der! Weshalb hätte ich ihn nicht wissen sollen!« »Herr Goriot?« rief der Student. »Wie?« sagte der arme Alte! »sie war also sehr schön gestern?« »Wer?« »Frau von Restaud.« »Sehen Sie den alten Lump,« sagte Frau Vauquer zu Vautrin, »wie seine Augen sich beleben!« »Er hält sie also aus?« flüsterte Fräulein Michonneau dem Studenten zu. »O ja, sie war rasend schön!« erwiderte Eugen, den Vater Goriot begierig anblickte. »Wäre Frau von Beauséant nicht, meine göttliche Gräfin wäre die Königin des Festes gewesen; die jungen Leute hatten nur Augen für sie; ich war der zwölfte auf ihrer Tanzkarte, sie tanzte alle Kontertänze. Die andern Frauen ärgerten sich wütend. Wenn eine gestern glücklich gewesen ist, so war sie es. Man hat sehr recht, zu sagen, daß es nichts Schöneres gibt als ein Schiff unter Segel, ein Pferd im Galopp und ein Weib beim Tanz.« »Gestern hoch oben auf der Glücksleiter, bei einer Herzogin,« sagte Vautrin, »heute morgen tief unten, bei einem Wucherer: da hat man die Pariserin! Kann der Gemahl ihren zügellosen Luxus nicht bezahlen, so verkauft sie sich. Hat sie dazu Geschick, so raubt sie ihre Mutter bis auf die Eingeweide aus. Sie kennt hunderttausend Schliche!«
Vater Goriots Antlitz, das bei der Erzählung des Studenten aufgeleuchtet hatte, wurde bei der grausamen Bemerkung Vautrins wieder düster und traurig.
»Nun also,« sagte Frau Vauquer, »wo bleibt denn Ihr Abenteuer? Haben Sie sie gesprochen? Haben Sie sie gefragt, ob sie vielleicht die Rechte studieren wolle?« »Sie hat mich nicht gesehen«, sagte der Student. »Aber ist es nicht seltsam genug, morgens um neun Uhr in der Rue des Grès einer der schönsten Frauen von Paris zu begegnen, einer Frau, die erst um zwei Uhr vom Balle heimgekommen sein konnte? Solche Abenteuer sind nur in Paris möglich!« »Pah, es gibt noch ganz andere!« rief Vautrin.
Fräulein Taillefer hatte kaum zugehört, so sehr waren ihre Gedanken bei dem schweren Gang, den sie heute zu machen hatte. Frau Couture machte ihr ein Zeichen, aufzustehen, um sich anzukleiden. Als die beiden Damen hinausgingen, schloß Goriot sich ihnen an.
»Nun, haben Sie ihn gesehen?« sagte Frau Vauquer zu Vautrin und ihren Pensionären. »Es ist klar, daß er sich für seine Damen ruiniert hat.« »Niemals wird man mich glauben machen, daß die schöne Gräfin von Restaud dem Vater Goriot gehört!« rief der Student. »Aber«, unterbrach ihn Vautrin, »wir haben auch gar nicht die Absicht, Sie davon zu überzeugen. Sie sind noch zu jung, Paris gut zu kennen; später einmal werden Sie wissen, daß bei uns auch alte Leute ihre Leidenschaften haben.«
Fräulein Michonneau sah Vautrin verständnisvoll an, man hätte sagen können, wie ein Regimentspferd beim Klange des Trompetensignals aufschaut.
»Ha,« unterbrach sich Vautrin, um ihr einen tiefen Blick zuzuwerfen, »haben denn nicht auch wir unsere kleinen Leidenschaften gehabt?«
Die alte Jungfer senkte den Blick, wie eine Nonne vor antiken Statuen.
»Also,« fuhr er fort, »solche Leute setzen sich etwas in den Kopf und lassen nicht mehr davon ab. Sie haben Durst nur nach einem bestimmten Wasser aus einer bestimmten Quelle, die oft recht trübe ist; um davon zu trinken, würden sie ihre Frauen, ihre Kinder verkaufen; sie würden selbst ihre Seele dem Teufel verschreiben. Für die einen ist dieser Quell das Spiel, die Börse, eine Bilder- oder Insektensammlung, die Musik; für die andern ist es ein Weib, das ihnen besondere Genüsse zu reichen weiß. Ihnen könnten Sie alle Frauen der Erde bieten, sie würden sie verachten; sie wollen nur jene, die ihre Leidenschaft befriedigt. Oft mag das betreffende Weib sie gar nicht, behandelt sie hart, verkauft ihnen gar teuer die Brocken der Liebe; doch diese Narren lassen nicht ab und würden ihre letzte Decke zum Leihhaus tragen, um ihr den letzten Taler zu bringen. Der Vater Goriot ist einer jener Leute. Die Gräfin beutet ihn aus, weil er verschwiegen ist; und da haben wir das Elend! Der arme Alte denkt nur an sie. Abgesehen von dieser Leidenschaft ist er ein einfältiges Tier, – Sie sehen es ja. Bringen Sie ihn aber auf das betreffende Kapitel, so erhellt sich sein Gesicht wie ein Diamant. Es ist nicht schwer, hinter das Geheimnis zu kommen. Er hat heute Silbersachen zum Einschmelzen verkauft, und später habe ich ihn zu Papa Gobseck, Rue des Grès, hineingehen sehen. Merken Sie auf! Heimgekehrt, hat er den Esel, den Christoph, zur Gräfin Restaud geschickt; der hat uns die Aufschrift des Briefes, in dem sich ein eingelöster Wechsel befand, sehen lassen. Es ist klar, daß die Sache sehr dringend war, da die Gräfin ebenfalls den Wucherer aufgesucht hat. Vater Goriot hat galant für sie bezahlt. Man braucht nicht lange zu tüfteln, um hierin klar zu sehen. Das beweist Ihnen, mein junger Student, daß Ihre Gräfin, während sie lachte, tanzte, Grimassen schnitt, ihre Pfirsichblüten schwenkte und ihr Kleid raffte, recht arg der Schuh drückte, wie man sagt, im Gedanken an ihren fälligen Wechsel oder den ihres Liebhabers.« »Sie machen mich unglaublich begierig, die Wahrheit zu erfahren.
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