsche."
Nach einer kurzen Pause versetzte der junge, liebenswürdige Mann mit
gutem Bedachte: "Wie sehr bin ich Ihnen für das Vertrauen verbunden,
durch welches Sie mich in einem so hohen Grade ehren und glücklich
machen! Ich wünsche nur lebhaft, Sie zu überzeugen, daß Sie sich an
keinen Unwürdigen gewendet haben. Lassen Sie mich Ihnen zuerst als
Rechtsgelehrter antworten; und als ein solcher gesteh ich Ihnen, daß
ich Ihren Gemahl bewundere, der sein Unrecht so deutlich gefühlt und
eingesehen hat, denn es ist gewiß, daß einer, der ein junges Weib
zurückläßt, um ferne Weltgegenden zu besuchen, als ein solcher
anzusehen ist, der irgendein anderes Besitztum völlig derelinquiert
und durch die deutlichste Handlung auf alles Recht daran Verzicht tut.
Wie es nun dem ersten besten erlaubt ist, eine solche völlig ins
Freie gefallene Sache wieder zu ergreifen, so muß ich es um so mehr
für natürlich und billig halten, daß eine junge Frau, die sich in
diesem Zustande befindet, ihre Neigung abermals verschenke und sich
einem Freunde, der ihr angenehm und zuverlässig scheint, ohne Bedenken
überlasse.
Tritt nun aber gar wie hier der Fall ein, daß der Ehemann selbst,
seines Unrechts sich bewußt, mit ausdrücklichen Worten seiner
hinterlassenen Frau dasjenige erlaubt, was er ihr nicht verbieten kann,
so bleibt gar kein Zweifel übrig, um so mehr, da demjenigen kein
Unrecht geschieht, der es willig zu ertragen erklärt hat.
Wenn Sie mich nun", fuhr der junge Mann mit ganz andern Blicken und
dem lebhaftesten Ausdrucke fort, indem er die schöne Freundin bei der
Hand nahm, "wenn Sie mich zu Ihrem Diener erwählen, so machen Sie mich
mit einer Glückseligkeit bekannt, von der ich bisher keinen Begriff
hatte. Sein Sie versichert", rief er aus, indem er die Hand küßte,
"daß Sie keinen ergebnern, zärtlichern, treuern und verschwiegenern
Diener hätten finden können!"
Wie beruhigt fühlte sich nach dieser Erklärung die schöne Frau. Sie
scheute sich nicht, ihm ihre Zärtlichkeit aufs lebhafteste zu zeigen;
sie drückte seine Hände, drängte sich näher an ihn und legte ihr Haupt
auf seine Schulter. Nicht lange blieben sie in dieser Lage, als er
sich auf eine sanfte Weise von ihr zu entfernen suchte und nicht ohne
Betrübnis zu reden begann: "Kann sich wohl ein Mensch in einem
seltsamern Verhältnisse befinden? Ich bin gezwungen, mich von Ihnen
zu entfernen und mir die größte Gewalt anzutun in einem Augenblicke,
da ich mich den süßesten Gefühlen überlassen sollte. Ich darf mir das
Glück, das mich in Ihren Armen erwartet, gegenwärtig nicht zueignen.
Ach! wenn nur der Aufschub mich nicht um meine schönsten Hoffnungen
betriegt!"
Die Schöne fragte ängstlich nach der Ursache dieser sonderbaren
äußerung.
"Eben als ich in Bologna", versetzte er, "am Ende meiner Studien war
und mich aufs äußerste angriff, mich zu meiner künftigen Bestimmung
geschickt zu machen, verfiel ich in eine schwere Krankheit, die, wo
nicht mein Leben zu zerstören, doch meine körperlichen und
Geisteskräfte zu zerrütten drohte. In der größten Not und unter den
heftigsten Schmerzen tat ich der Mutter Gottes ein Gelübde, daß ich,
wenn sie mich genesen ließe, ein Jahr lang in strengem Fasten
zubringen und mich alles Genusses, von welcher Art er auch sei,
enthalten wolle. Schon zehn Monate habe ich mein Gelübde auf das
treulichste erfüllt, und sie sind mir in Betrachtung der großen
Wohltat, die ich erhalten, keinesweges lang geworden, da es mir nicht
beschwerlich ward, manches gewohnte und bekannte Gute zu entbehren.
Aber zu welcher Ewigkeit werden mir nun zwei Monate, die noch übrig
sind, da mir erst nach Verlauf derselben ein Glück zuteil werden kann,
welches alle Begriffe übersteigt! Lassen Sie sich die Zeit nicht lang
werden und entziehen Sie mir Ihre Gunst nicht, die Sie mir so
freiwillig zugedacht haben!"
Die Schöne, mit dieser Erklärung nicht sonderlich zufrieden, faßte
doch wieder bessern Mut, als der Freund nach einigem Nachdenken zu
reden fortfuhr: "Ich wagte kaum, Ihnen einen Vorschlag zu tun und das
Mittel anzuzeigen, wodurch ich früher von meinem Gelübde entbunden
werden kann. Wenn ich jemand fände, der so streng und sicher wie ich
das Gelübde zu halten übernähme und die Hälfte der noch übrigen Zeit
mit mir teilte, so würde ich um so geschwinder frei sein, und nichts
würde sich unsern Wünschen entgegenstellen. Sollten Sie nicht, meine
süße Freundin, um unser Glück zu beschleunigen, willig sein, einen
Teil des Hindernisses, das uns entgegensieht, hinwegzuräumen? Nur der
zuverlässigsten Person kann ich einen Anteil an meinem Gelübde
übertragen; es ist streng, denn ich darf des Tages nur zweimal Brot
und Wasser genießen, darf des Nachts nur wenige Stunden auf einem
harten Lager zubringen und muß ungeachtet meiner vielen Geschäfte eine
große Anzahl Gebete verrichten. Kann ich, wie es mir heute geschehen
ist, nicht vermeiden, bei einem Gastmahl zu erscheinen, so darf ich
deswegen doch nicht meine Pflicht hintansetzen, vielmehr muß ich den
Reizungen aller Leckerbissen, die an mir vorübergehen, zu widerstehen
suchen. Können Sie sich entschließen, einen Monat lang gleichfalls
alle diese Gesetze zu befolgen, so werden Sie alsdann sich selbst in
dem Besitz eines Freundes desto mehr erfreuen, als Sie ihn durch ein
so lobenswürdiges Unternehmen gewissermaßen selbst erworben haben."
Die schöne Dame vernahm ungern die Hindernisse, die sich ihrer Neigung
entgegensetzten; doch war ihre Liebe zu dem jungen Manne durch seine
Gegenwart dergestalt vermehrt worden, daß ihr keine Prüfung zu streng
schien, wenn ihr nur dadurch der Besitz eines so werten Gutes
versichert werden konnte. Sie sagte ihm daher mit den gefälligsten
Ausdrücken: "Mein süßer Freund! das Wunder, wodurch Sie Ihre
Gesundheit wiedererlangt haben, ist mir selbst so wert und
verehrungswürdig, daß ich es mir zur Freude und Pflicht mache, an dem
Gelübde teilzunehmen, das Sie dagegen zu erfüllen schuldig sind. Ich
freue mich, Ihnen einen so sichern Beweis meiner Neigung zu geben; ich
will mich auf das genaueste nach Ihrer Vorschrift richten, und ehe Sie
mich lossprechen, soll mich nichts von dem Wege entfernen, auf den Sie
mich einleiten."
Nachdem der junge Mann mit ihr aufs genaueste diejenigen Bedingungen
abgeredet, unter welchen sie ihm die Hälfte seines Gelübdes ersparen
konnte, entfernte er sich mit der Versicherung, daß er sie bald wieder
besuchen und nach der glücklichen Beharrlichkeit in ihrem Vorsatze
fragen würde, und so mußte sie ihn gehen lassen, als er ohne
Händedruck, ohne Kuß, mit einem kaum bedeutenden Blicke von ihr schied.
Ein Glück für sie war die Beschäftigung, die ihr der seltsame
Vorsatz gab, denn sie hatte manches zu tun, um ihre Lebensart völlig
zu verändern. Zuerst wurden die schönen Blätter und Blumen
hinausgekehrt, die sie zu seinem Empfang hatte streuen lassen; dann
kam an die Stelle des wohlgepolsterten Ruhebettes ein hartes Lager,
auf das sie sich, zum erstenmal in ihrem Leben nur von Wasser und Brot
kaum gesättigt, des Abends niederlegte. Des andern Tages war sie
beschäftigt, Hemden zuzuschneiden und zu nähen, deren sie eine
bestimmte Zahl für ein Armen—und Krankenhaus fertig zu machen
versprochen hatte. Bei dieser neuen und unbequemen Beschäftigung
unterhielt sie ihre Einbildungskraft immer mit dem Bilde ihres süßen
Freundes und mit der Hoffnung künftiger Glückseligkeit, und bei
ebendiesen Vorstellungen schien ihre schmale Kost ihr eine
herzstärkende Nahrung zu gewähren.
So verging eine Woche, und schon am Ende derselben fingen die Rosen
ihrer Wangen an, einigermaßen zu verbleichen. Kleider, die ihr sonst
wohl paßten, waren zu weit und ihre sonst so raschen und muntern
Glieder matt und schwach geworden, als der Freund wieder erschien und
ihr durch seinen Besuch neue Stärke und Leben gab. Er ermahnte sie,
in ihrem Vorsatze zu beharren, munterte sie durch sein Beispiel auf
und ließ von weitem die Hoffnung eines ungestörten Genusses
durchblicken.
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