Wer würde dies erraten, wenn er nicht vorher im Korrespondenten für Deutschland3 gelesen hätte, daß wirklich ein Graf von L. R. auf seiner hohen Kriegsstufe zwar sehr grausende Arbeiten und Hindernisse glücklich besiegte, aber doch keine größern kannte, als einen Brief, ja ein Wort orthographisch zu schreiben, und daß er in der Tat unfigürlich das obige Wort obstacles

 

o-b s-ta-cles

 

so geschrieben: haut beu seu tua queles.

 

§ 9

Kurz die gegenwärtige Vorschule oder Vor-Geschmacklehre sollte nicht sowohl den Philosophen, denen ohnehin wenig zu sagen ist (ausgenommen entweder Gesagtes oder Ihriges), als den Künstlern selber, aus welchen sie mit reinen, aber nicht Danaiden-Gefäßen geschöpft worden, schwache Dienste leisten. Unter die letzten, woraus Proscholus geschöpft, gehört er selber. – Man wendet zwar gut ein, daß die Praxis der Künstler unvermerkt die Theorie derselben leite und verleite; aber man füge auch bei, daß auch rückwärts die Lehre die Tat beherrsche; so daß daher z.B. Lessings Fabeln und Lessings Fabellehre einander wechselseitig zeugten und formten. Ja zuletzt muß sich der bloße Philosoph, der nicht Täter, nur Prediger des Worts ist und also keine ästhetische Taten durch ästhetische Prachtgesetze heimlich zu beschirmen hat, eine ähnliche Lage gestehen; denn sein Geschmack für Schönheiten reifte doch seiner Geschmacklehre voraus, und seine ästhetischen Theodoren griffen in den ästhetischen Justinian ein. Und sogar dies ist noch besser, als wenn taube Taktschläger, welche die ganze poetische Sphären-Musik nur aus den stummen Noten der Partitur mehrer Ästhetiker kennen, daraus ihren Generalbaß abziehen. Daher war von jeher die ausübende Gewalt die beste zur gesetzgebenden4; Klopstock, Herder, Goethe, Wieland, Schiller, Lessing waren früher Dichter denn Selbstgeschmacklehrer; ja man könnte, wenn man ästhetische Aussprüche teils von beiden Schlegeln, Bouterwek, Franz Horn, Klingemann etc. etc., obwohl einander unähnlicher Schriftsteller, teils von Sulzer, Eberhard, Krug etc. etc. läse und wägte, leicht erraten, welche Partei nie gedichtet. Die Ästhetik des Täters ist ein Oberons-Horn, das zum Tanzen, die des bloßen Wissenschaftlers oft ein Astolfos-Horn, das zum Entlaufen bläset, wenigstens manchen Jünglingen, welche so gern für Schönheiten lebten und stürben.

 

§ 10

Nach dem vorigen Paragraphen (§ 9) ists fast hart, wenn sanfte Rezensionen einem Manne nicht zutrauen, daß ihm weniger daran gelegen sei, wer als was recht hat, sondern glauben, der Mann heize (als Kalefaktor) seine Vorschulstuben bloß, um sich und einige Leser seiner Scherze warm zu halten. Wär' es nicht ebenso ungerecht, bloß daraus, daß z.B. Pölitz in seiner Ästhetik den Witz gar nicht berührte, auf einen Haß desselben gegen wahren zu raten, als es wirklich ungerecht ist, aus einem langen Programme über Witz auf Vorliebe für falschen zu schließen?

 

§ 11

Auf der einen Seite bleibt Rezensenten, welche für das Publikum Goldfische sauber abzuschuppen oder Juwelenkolibri nett abzurupfen haben, um zu zeigen, was überhaupt an ihnen ist, wohl das alte gute Recht unbestritten, daß sie, so genau sie es im Widerlegen mit Kleinigkeiten zu nehmen haben, dafür das Wichtige oder Schwere bloß im allgemeinen anzuführen und statt einer Prüfung nur beizusetzen brauchen, daß manches, z.B. das Kapitel über den Humor, eine genaue wirklich verdiene.

 

§ 12

Auf der andern Seite (§ 11) bestehen die Lehrbuchschreiber mit Recht auf einem ebensogut hergebrachten Privilegium fest; welches am deutlichsten so lautet: »Sobald ein Lehrbuchmacher irgend etwas Neues zu sagen weiß, so steht ihm eo ipso uneingeschränkt das Recht zu, so viel Altes dazu abzuschreiben, bis er aus beiden ein ordentliches vollständiges Lehrbuch fertig hat.« Die Benutzung dieses so wichtigen Freiheitbriefs behält sich der Verfasser für die dritte Auflage vor, wo er zu seinen eignen Gedanken so viele fremde über Ton- und Malkunst, Vers- und Hausbau, Bildhauen und Reiten und Tanzen abschreiben will, daß der akademische Lehrer ein Lehrbuch in die Hand bekommt, zumal da ihm ein Lehrbuch lieber ist als zehn Lesebücher, weil er lieber über etwas als etwas lieset.

 

§ 13

 

Diese zweite Vorrede will nur die heitere Paraphrase der ersten sein (§ 14), welche ihr nachfolgt und sogleich so viel Ernstes mitbringt, daß nachher der Übergang leicht ist in den wissenschaftlichen Ernst des ganzen Werks.

 

§ 14

Indessen Scherz billigen in unsern Zeiten viele; denn er hält eben den wenigen noch von Jahrhundert und Unglück nicht aufgeriebenen Ernst fest aufbewahrt; der biegsame geschmeidige Scherz ist der Ring von Gold, den man an den Finger ansteckt, damit der Ring mit Diamanten nicht abgleite.

 

§ 15

Geschrieben in Baireuth am Petri-Pauli-Tag, als, wie bekannt, gerade der Hesperus am hellsten schimmerte. 1812.

Jean Paul Fr. Richter

 

Vorrede zur ersten Ausgabe

 

Wenn die Menge der Schöpfungstage zwar nicht immer den Werken der Darstellung, aber allezeit den Werken der Untersuchung vorteilhaft ist: so darf der Verfasser nachstehendes Buch mit einiger Hoffnung übergeben, da er auf dasselbe so viel solcher Tage verwandte als auf alle seine Werke zusammengenommen, nämlich über zehntausend; indem es ebensowohl das Resultat als die Quelle der vorigen und mit ihnen in aufsteigender und in absteigender Linie zugleich verwandt ist.

Von nichts wimmelt unsere Zeit so sehr als von Ästhetikern. Selten wird ein junger Mensch sein Honorar für ästhetische Vorlesungen richtig erlegen, ohne dasselbe nach wenigen Monaten vom Publikum wieder einzufordern für etwas ähnliches Gedrucktes; ja manche tragen schon mit diesem jenes ab.

Es ist sehr leicht, mit einigen abgerissenen Kunsturteilen ein Kunstwerk zu begleiten, d.h. aus dessen reichem gestirnten Himmel sich Sterne zu beliebigen Bildern der Einteilung zusammenzulesen. Etwas anderes aber als eine Rezension ist eine Ästhetik, obgleich jedes Urteil den Schein einer eignen hinterhaltigen geben will.

Indes versuchen es einige und liefern das, was sie wissenschaftliche Konstruktion nennen. Allein wenn bei den englischen und französischen Ästhetikern, z.B. Home, Beattie, Fontenelle, Voltaire, wenigstens der Künstler etwas, ogleich auf Kosten des Philosophen, gewinnt, nämlich einige technische Kallipädie: so erbeutet bei den neuern transzendenten Ästhetikern der Philosoph nicht mehr als der Künstler, d.h. ein halbes Nichts. Ich berufe mich auf ihre zwei verschiedene Wege, nichts zu sagen. Der erste ist der des Parallelismus, auf welchem Reinhold, Schiller und andere ebensooft auch Systeme darstellen; man hält nämlich den Gegenstand, anstatt ihn absolut zu konstruieren, an irgendeinen zweiten (in unserm Falle Dichtkunst etwa an Philosophie, oder an bildende und zeichnende Künste) und vergleicht willkürliche Merkmale so unnütz hin und her, als es z.B. sein würde, wenn man von der Tanzkunst durch die Vergleichung mit der Fechtkunst einige Begriffe beibringen wollte und deswegen bemerkte, die eine rege mehr die Füße, die andere mehr die Arme, jene sich nur mehr in krummen, diese mehr in geraden Linien, jene für, diese gegen einen Menschen etc. Ins Unendliche reichen diese Vergleichungen, und am Ende ist man nicht einmal beim Anfange. Möge der reiche warme Görres diese vergleichende Anatomie oder vielmehr anatomische Vergleichung gegen eine würdigere Bahn seiner Kraft vertauschen!5

Der zweite Weg zum ästhetischen Nichts ist die neueste Leichtigkeit, in die weitesten Kunstwörter – jetzo von solcher Weite, daß darin selber das Sein nur schwimmt – das Gediegenste konstruierend zu zerlassen; z.B. die Poesie als die Indifferenz des objektiven und subjektiven Pols zu setzen.