Da lernt ich deine Bescheidenheit kennen, und wie vermehrte
sich meine Liebe! Wo eine andere sich künstlich betragen hätte, um
durch überflüssigen Sonnenschein einen Entschluß in dem Herzen ihres
Liebhabers zur Reife zu bringen, eine Erklärung hervorzulocken und ein
Versprechen zu befestigen, eben da ziehst du dich zurück, schließest
die halbgeöffnete Brust deines Geliebten wieder zu und suchst durch
eine anscheinende Gleichgültigkeit deine Beistimmung zu verbergen;
aber ich verstehe dich! Welch ein Elender müßte ich sein, wenn ich an
diesen Zeichen die reine, uneigennützige, nur für den Freund besorgte
Liebe nicht erkennen wollte! Vertraue mir und sei ruhig! Wir gehören
einander an, und keins von beiden verläßt oder verliert etwas, wenn
wir füreinander leben.
Nimm sie hin, diese Hand! feierlich noch dies überflüssige Zeichen!
Alle Freuden der Liebe haben wir empfunden, aber es sind neue
Seligkeiten in dem bestätigten Gedanken der Dauer. Frage nicht, wie?
Sorge nicht! Das Schicksal sorgt für die Liebe, und um so gewisser,
da Liebe genügsam ist.
Mein Herz hat schon lange meiner Eltern Haus verlassen; es ist bei dir,
wie mein Geist auf der Bühne schwebt. O meine Geliebte! Ist wohl
einem Menschen so gewährt, seine Wünsche zu verbinden, wie mir? Kein
Schlaf kommt in meine Augen, und wie eine ewige Morgenröte steigt
deine Liebe und dein Glück vor mir auf und ab.
Kaum daß ich mich halte, nicht auffahre, zu dir hinrenne und mir deine
Einwilligung erzwinge und gleich Morgen frühe weiter in die Welt nach
meinem Ziele hinstrebe.—Nein, ich will mich bezwingen! Ich will nicht
unbesonnen törichte, verwegene Schritte tun; mein Plan ist entworfen,
und ich will ihn ruhig ausführen.
Ich bin mit Direktor Serlo bekannt, meine Reise geht gerade zu ihm, er
hat vor einem Jahre oft seinen Leuten etwas von meiner Lebhaftigkeit
und Freude am Theater gewünscht, und ich werde ihm gewiß willkommen
sein; denn bei eurer Truppe möchte ich aus mehr als einer Ursache
nicht eintreten; auch spielt Serlo so weit von hier, daß ich anfangs
meinen Schritt verbergen kann. Einen leidlichen Unterhalt finde ich
da gleich; ich sähe mich in dem Publiko um, lerne die Gesellschaft
kennen und hole dich nach.
Mariane, du siehst, was ich über mich gewinnen kann, um dich gewiß zu
haben; denn dich so lange nicht zu sehen, dich in der weiten Welt zu
wissen! recht lebhaft darf ich mir's nicht denken. Wenn ich mir dann
aber wieder deine Liebe vorstelle, die mich vor allem sichert, wenn du
meine Bitte nicht verschmähst, ehe wir scheiden, und du mir deine Hand
vor dem Priester reichst, so werde ich ruhig gehen. Es ist nur eine
Formel unter uns, aber eine so schöne Formel, der Segen des Himmels zu
dem Segen der Erde. In der Nachbarschaft, im Ritterschaftlichen, geht
es leicht und heimlich an.
Für den Anfang habe ich Geld genug; wir wollen teilen, es wird für uns
beide hinreichen; ehe das verzehrt ist, wird der Himmel weiterhelfen.
Ja, Liebste, es ist mir gar nicht bange. Was mit so viel Fröhlichkeit
begonnen wird, muß ein glückliches Ende erreichen. Ich habe nie
gezweifelt, daß man sein Fortkommen in der Welt finden könne, wenn es
einem Ernst ist, und ich fühle Mut genug, für zwei, ja für mehrere
einen reichlichen Unterhalt zu gewinnen. Die Welt ist undankbar,
sagen viele; ich habe noch nicht gefunden, daß sie undankbar sei, wenn
man auf die rechte Art etwas für sie zu tun weiß. Mir glüht die ganze
Seele bei dem Gedanken, endlich einmal aufzutreten und den Menschen in
das Herz hineinzureden, was sie sich so lange zu hören sehnen. Wie
tausendmal ist es freilich mir, der ich von der Herrlichkeit des
Theaters so eingenommen bin, bang durch die Seele gegangen, wenn ich
die Elendesten gesehen habe sich einbilden, sie könnten uns ein großes,
treffliches Wort ans Herz reden! Ein Ton, der durch die Fistel
gezwungen wird, klingt viel besser und reiner; es ist unerhört, wie
sich diese Bursche in ihrer groben Ungeschicklichkeit versündigen.
Das Theater hat oft einen Streit mit der Kanzel gehabt; sie sollten,
dünkt mich, nicht miteinander hadern. Wie sehr wäre zu wünschen, daß
an beiden Orten nur durch edle Menschen Gott und Natur verherrlicht
würden! Es sind keine Träume, meine Liebste! Wie ich an deinem
Herzen habe fühlen können, daß du in Liebe bist, so ergreife ich auch
den glänzenden Gedanken und sage—ich will's nicht aussagen, aber
hoffen will ich, daß wir einst als ein Paar gute Geister den Menschen
erscheinen werden, ihre Herzen aufzuschließen, ihre Gemüter zu
berühren und ihnen himmlische Genüsse zu bereiten, so gewiß mir an
deinem Busen Freuden gewährt waren, die immer himmlisch genannt werden
müssen, weil wir uns in jenen Augenblicken aus uns selbst gerückt,
über uns selbst erhaben fühlen.
Ich kann nicht schließen; ich habe schon zuviel gesagt und weiß nicht,
ob ich dir schon alles gesagt habe, alles, was dich angeht: denn die
Bewegung des Rades, das sich in meinem Herzen dreht, sind keine Worte
vermögend auszudrücken.
Nimm dieses Blatt indes, meine Liebe! Ich habe es wieder durchgelesen
und finde, daß ich von vorne anfangen sollte; doch enthält es alles,
was du zu wissen nötig hast, was dir Vorbereitung ist, wenn ich bald
mit Fröhlichkeit der süßen Liebe an deinen Busen zurückkehre. Ich
komme mir vor wie ein Gefangener, der in einem Kerker lauschend seine
Fesseln abfeilt. Ich sage gute Nacht meinen sorglos schlafenden
Eltern!—Lebe wohl, Geliebte! Lebe wohl! Für diesmal schließ ich;
die Augen sind mir zwei-, dreimal zugefallen; es ist schon tief in der
Nacht."
I. Buch, 17. Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Der Tag wollte nicht endigen, als Wilhelm, seinen Brief schön gefaltet
in der Tasche, sich zu Marianen hinsehnte; auch war es kaum düster
geworden, als er sich wider seine Gewohnheit nach ihrer Wohnung
hinschlich. Sein Plan war: sich auf die Nacht anzumelden, seine
Geliebte auf kurze Zeit wieder zu verlassen, ihr, eh er wegginge, den
Brief in die Hand zu drücken und, bei seiner Rückkehr in tiefer Nacht
ihre Antwort, ihre Einwilligung zu erhalten oder durch die Macht
seiner Liebkosungen zu erzwingen. Er flog in ihre Arme und konnte
sich an ihrem Busen kaum wieder fassen. Die Lebhaftigkeit seiner
Empfindungen verbarg ihm anfangs, daß sie nicht wie sonst mit
Herzlichkeit antwortete; doch konnte sie einen ängstlichen Zustand
nicht lange verbergen; sie schützte eine Krankheit, eine Unpäßlichkeit
vor; sie beklagte sich über Kopfweh, sie wollte sich auf den Vorschlag,
daß er heute nacht wiederkommen wolle, nicht einlassen. Er ahnte
nichts Böses, drang nicht weiter in sie, fühlte aber, daß es nicht die
Stunde sei, ihr seinen Brief zu übergeben. Er behielt ihn bei sich,
und da verschiedene ihrer Bewegungen und Reden ihn auf eine höfliche
Weise wegzugehen nötigten, ergriff er im Taumel seiner ungenügsamen
Liebe eines ihrer Halstücher, steckte es in die Tasche und verließ
wider Willen ihre Lippen und ihre Türe. Er schlich nach Hause, konnte
aber auch da nicht lange bleiben, kleidete sich um und suchte wieder
die freie Luft.
Als er einige Straßen auf und ab gegangen war, begegnete ihm ein
Unbekannter, der nach einem gewissen Gasthofe fragte; Wilhelm erbot
sich, ihm das Haus zu zeigen; der Fremde erkundigte sich nach dem
Namen der Straße, nach den Besitzern verschiedener großen Gebäude, vor
denen sie vorbeigingen, sodann nach einigen Polizeieinrichtungen der
Stadt, und sie waren in einem ganz interessanten Gespräche begriffen,
als sie am Tore des Wirtshauses ankamen. Der Fremde nötigte seinen
Führer, hineinzutreten und ein Glas Punsch mit ihm zu trinken;
zugleich gab er seinen Namen an und seinen Geburtsort, auch die
Geschäfte, die ihn hierhergebracht hätten, und ersuchte Wilhelmen um
ein gleiches Vertrauen. Dieser verschwieg ebensowenig seinen Namen
als seine Wohnung.
"Sind Sie nicht ein Enkel des alten Meisters, der die schöne
Kunstsammlung besaß?" fragte der Fremde.
"Ja, ich bin's. Ich war zehn Jahre, als der Großvater starb, und es
schmerzte mich lebhaft, diese schönen Sachen verkaufen zu sehen."
"Ihr Vater hat eine große Summe Geldes dafür erhalten."
"Sie wissen also davon?"
"O ja, ich habe diesen Schatz noch in Ihrem Hause gesehen. Ihr
Großvater war nicht bloß ein Sammler, er verstand sich auf die Kunst,
er war in einer frühern, glücklichen Zeit in Italien gewesen und hatte
Schätze von dort mit zurückgebracht, welche jetzt um keinen Preis mehr
zu haben wären. Er besaß treffliche Gemälde von den besten Meistern;
man traute kaum seinen Augen, wenn man seine Handzeichnungen durchsah;
unter seinen Marmorn waren einige unschätzbare Fragmente; von Bronzen
besaß er eine sehr instruktive Suite; so hatte er auch seine Münzen
für Kunst und Geschichte zweckmäßig gesammelt; seine wenigen
geschnittenen Steine verdienten alles Lob; auch war das Ganze gut
aufgestellt, wenngleich die Zimmer und Säle des alten Hauses nicht
symmetrisch gebaut waren."
"Sie können denken, was wir Kinder verloren, als alle die Sachen
heruntergenommen und eingepackt wurden. Es waren die ersten traurigen
Zeiten meines Lebens. Ich weiß noch, wie leer uns die Zimmer vorkamen,
als wir die Gegenstände nach und nach verschwinden sahen, die uns von
Jugend auf unterhalten hatten und die wir ebenso unveränderlich
hielten als das Haus und die Stadt selbst."
"Wenn ich nicht irre, so gab Ihr Vater das gelöste Kapital in die
Handlung eines Nachbars, mit dem er eine Art Gesellschaftshandel
einging."
"Ganz richtig! und ihre gesellschaftlichen Spekulationen sind ihnen
wohl geglückt; sie haben in diesen zwölf Jahren ihr Vermögen sehr
vermehrt und sind beide nur desto heftiger auf den Erwerb gestellt;
auch hat der alte Werner einen Sohn, der sich viel besser zu diesem
Handwerke schickt als ich."
"Es tut mir leid, daß dieser Ort eine solche Zierde verloren hat, als
das Kabinett Ihres Großvaters war.
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