Die einzige Maria adelt alle Weiber romantisch; daher eine Venus nur schön, aber eine Madonna romantisch sein kann. Diese höhere Liebe war oder ist eben Blüte und Blume aus dem Christentum, das mit seinem Feuereifer gegen das Irdische den schönen Körper in eine schöne Seele zerschmelzt, um ihn dann in ihr lieben zu lassen, also das Schöne im Unendlichen. Der Name platonische Liebe ist bekanntlich einer anderen Liebe, jener reinen unbefleckten Freundschaft zwischen Jünglingen abgeborgt, welche an sich so schuldlos war, daß griechische Gesetzgeber sie sogar unter die Pflichten rechneten, und so schwärmerisch, daß für die Fehler des Geliebten der Liebende gezüchtiget wurde; hier wäre also, nur an einem verschiedenen Geschlechte, dieselbe vergötternde und von der Natur am fernsten vor einer Verunreinigung gehaltene Liebe wieder da wie bei den alten Deutschen, aber nicht jene heiligende durch Christentum, welche mit dem romantischen Schimmer bekleidete.

Der Rittergeist – der ohnehin Liebe und Religion, Dame und Notre-dame nebeneinander auf seine Fahnen stickte – und die Kreuzzüge, welche man zweitens zu Vätern der Romantik machte, sind Kinder der christlichen... In das gelobte Land ziehen, das von zwei Religionen auf einmal und vom größten Wesen der Erde in ein dämmerndes Reich der heiligen Ahnung und in einen Isthmus zwischen erster und zweiter Welt für die Phantasie erhoben war, hieß sich romantisch verklären und sich die tiefe irdische prosaisch und poetisch mit zwei Kräften unterwerfen, mit Tapferkeit und Religion. Was konnten aber Ähnliches die Heroenzeiten und Argonautenzüge gebären?

Als Diener und stumme Knechte der Romantik gelten noch die wachsenden Jahrhunderte, welche, von außen alle Völker immer mehr miteinander verschwisternd, deren eckigen Abschnitte zuründen; und welche von innen durch das steigende Sonnenlicht der Abstraktion wie ein Christentum immer mehr die feste Körperwelt zersetzen. Alles dies macht zu der Weissagung kühn, die dichtende Zukunft werde immer romantischer und regelloser oder regelreicher und der Abstand von Griechenland breiter werden, und ihrem Flügelrosse werden so viele Flügel nachwachsen, daß sie gerade mit der Menge eine größere Schwierigkeit der geraden Flugbahn erfahren wird, wenn sie nicht, wie jene Sechsflügelgestalt im Ezechiel, einige Schwingen nur zum Verhüllen anwendet. Indes was gehen die Zeit oder Ewigkeit Ästhetikern und deren Vorschulen an? Soll denn nur die rückende Philosophie weiterkommen, und die fliegende Dichtkunst lahm rosten? Soll nach drei- oder viertausend Jahren und deren Millionen Horen keine andere Abteilung der Dichtkunst vorkommen als die matte Schillersche in den Horen von Sentimental und Naiv? – Man könnte behaupten, jedes Jahrhundert ist anders romantisch, so wie man aus Scherz und Ernst in jedem Planeten eine andere Dichtkunst setzen könnte. Dichtkunst, wie alles Göttliche im Menschen, ist an Zeit und Ort gekettet und muß immer ein Zimmermanns-Sohn und ein Jude werden; aber in anderer Zeit kann der Stand der Erniedrigung schon auf dem Berge Tabor anfangen, und die Verklärung auf einer Sonne vorgehen und blenden.

Übrigens ergibt sich von selber, daß das Christentum, obwohl gemeinschaftlicher Vater der romantischen Kinder, andere in Süden, andere in Norden erzeugen muß. Die südliche Romantik in dem klimatisch Griechenland verwandten Italien muß in einem Ariosto heiterer wehen und weniger von der antiken Form abfliegen und abfliehen als die nordische in einem Shakespeare, so wie dieselbe südliche sich anders und orientalisch-kühner im glühenden Spanien gestaltet. Die nordische Poesie und Romantik ist eine Äolsharfe, durch welche der Sturm der Wirklichkeit in Melodien streicht, ein Geheul in Getön auflösend, aber Wehmut zittert auf den Saiten, ja zuweilen ein hineingerissener Schmerz.

Wir können also in Rücksicht der nordischen Romantik den künftigen 23sten Paragraphen wieder wie den 22sten anfangen.

 

§ 23

 

Quelle der romantischen Poesie

Ursprung und Charakter der ganzen neueren Poesie läßt sich so leicht aus dem Christentume ableiten, daß man die romantische ebensogut die christliche nennen könnte. Das Christentum vertilgte, wie ein Jüngster Tag, die ganze Sinnenwelt mit allen ihren Reizen, drückte sie zu einem Grabeshügel, zu einer Himmelsstaffel zusammen und setzte eine neue Geister-Welt an die Stelle. Die Dämonologie wurde die eigentliche Mythologie48 der Körperwelt, und Teufel als Verführer zogen in Menschen und Götterstatuen; alle Erden-Gegenwart war zu Himmels-Zukunft verflüchtigt. Was blieb nun dem poetischen Geiste nach diesem Einsturze der äußern Welt noch übrig? – Die, worin sie einstürzte, die innere. Der Geist stieg in sich und seine Nacht und sah Geister. Da aber die Endlichkeit nur an Körpern haftet und da in Geistern alles unendlich ist oder ungeendigt: so blühte in der Poesie das Reich des Unendlichen über der Brandstätte der Endlichkeit auf. Engel, Teufel, Heilige, Selige und der Unendliche hatten keine Körper-Formen49 und Götter-Leiber; dafür öffnete das Ungeheuere und Unermeßliche seine Tiefe; statt der griechischen heitern Freude erschien entweder unendliche Sehnsucht oder die unaussprechliche Seligkeit – die zeit- und schrankenlose Verdammnis – die Geisterfurcht, welche vor sich selber schaudert – die schwärmerische beschauliche Liebe – die grenzenlose Mönchs-Entsagung – die platonische und neuplatonische Philosophie.

In der weiten Nacht des Unendlichen war der Mensch öfter fürchtend als hoffend. Schon an und für sich ist Furcht gewaltiger und reicher als Hoffnung (so wie am Himmel eine weiße Wolke die schwarze hebt, nicht diese jene), weil für die Furcht die Phantasie viel mehr Bilder findet als für die Hoffnung; und dies wieder darum, weil der Sinn und die Handhabe des Schmerzes, das körperliche Gefühl, uns in jedem Haut-Punkte die Quelle eines Höllenflusses werden kann, indes die Sinnen für die Freude einen so magern und engen Boden bescheren. Die Hölle wurde mit Flammen gemalt, der Himmel höchstens durch Musik50 bestimmt, die selber wieder unbestimmtes Sehnen gibt. So war die Astrologie voll gefährlicher Mächte. So war der Aberglaube öfter drohend als verheißend. Als Mitteltinten der dunkeln Farbengebung mögen noch das Durcheinanderwerfen der Völker, die Kriege, die Pesten, die Gewalt-Taufen, die düstere Polar-Mythologie im Bund mit der orientalischen Sprach-Glut dazukommen und gelten.

 

§ 24

 

Poesie des Aberglaubens

Der sogenannte Aberglaube verdient als Frucht und Nahrung des romantischen Geistes eine eigne Heraushebung. Wenn man lieset, daß die Auguren zu Ciceros Zeiten die 12 Geier, welche Romulus gesehen, für das Zeichen erklärten, daß sein Werk und Reich 12 Jahrhunderte dauern werde, und wenn man damit den wirklichen Sturz des abendländischen Reichs im 12ten vergleicht: so ist der erste Gedanke dabei etwas Höheres51 als der spätere, der die Kombinationen des Zufalls ausrechnet. Jeder erinnere sich aus seiner Kindheit – wenn die seinige anders so poetisch war des Geheimnisses, womit man die 12 heiligen Nächte nannte, besonders die Christnacht, wo Erde und Himmel, wie Kinder und Erwachsene, einander ihre Türen zu öffnen schienen zur gemeinschaftlichen Feier der größten Geburt, indes die bösen Geister in der Ferne zogen und schreckten. Oder er denke an den Schauder, womit er von dem Kometen hörte, dessen nacktes glühendes Schwert jede Nacht am Himmel über die untere bange Welt herauf- und hinübergezogen wurde, um, wie von einem Todesengel ausgestreckt, auf den Morgen der blutigen Zukunft zu zeigen und zu zielen. Oder er denke ans Sterbebette eines Menschen, wo man am meisten hinter dem schwarzen langen Vorhang der Geisterwelt geschäftige Gestalten mit Lichtern laufen sah; wo man für den Sünder offne Tatzen und heißhungrige Geisteraugen und das unruhige Umhergehen erblickte, für den Frommen aber blumige Zeichen, eine Lilie oder Rose in seinem Kirchenstand, eine fremde Musik oder seine doppelte Gestalt u.s.w. fand. Sogar die Zeichen des Glücks behielten ihren Schauder; wie eben die letztbenannten, das Vorüberschweben eines seligen weißen Schatten und die Sage, daß Engel mit dem Kinde spielen, wenn es im Schlummer lächelt. O wie lieblich! Verfasser dieses ist für seine Person froh, daß er schon mehre Jahrzehende alt und auf einem Dorfe jung gewesen und also in einigem Aberglauben erzogen worden, mit dessen Erinnerung er sich jetzo, da man ihm statt der gedachten spielenden Engel Säuere im Magen untergeschoben52, zu behelfen sucht. Wäre er in einer gallischen Erziehungsanstalt und in diesem Säkul sehr gut ausgebildet und verfeinert worden, so müßt' er manche romantische Gefühle, die er dem Dichter gleich zubringt, erst ihm abfühlen. In Frankreich gab es von jeher am wenigsten Aberglauben und Poesie; der Spanier hatte beides mehr; der heitere Italiener glich Römern und Griechen, bei welchen der Aberglaube nichts von unserm Geisterreiche an sich hatte, sondern sich auf ein Erdenglück, meist von bestimmten Wesen verkündigt, bezog; denn z.B.