William Ratcliff
Heine, Heinrich
William Ratcliff
Heinrich Heine
William Ratcliff
Tragödie
Vorrede
Das Wintermärchen, welches »Deutschland« betitelt und in den frühern Ausgaben dieses Bandes enthalten, habe ich der gegenwärtigen Ausgabe entzogen, sintemalen dasselbe seitdem vielfach im Einzeldruck erschienen ist und ich ihm überdies in der Sammlung meiner poetischen Werke eine andere Stelle zugedacht. Die entstandene Lücke benutze ich, um hier die kleine Tragödie »William Ratcliff« mitzuteilen, die vor etwa neunundzwanzig Jahren unter dem Titel: »Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo« zu Berlin bei Dümmler herauskam. Das »Lyrische Intermezzo« wurde seitdem in einer größern Sammlung meiner Gedichte aufgenommen und gelangte zur außerordentlichsten Popularität. Der »William Ratcliff« wurde jedoch nur wenig bekannt; in der Tat, der Name seines Verlegers war Dümmler. Dieser Tragödie oder dramatisierten Ballade gewähre ich mit gutem Fug jetzt einen Platz in der Sammlung meiner Gedichte, weil sie als eine bedeutsame Urkunde zu den Prozeßakten meines Dichterlebens gehört. Sie resümiert nämlich meine poetische Sturm-und-Drang-Periode, die sich in den »Jungen Leiden« des »Buchs der Lieder« sehr unvollständig und dunkel kundgibt. Der junge Autor, der hier mit schwerer, unbeholfener Zunge nur träumerische Naturlaute lallt, spricht dort, im »Ratcliff«, eine wache, mündige Sprache und sagt unverhohlen sein letztes Wort. Dieses Wort wurde seitdem ein Losungswort, bei dessen Ruf die fahlen Gesichter des Elends wie Purpur aufflammen und die rotbäckigen Söhne des Glücks zu Kalk erbleichen. Am Herde des ehrlichen Tom im »Ratcliff« brodelt schon die große Suppenfrage, worin jetzt tausend verdorbene Köche herumlöffeln und die täglich schäumender überkocht. Ein wunderliches Sonntagskind ist der Poet; er sieht die Eichenwälder, welche noch in der Eichel schlummern, und er hält Zwiesprache mit den Geschlechtern, die noch nicht geboren sind. Sie wispern ihm ihre Geheimnisse, und er plaudert sie aus auf öffentlichem Markt. Aber seine Stimme verhallt im lauten Getöse der Tagesleidenschaften; wenige hören ihn, keiner versteht ihn. Friedrich Schlegel nannte den Geschichtschreiber einen Propheten, der rückwärts schaue in die Vergangenheit; – man könnte mit größerem Fug von dem Dichter sagen, daß er ein Geschichtschreiber sei, dessen Auge hinausblicke in die Zukunft.
Ich schrieb den »William Ratcliff« zu Berlin unter den Linden, in den letzten drei Tagen des Januars 1821, als das Sonnenlicht mit einem gewissen lauwarmen Wohlwollen die schneebedeckten Dächer und die traurig entlaubten Bäume beglänzte. Ich schrieb in einem Zuge und ohne Brouillon. Während dem Schreiben war es mir, als hörte ich über meinem Haupte ein Rauschen, wie der Flügelschlag eines Vogels. Als ich meinen Freunden, den jungen Berliner Dichtern, davon erzählte, sahen sie sich einander an mit einer sonderbaren Miene und versicherten mir einstimmig, daß ihnen nie dergleichen beim Dichten passiert sei.
Paris, 24. November 1851
Heinrich Heine
Personen.
Mac-Gregor, schottischer Laird.
Maria, seine Tochter.
Graf Douglas, ihr Bräutigam.
William Ratcliff.
Lesley, sein Freund.
Margarete, Marias Amme.
Tom, Wirt einer Diebesherberge.
Willie, sein Söhnchen.
Robin,
Dick,
Bill,
John,
Taddie, , Räuber und Gauner.
Räuber, Bediente, Hochzeitsgäste.
Die Handlung geht vor in der neuesten Zeit, im nördlichen Schottland.
Zimmer in Mac-Gregors Schloß
Margarete (kauert bewegungslos in einer Ecke).
Mac-Gregor. Maria. Douglas.
MAC-GREGOR er legt Douglas' und Marias Hände ineinander.
Ihr seid jetzt Mann und Weib. Wie eure Hände
Vereinigt sind, so sollen auch die Herzen,
In Leid und Freud, vereinigt sein auf immer.
Zwei mächt'ge Sakramente, das der Kirche
Und das der Liebe, haben euch verbunden;
Ein Doppelsegen ruht auf euren Häuptern;
Und auch den Vatersegen leg ich drauf.
Er legt segnend seine Hände auf beider Haupt.
DOUGLAS.
Mit Stolz, Mylord, nenn ich Euch heute: Vater.
MAC-GREGOR.
Mit noch weit größerm Stolz nenn ich Euch: Sohn.
Sie umarmen sich.
MARGARETE singt im abgebrochenen Wahnsinntone.
»Was ist von Blut dein Schwert so rot?
Edward, Edward?«
DOUGLAS erschrocken auffahrend und nach Margarete schauend.
Um Gott, Mylord, welch gläsern geller Laut?
Es fängt zu singen an, das stumme Bild –
MAC-GREGOR mit erzwungenem Lächeln.
Stört Euch nicht dran. Es ist die tolle Margarete,
Gehört zum Schloß. Sie leidet an der Starrsucht,
Seit Jahr und Tag. Mit stieren Augen liegt sie
Gekauert, manch unheimlich lange Stunde;
Und dann und wann, wie 'n Stein, der sprechen kann,
Bewegungslos, quäkt sie ein altes Lied –
DOUGLAS.
Warum behaltet Ihr im Schloß solch Schrecknis?
MAC-GREGOR leise zu ihm.
Still, still. Sie hört jedwedes Wort; – schon lange
Hätt ich sie fortgeschafft – doch darf ich nicht.
MARIA.
Laßt ruhn die arme, gute Margarete.
Erzählt mir lieber etwas Neues, Douglas.
Wie sieht's in London aus? Bei uns in Schottland
Erfährt man nichts.
DOUGLAS.
Noch ist's das alte Treiben.
Man rennt, und fährt, und jagt, Straß' auf, Straß' ab.
Man schläft des Tags, und macht zum Tag die Nacht.
Vauxhall und Routs und Picknicks drängen sich;
Und Drurylane und Coventgarden locken.
Die Oper rauscht. Pfundnoten wechselt man
Für Musiknoten ein. »God save the King«
Wird mitgebrüllt. Die Patrioten liegen
In dunkeln Schenken und politisieren,
Und subskribieren, wetten, fluchen, gähnen,
Und saufen auf das Wohl des Vaterlands.
Roastbeef und Pudding dampft, der Porter schäumt,
Und sein Rezept schreibt lächelnd der Quacksalber.
Die Taschendiebe drängen. Gauner quälen
Mit ihrer Höflichkeit. Der Bettler quält
Mit seinem Jammeranblick und Gewimmer.
Vor allem quält die unbequeme Tracht,
Der enge Wespenrock, das steife Halsband,
Und gar der babylonisch hohe Turmhut.
MAC-GREGOR.
Da lob ich mir mein Plaid und meine Mütze.
Ihr tatet gut, daß Ihr die Narrenkleider
Vom Leib geworfen habt.
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