ALLE.
Kommt! reißt nieder.
Sie stürzen sich von allen Seiten auf den Bau.
WALTER FÜRST.
Es ist im Lauf. Ich kann sie nicht mehr halten.
Melchthal und Baumgarten kommen.
MELCHTHAL.
Was? Steht die Burg noch und Schloß Sarnen liegt
In Asche und der Roßberg ist gebrochen?
WALTER FÜRST.
Seid Ihr es, Melchthal? Bringt Ihr uns die Freiheit?
Sagt! Sind die Lande alle rein vom Feind?
MELCHTHAL umarmt ihn.
Rein ist der Boden. Freut Euch, alter Vater!
In diesem Augenblicke, da wir reden,
Ist kein Tyrann mehr in der Schweizer Land.
WALTER FÜRST.
O sprecht, wie wurdet ihr der Burgen mächtig?
MELCHTHAL.
Der Rudenz war es, der das Sarner Schloß
Mit männlich kühner Wagetat gewann,
Den Roßberg hatt ich nachts zuvor erstiegen.
– Doch höret, was geschah. Als wir das Schloß
Vom Feind geleert, nun freudig angezündet,
Die Flamme prasselnd schon zum Himmel schlug,
Da stürzt der Diethelm, Geßlers Bub, hervor
Und ruft, daß die Bruneckerin verbrenne.
WALTER FÜRST.
Gerechter Gott!
Man hört die Balken des Gerüstes stürzen.
MELCHTHAL.
Sie war es selbst, war heimlich
Hier eingeschlossen auf des Vogts Geheiß.
Rasend erhub sich Rudenz – denn wir hörten
Die Balken schon, die festen Pfosten stürzen,
Und aus dem Rauch hervor den Jammerruf
– Der Unglückseligen.
WALTER FÜRST.
Sie ist gerettet?
MELCHTHAL.
Da galt Geschwindsein und Entschlossenheit!
– Wär er nur unser Edelmann gewesen,
Wir hätten unser Leben wohl geliebt,
Doch er war unser Eidgenoß, und Berta
Ehrte das Volk – So setzten wir getrost
Das Leben dran, und stürzten in das Feuer.
WALTER FÜRST.
Sie ist gerettet?
MELCHTHAL.
Sie ists. Rudenz und ich,
Wir trugen sie selbander aus den Flammen,
Und hinter uns fiel krachend das Gebälk.
– Und jetzt, als sie gerettet sich erkannte,
Die Augen aufschlug zu dem Himmelslicht,
Jetzt stürzte mir der Freiherr an das Herz,
Und schweigend ward ein Bündnis jetzt beschworen,
Das fest gehärtet in des Feuers Glut
Bestehen wird in allen Schicksalsproben –
WALTER FÜRST.
Wo ist der Landenberg?
MELCHTHAL.
Über den Brünig.
Nicht lags an mir, daß er das Licht der Augen
Davontrug, der den Vater mir geblendet.
Nach jagt ich ihm, erreicht ihn auf der Flucht
Und riß ihn zu den Füßen meines Vaters.
Geschwungen über ihm war schon das Schwert,
Von der Barmherzigkeit des blinden Greises
Erhielt er flehend das Geschenk des Lebens.
Urfehde schwur er, nie zurückzukehren,
Er wird sie halten, unsern Arm hat er
Gefühlt.
WALTER FÜRST.
Wohl Euch, daß Ihr den reinen Sieg
Mit Blute nicht geschändet!
KINDER eilen mit Trümmern des Gerüstes über die Szene.
Freiheit! Freiheit!
Das Horn von Uri wird mit Macht geblasen.
WALTER FÜRST.
Seht, welch ein Fest! Des Tages werden sich
Die Kinder spät als Greise noch erinnern.
Mädchen bringen den Hut auf einer Stange getragen, die ganze Szene füllt sich mit Volk an.
RUODI.
Hier ist der Hut, dem wir uns beugen mußten.
BAUMGARTEN.
Gebt uns Bescheid, was damit werden soll.
WALTER FÜRST.
Gott! Unter diesem Hute stand mein Enkel!
MEHRERE STIMMEN.
Zerstört das Denkmal der Tyrannenmacht!
Ins Feuer mit ihm!
WALTER FÜRST.
Nein, laßt ihn aufbewahren!
Der Tyrannei mußt er zum Werkzeug dienen,
Er soll der Freiheit ewig Zeichen sein!
Die Landleute, Männer, Weiber und Kinder stehen und sitzen auf den Balken des zerbrochenen Gerüstes malerisch gruppiert in einem großen Halbkreis umher.
MELCHTHAL.
So stehen wir nun fröhlich auf den Trümmern
Der Tyrannei, und herrlich ists erfüllt,
Was wir im Rütli schwuren, Eidgenossen.
WALTER FÜRST.
Das Werk ist angefangen, nicht vollendet.
Jetzt ist uns Mut und feste Eintracht not,
Denn seid gewiß, nicht säumen wird der König,
Den Tod zu rächen seines Vogts, und den
Vertriebnen mit Gewalt zurückzuführen.
MELCHTHAL.
Er zieh heran mit seiner Heeresmacht,
Ist aus dem Innern doch der Feind verjagt,
Dem Feind von außen wollen wir begegnen.
RUODI.
Nur wen'ge Pässe öffnen ihm das Land,
Die wollen wir mit unsern Leibern decken.
BAUMGARTEN.
Wir sind vereinigt durch ein ewig Band,
Und seine Heere sollen uns nicht schrecken!
Rösselmann und Stauffacher kommen.
RÖSSELMANN im Eintreten.
Das sind des Himmels furchtbare Gerichte.
LANDLEUTE.
Was gibts?
RÖSSELMANN.
In welchen Zeiten leben wir!
WALTER FÜRST.
Sagt an, was ist es? – Ha, seid Ihrs, Herr Werner?
Was bringt Ihr uns?
LANDLEUTE.
Was gibts?
RÖSSELMANN.
Hört und erstaunet!
STAUFFACHER.
Von einer großen Furcht sind wir befreit –
RÖSSELMANN.
Der Kaiser ist ermordet.
WALTER FÜRST.
Gnädger Gott!
Landleute machen einen Aufstand und umdrängen den Stauffacher.
ALLE.
Ermordet! Was! Der Kaiser! Hört! Der Kaiser!
MELCHTHAL.
Nicht möglich! Woher kam Euch diese Kunde?
STAUFFACHER.
Es ist gewiß. Bei Bruck fiel König Albrecht
Durch Mörders Hand – ein glaubenswerter Mann,
Johannes Müller, bracht es von Schaffhausen.
WALTER FÜRST.
Wer wagte solche grauenvolle Tat?
STAUFFACHER.
Sie wird noch grauenvoller durch den Täter.
Es war sein Neffe, seines Bruders Kind,
Herzog Johann von Schwaben, ders vollbrachte.
MELCHTHAL.
Was trieb ihn zu der Tat des Vatermords?
STAUFFACHER.
Der Kaiser hielt das väterliche Erbe
Dem ungeduldig Mahnenden zurück,
Es hieß, er denk ihn ganz darum zu kürzen,
Mit einem Bischofshut ihn abzufinden.
Wie dem auch sei – der Jüngling öffnete
Der Waffenfreunde bösem Rat sein Ohr,
Und mit den edeln Herrn von Eschenbach,
Von Tegerfelden, von der Wart und Palm
Beschloß er, da er Recht nicht konnte finden,
Sich Rach zu holen mit der eignen Hand.
WALTER FÜRST.
O sprecht, wie ward das Gräßliche vollendet?
STAUFFACHER.
Der König ritt herab vom Stein zu Baden,
Gen Rheinfeld, wo die Hofstatt war, zu ziehn,
Mit ihm die Fürsten, Hans und Leopold,
Und ein Gefolge hochgeborner Herren.
Und als sie kamen an die Reuß, wo man
Auf einer Fähre sich läßt übersetzen,
Da drängten sich die Mörder in das Schiff,
Daß sie den Kaiser vom Gefolge trennten.
Drauf, als der Fürst durch ein geackert Feld
Hinreitet – eine alte große Stadt
Soll drunter liegen aus der Heiden Zeit –
Die alte Feste Habsburg im Gesicht,
Wo seines Stammes Hoheit ausgegangen –
Stößt Herzog Hans den Dolch ihm in die Kehle,
Rudolf von Palm durchrennt ihn mit dem Speer,
Und Eschenbach zerspaltet ihm das Haupt,
Daß er heruntersinkt in seinem Blut,
Gemordet von den Seinen, auf dem Seinen.
Am andern Ufer sahen sie die Tat,
Doch durch den Strom geschieden, konnten sie
Nur ein ohnmächtig Wehgeschrei erheben;
Am Wege aber saß ein armes Weib,
In ihrem Schoß verblutete der Kaiser.
MELCHTHAL.
So hat er nur sein frühes Grab gegraben,
Der unersättlich alles wollte haben!
STAUFFACHER.
Ein ungeheurer Schrecken ist im Land umher,
Gesperrt sind alle Pässe des Gebirgs,
Jedweder Stand verwahret seine Grenzen,
Die alte Zürich selbst schloß ihre Tore,
Die dreißig Jahr lang offen standen, zu,
Die Mörder fürchtend und noch mehr – die Rächer.
Denn mit des Bannes Fluch bewaffnet, kommt
Der Ungarn Königin, die strenge Agnes,
Die nicht die Milde kennet ihres zarten
Geschlechts, des Vaters königliches Blut
Zu rächen an der Mörder ganzem Stamm,
An ihren Knechten, Kindern, Kindeskindern,
Ja an den Steinen ihrer Schlösser selbst.
Geschworen hat sie, ganze Zeugungen
Hinabzusenden in des Vaters Grab,
In Blut sich wie in Maientau zu baden.
MELCHTHAL.
Weiß man, wo sich die Mörder hingeflüchtet?
STAUFFACHER.
Sie flohen alsbald nach vollbrachter Tat
Auf fünf verschiednen Straßen auseinander
Und trennten sich, um nie sich mehr zu sehn –
Herzog Johann soll irren im Gebirge.
WALTER FÜRST.
So trägt die Untat ihnen keine Frucht!
Rache trägt keine Frucht! Sich selbst ist sie
Die fürchterliche Nahrung, ihr Genuß
Ist Mord, und ihre Sättigung das Grausen.
STAUFFACHER.
Den Mördern bringt die Untat nicht Gewinn,
Wir aber brechen mit der reinen Hand
Des blutgen Frevels segenvolle Frucht.
Denn einer großen Furcht sind wir entledigt,
Gefallen ist der Freiheit größter Feind,
Und wie verlautet, wird das Szepter gehn
Aus Habsburgs Haus zu einem andern Stamm,
Das Reich will seine Wahlfreiheit behaupten.
WALTER FÜRST UND MEHRERE.
Vernahmt Ihr was?
STAUFFACHER.
Der Graf von Luxemburg
Ist von den mehrsten Stimmen schon bezeichnet.
WALTER FÜRST.
Wohl uns, daß wir beim Reiche treu gehalten,
Jetzt ist zu hoffen auf Gerechtigkeit!
STAUFFACHER.
Dem neuen Herrn tun tapfre Freunde not,
Er wird uns schirmen gegen Östreichs Rache.
Die Landleute umarmen einander.
Sigrist mit einem Reichsboten.
SIGRIST.
Hier sind des Landes würdge Oberhäupter.
RÖSSELMANN UND MEHRERE.
Sigrist, was gibts?
SIGRIST.
Ein Reichsbot bringt dies Schreiben.
ALLE zu Walter Fürst.
Erbrecht und leset.
WALTER FÜRST liest.
»Den bescheidnen Männern
Von Uri, Schwyz und Unterwalden bietet
Die Königin Elsbet Gnad und alles Gutes.«
VIELE STIMMEN.
Was will die Königin? Ihr Reich ist aus.
WALTER FÜRST liest.
»In ihrem großen Schmerz und Witwenleid,
Worein der blutge Hinscheid ihres Herrn
Die Königin versetzt, gedenkt sie noch
Der alten Treu und Lieb der Schwyzerlande.«
MELCHTHAL.
In ihrem Glück hat sie das nie getan.
RÖSSELMANN.
Still! Lasset hören!
WALTER FÜRST liest.
»Und sie versieht sich zu dem treuen Volk,
Daß es gerechten Abscheu werde tragen
Vor den verfluchten Tätern dieser Tat.
Darum erwartet sie von den drei Landen,
Daß sie den Mördern nimmer Vorschub tun,
Vielmehr getreulich dazu helfen werden,
Sie auszuliefern in des Rächers Hand,
Der Lieb gedenkend und der alten Gunst,
Die sie von Rudolfs Fürstenhaus empfangen.«
Zeichen des Unwillens unter den Landleuten.
VIELE STIMMEN.
Der Lieb und Gunst!
STAUFFACHER.
Wir haben Gunst empfangen von dem Vater,
Doch wessen rühmen wir uns von dem Sohn?
Hat er den Brief der Freiheit uns bestätigt,
Wie vor ihm alle Kaiser doch getan?
Hat er gerichtet nach gerechtem Spruch,
Und der bedrängten Unschuld Schutz verliehn?
Hat er auch nur die Boten wollen hören,
Die wir in unsrer Angst zu ihm gesendet?
Nicht eins von diesem allen hat der König
An uns getan, und hätten wir nicht selbst
Uns Recht verschafft mit eigner mutger Hand,
Ihn rührte unsre Not nicht an – Ihm Dank?
Nicht Dank hat er gesät in diesen Tälern.
Er stand auf einem hohen Platz, er konnte
Ein Vater seiner Völker sein, doch ihm
Gefiel es, nur zu sorgen für die Seinen,
Die er gemehrt hat, mögen um ihn weinen!
WALTER FÜRST.
Wir wollen nicht frohlocken seines Falls,
Nicht des empfangnen Bösen jetzt gedenken,
Fern seis von uns! Doch, daß wir rächen sollten
Des Königs Tod, der nie uns Gutes tat,
Und die verfolgen, die uns nie betrübten,
Das ziemt uns nicht und will uns nicht gebühren,
Die Liebe will ein freies Opfer sein,
Der Tod entbindet von erzwungnen Pflichten,
– Ihm haben wir nichts weiter zu entrichten.
MELCHTHAL.
Und weint die Königin in ihrer Kammer,
Und klagt ihr wilder Schmerz den Himmel an,
So seht ihr hier ein angstbefreites Volk
Zu eben diesem Himmel dankend flehen –
Wer Tränen ernten will, muß Liebe säen.
Reichsbote geht ab.
STAUFFACHER zu dem Volk.
Wo ist der Tell? Soll er allein uns fehlen,
Der unsrer Freiheit Stifter ist? Das Größte
Hat er getan, das Härteste erduldet.
Kommt alle, kommt, nach seinem Haus zu wallen,
Und rufet Heil dem Retter von uns allen.
Alle gehen ab.
Zweite Szene
Tells Hausflur.
Ein Feuer brennt auf dem Herd. Die offenstehende Türe zeigt ins Freie.
Hedwig. Walter und Wilhelm.
HEDWIG.
Heut kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!
Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!
Und euer Vater ists, ders Land gerettet.
WALTER.
Und ich bin auch dabei gewesen, Mutter!
Mich muß man auch mit nennen. Vaters Pfeil
Ging mir am Leben hart vorbei, und ich
Hab nicht gezittert.
HEDWIG umarmt ihn.
Ja, du bist mir wieder
Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren!
Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!
Es ist vorbei – Ich hab euch beide, beide!
Und heute kommt der liebe Vater wieder!
Ein Mönch erscheint an der Haustüre.
WILHELM.
Sieh, Mutter, sieh – dort steht ein frommer Bruder,
Gewiß wird er um eine Gabe flehn.
HEDWIG.
Führ ihn herein, damit wir ihn erquicken,
Er fühlts, daß er ins Freudenhaus gekommen.
Geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.
WILHELM zum Mönch.
Kommt, guter Mann. Die Mutter will Euch laben.
WALTER.
Kommt, ruht Euch aus und geht gestärkt von dannen.
MÖNCH scheu umherblickend, mit zerstörten Zügen.
Wo bin ich? Saget an, in welchem Lande?
WALTER.
Seid Ihr verirret, daß Ihr das nicht wißt?
Ihr seid zu Bürglen, Herr, im Lande Uri,
Wo man hineingeht in das Schächental.
MÖNCH zur Hedwig, welche zurückkommt.
Seid Ihr allein? Ist Euer Herr zu Hause?
HEDWIG.
Ich erwart ihn eben – doch was ist Euch, Mann?
Ihr seht nicht aus, als ob Ihr Gutes brächtet.
– Wer Ihr auch seid, Ihr seid bedürftig, nehmt!
Reicht ihm den Becher.
MÖNCH.
Wie auch mein lechzend Herz nach Labung schmachtet,
Nichts rühr ich an, bis Ihr mir zugesagt –
HEDWIG.
Berührt mein Kleid nicht, tretet mir nicht nah,
Bleibt ferne stehn, wenn ich Euch hören soll.
MÖNCH.
Bei diesem Feuer, das hier gastlich lodert,
Bei Eurer Kinder teurem Haupt, das ich
Umfasse –
Ergreift die Knaben.
HEDWIG.
Mann, was sinnet Ihr? Zurück
Von meinen Kindern! – Ihr seid kein Mönch! Ihr seid
Es nicht! Der Friede wohnt in diesem Kleide,
In Euren Zügen wohnt der Friede nicht.
MÖNCH.
Ich bin der unglückseligste der Menschen.
HEDWIG.
Das Unglück spricht gewaltig zu dem Herzen,
Doch Euer Blick schnürt mir das Innre zu.
WALTER aufspringend.
Mutter, der Vater!
Eilt hinaus.
HEDWIG.
O mein Gott!
Will nach, zittert und hält sich an.
WILHELM eilt nach.
Der Vater!
WALTER draußen.
Da bist du wieder!
WILHELM draußen.
Vater, lieber Vater!
TELL draußen.
Da bin ich wieder – Wo ist eure Mutter?
Treten herein.
WALTER.
Da steht sie an der Tür und kann nicht weiter,
So zittert sie vor Schrecken und vor Freude.
TELL.
O Hedwig, Hedwig! Mutter meiner Kinder!
Gott hat geholfen – Uns trennt kein Tyrann mehr.
HEDWIG an seinem Halse.
O Tell! Tell! Welche Angst litt ich um dich!
Mönch wird aufmerksam.
TELL.
Vergiß sie jetzt und lebe nur der Freude!
Da bin ich wieder! Das ist meine Hütte!
Ich stehe wieder auf dem Meinigen!
WILHELM.
Wo aber hast du deine Armbrust, Vater?
Ich seh sie nicht.
TELL.
Du wirst sie nie mehr sehn.
An heilger Stätte ist sie aufbewahrt,
Sie wird hinfort zu keiner Jagd mehr dienen.
HEDWIG.
O Tell! Tell!
Tritt zurück, läßt seine Hand los.
TELL.
Was erschreckt dich, liebes Weib?
HEDWIG.
Wie – wie kommst du mir wieder? – Diese Hand
– Darf ich sie fassen? – Diese Hand – O Gott!
TELL herzlich und mutig.
Hat euch verteidigt und das Land gerettet,
Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben.
Mönch macht eine rasche Bewegung, er erblickt ihn.
Wer ist der Bruder hier?
HEDWIG.
Ach, ich vergaß ihn!
Sprich du mit ihm, mir graut in seiner Nähe.
MÖNCH tritt näher.
Seid Ihr der Tell, durch den der Landvogt fiel?
TELL.
Der bin ich, ich verberg es keinem Menschen.
MÖNCH.
Ihr seid der Tell! Ach, es ist Gottes Hand,
Die unter Euer Dach mich hat geführt.
TELL mißt ihn mit den Augen.
Ihr seid kein Mönch! Wer seid Ihr?
MÖNCH.
Ihr erschlugt
Den Landvogt, der Euch Böses tat – Auch ich
Hab einen Feind erschlagen, der mir Recht
Versagte – Er war Euer Feind wie meiner –
Ich hab das Land von ihm befreit.
TELL zurückfahrend.
Ihr seid –
Entsetzen! – Kinder! Kinder geht hinein.
Geh, liebes Weib! Geh! Geh! – Unglücklicher,
Ihr wäret –
HEDWIG.
Gott, wer ist es?
TELL.
Frage nicht!
Fort! Fort! Die Kinder dürfen es nicht hören.
Geh aus dem Hause – Weit hinweg – Du darfst
Nicht unter einem Dach mit diesem wohnen.
HEDWIG.
Weh mir, was ist das? Kommt!
Geht mit den Kindern.
TELL zu dem Mönch.
Ihr seid der Herzog
Von Österreich – Ihr seids! Ihr habt den Kaiser
Erschlagen, Euern Ohm und Herrn.
JOHANNES PARRICIDA.
Er war
Der Räuber meines Erbes.
TELL.
Euern Ohm
Erschlagen, Euern Kaiser! Und Euch trägt
Die Erde noch! Euch leuchtet noch die Sonne!
PARRICIDA.
Tell, hört mich, eh Ihr –
TELL.
Von dem Blute triefend
Des Vatermordes und des Kaisermords,
Wagst du zu treten in mein reines Haus,
Du wagsts, dein Antlitz einem guten Menschen
Zu zeigen und das Gastrecht zu begehren?
PARRICIDA.
Bei Euch hofft ich Barmherzigkeit zu finden,
Auch Ihr nahmt Rach an Euerm Feind.
TELL.
Unglücklicher!
Darfst du der Ehrsucht blutge Schuld vermengen
Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?
Des Herdes Heiligtum beschützt? das Schrecklichste,
Das Letzte von den Deinen abgewehrt?
– Zum Himmel heb ich meine reinen Hände,
Verfluche dich und deine Tat – Gerächt
Hab ich die heilige Natur, die du
Geschändet – Nichts teil ich mit dir – Gemordet
Hast du, ich hab mein Teuerstes verteidigt.
PARRICIDA.
Ihr stoßt mich von Euch, trostlos, in Verzweiflung?
TELL.
Mich faßt ein Grausen, da ich mit dir rede.
Fort! Wandle deine fürchterliche Straße,
Laß rein die Hütte, wo die Unschuld wohnt.
PARRICIDA wendet sich zu gehen.
So kann ich, und so will ich nicht mehr leben!
TELL.
Und doch erbarmt mich deiner – Gott des Himmels!
So jung, von solchem adeligen Stamm,
Der Enkel Rudolfs, meines Herrn und Kaisers,
Als Mörder flüchtig, hier an meiner Schwelle,
Des armen Mannes, flehend und verzweifelnd –
Verhüllt sich das Gesicht.
PARRICIDA.
O, wenn Ihr weinen könnt, laßt mein Geschick
Euch jammern, es ist fürchterlich – Ich bin
Ein Fürst – ich wars – ich konnte glücklich werden,
Wenn ich der Wünsche Ungeduld bezwang.
Der Neid zernagte mir das Herz – Ich sah
Die Jugend meines Vetters Leopold
Gekrönt mit Ehre und mit Land belohnt,
Und mich, der gleiches Alters mit ihm war,
In sklavischer Unmündigkeit gehalten –
TELL.
Unglücklicher, wohl kannte dich dein Ohm,
Da er dir Land und Leute weigerte!
Du selbst mit rascher, wilder Wahnsinnstat
Rechtfertigst furchtbar seinen weisen Schluß.
– Wo sind die blutgen Helfer deines Mords?
PARRICIDA.
Wohin die Rachegeister sie geführt,
Ich sah sie seit der Unglückstat nicht wieder.
TELL.
Weißt du, daß dich die Acht verfolgt, daß du
Dem Freund verboten und dem Feind erlaubt?
PARRICIDA.
Darum vermeid ich alle offne Straßen,
An keine Hütte wag ich anzupochen –
Der Wüste kehr ich meine Schritte zu,
Mein eignes Schrecknis, irr ich durch die Berge,
Und fahre schaudernd vor mir selbst zurück,
Zeigt mir ein Bach mein unglückselig Bild.
O wenn Ihr Mitleid fühlt und Menschlichkeit –
Fällt vor ihm nieder.
TELL abgewendet.
Steht auf! Steht auf!
PARRICIDA.
Nicht, bis Ihr mir die Hand gereicht zur Hülfe.
TELL.
Kann ich Euch helfen? Kanns ein Mensch der Sünde?
Doch stehet auf – Was Ihr auch Gräßliches
Verübt – Ihr seid ein Mensch – Ich bin es auch –
Vom Tell soll keiner ungetröstet scheiden –
Was ich vermag, das will ich tun.
PARRICIDA aufspringend und seine Hand mit Heftigkeit ergreifend.
O Tell!
Ihr rettet meine Seele von Verzweiflung.
TELL.
Laßt meine Hand los – Ihr müßt fort. Hier könnt
Ihr unentdeckt nicht bleiben, könnt entdeckt
Auf Schutz nicht rechnen – Wo gedenkt Ihr hin?
Wo hofft Ihr Ruh zu finden?
PARRICIDA.
Weiß ichs? Ach!
TELL.
Hört, was mir Gott ins Herz gibt – Ihr müßt fort
Ins Land Italien, nach Sankt Peters Stadt,
Dort werft Ihr Euch dem Papst zu Füßen, beichtet
Ihm Eure Schuld und löset Eure Seele.
PARRICIDA.
Wird er mich nicht dem Rächer überliefern?
TELL.
Was er Euch tut, das nehmet an von Gott.
PARRICIDA.
Wie komm ich in das unbekannte Land?
Ich bin des Wegs nicht kundig, wage nicht
Zu Wanderern die Schritte zu gesellen.
TELL.
Den Weg will ich Euch nennen, merket wohl!
Ihr steigt hinauf, dem Strom der Reuß entgegen,
Die wildes Laufes von dem Berge stürzt –
PARRICIDA erschrickt.
Seh ich die Reuß? Sie floß bei meiner Tat.
TELL.
Am Abgrund geht der Weg, und viele Kreuze
Bezeichnen ihn, errichtet zum Gedächtnis
Der Wanderer, die die Lawin begraben.
PARRICIDA.
Ich fürchte nicht die Schrecken der Natur,
Wenn ich des Herzens wilde Qualen zähme.
TELL.
Vor jedem Kreuze fallet hin und büßet
Mit heißen Reuetränen Eure Schuld –
Und seid Ihr glücklich durch die Schreckensstraße,
Sendet der Berg nicht seine Windeswehen,
Auf Euch herab von dem beeisten Joch,
So kommt Ihr auf die Brücke, welche stäubet.
Wenn sie nicht einbricht unter Eurer Schuld,
Wenn Ihr sie glücklich hinter Euch gelassen,
So reißt ein schwarzes Felsentor sich auf,
Kein Tag hats noch erhellt – da geht Ihr durch,
Es führt Euch in ein heitres Tal der Freude –
Doch schnellen Schritts müßt Ihr vorübereilen,
Ihr dürft nicht weilen, wo die Ruhe wohnt.
PARRICIDA.
O Rudolf! Rudolf! Königlicher Ahn!
So zieht dein Enkel ein auf deines Reiches Boden!
TELL.
So immer steigend, kommt Ihr auf die Höhen
Des Gotthards, wo die ewgen Seen sind,
Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen.
Dort nehmt Ihr Abschied von der deutschen Erde,
Und muntern Laufs führt Euch ein andrer Strom
Ins Land Italien hinab, Euch das gelobte –
Man hört den Kuhreihen von vielen Alphörnern geblasen.
Ich höre Stimmen. Fort!
HEDWIG eilt herein.
Wo bist du, Tell?
Der Vater kommt! Es nahn in frohem Zug
Die Eidgenossen alle –
PARRICIDA verhüllt sich.
Wehe mir!
Ich darf nicht weilen bei den Glücklichen.
TELL.
Geh, liebes Weib. Erfrische diesen Mann,
Belad ihn reich mit Gaben, denn sein Weg
Ist weit, und keine Herberg findet er.
Eile! Sie nahn.
HEDWIG.
Wer ist es?
TELL.
Forsche nicht!
Und wenn er geht, so wende deine Augen,
Daß sie nicht sehen, welchen Weg er wandelt!
Parricida geht auf den Tell zu mit einer raschen Bewegung, dieser aber bedeutet ihn mit der Hand und geht. Wenn beide zu verschiedenen Seiten abgegangen, verändert sich der Schauplatz, und man sieht in der
Letzte Szene
den ganzen Talgrund vor Tells Wohnung, nebst den Anhöhen, welche ihn einschließen, mit Landleuten besetzt, welche sich zu einem Ganzen gruppieren. Andre kommen über einen hohen Steg, der über den Schächen führt, gezogen. Walter Fürst mit den beiden Knaben, Melchthal und Stauffacher kommen vorwärts, andre drängen nach; wie Tell heraustritt, empfangen ihn alle mit lautem Frohlocken.
ALLE.
Es lebe Tell! der Schütz und der Erretter!
Indem sich die vordersten um den Tell drängen und ihn umarmen, erscheinen noch Rudenz und Berta, jener die Landleute, diese die Hedwig umarmend. Die Musik vom Berge begleitet diese stumme Szene. Wenn sie geendigt, tritt Berta in die Mitte des Volks.
BERTA.
Landleute! Eidgenossen! Nehmt mich auf
In euern Bund, die erste Glückliche,
Die Schutz gefunden in der Freiheit Land.
In eure tapfre Hand leg ich mein Recht,
Wollt ihr als eure Bürgerin mich schützen?
LANDLEUTE.
Das wollen wir mit Gut und Blut.
BERTA.
Wohlan!
So reich ich diesem Jüngling meine Rechte,
Die freie Schweizerin dem freien Mann!
RUDENZ.
Und frei erklär ich alle meine Knechte.
Indem die Musik von neuem rasch einfällt, fällt der Vorhang.
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