Er machte einen wohlwollenerweckenden Eindruck, ohne grad das Benehmen eines hochgebildeten Mannes zu zeigen. Er trat bescheiden auf, war aber trotzdem dabei auch ein wenig Protz. Das von den traurigen Augen, das stimmte. Lachen schien er gar nicht zu können, und wenn er ja einmal lächelte, so machte das mehr den Eindruck der Qual als der Heiterkeit. Meine Frau stellte uns einander vor. Wir verbeugten uns und saßen uns dann einander gegenüber. Ich bat ihn, mir zu sagen, womit ich ihm dienen könne. Er antwortete, indem er fragte:
»Ihr seid Old Shatterhand?«
»Man nannte mich so,« erwiderte ich.
»Auch jetzt noch?«
»Höchst wahrscheinlich.«
»Ihr geht nächstens wieder hinüber?«
»Ja.«
»Wohin? Bis wie weit?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Mit welchem Schiff?«
»Ist noch unbestimmt.«
»Auf wie lange?«
»Das wird sich erst drüben entscheiden.«
»Ihr besucht alte Bekannte?«
»Vielleicht.«
»Werdet Ihr Euch mehr nach dem Norden oder nach dem Süden der Staaten wenden?«
Da stand ich von meinem Sitze auf, verbeugte mich, drehte mich um und ging nach der Tür.
»Wohin wollt Ihr, Mr. May?« rief er da hastig hinter mir her.
Ich blieb stehen und antwortete:
»Wieder an meine Arbeit. Ich habe Euch aufgefordert, mir mitzuteilen, was Ihr von mir wünschet. Anstatt dies zu tun, legt Ihr mir eine ganze Reihe von Fragen vor, zu denen Euch absolut kein Recht gegeben ist. Hierauf zu antworten, habe ich keine Zeit!«
»Ich habe Mrs. May gesagt, daß ich sofort bezahle, was das kostet,« warf er ein.
»Das könnt Ihr nicht. Ihr seid zu arm dazu, viel zu arm!«
»Glaubt Ihr? Mache ich wirklich einen so armen Eindruck? Ihr irrt Euch, Sir!«
»Gewiß nicht. Denn selbst wenn Ihr Euch im Besitze von tausend Milliarden befändet, so wäret Ihr trotzdem außer Stande, sogar dem allerärmsten Teufel auch nur eine Viertelstunde der ihm von Gott gegebenen, vollständig unersetzlichen Lebenszeit zu bezahlen!«
»Wenn Ihr das so betrachtet, so mag es sein. Bitte, setzt Euch wieder nieder! Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.«
Er wartete, bis ich diesen seinen Wunsch unter scheinbarem Zögern erfüllt hatte, und fuhr dann fort:
»Ich bin Verlagsbuchhändler. Ich kenne Euern ›Winnetou‹ – – –«
»Sprecht und lest Ihr Deutsch?« unterbrach ich ihn.
»Nein,« antwortete er.
»Wie könnt Ihr da diese Erzählung kennen? Sie ist meines Wissens noch nicht in das Englische übersetzt.«
»Sie wurde in einer mir befreundeten Familie, in welcher auch deutsch gesprochen wird, gelesen und mir zuliebe gleich während des Lesens übersetzt. Was ich da hörte, interessierte mich derart, daß ich einen jungen, stellenlosen Deutschamerikaner zu mir nahm, um sie mir in voller Muße nach und nach derart vorlesen zu lassen, daß ich Alles verstand und mir die notwendig erscheinenden Notizen machen konnte.«
»Ah, Notizen! Wozu Notizen?«
Ich bemerkte, daß diese Frage ihn in Verlegenheit brachte. Er versuchte, dies zu verbergen, und antwortete:
»Natürlich nur rein literarische, als Buchhändler, selbstverständlich! Ich habe dann auf meinen weiten Ritten durch den Westen diese Notizen bei mir gehabt und Alles, was in Euern drei Bänden steht, nachgeprüft. Darum bin ich imstande, Euch sagen zu können, daß Alles stimmt, Alles, sogar oft die geringsten Kleinigkeiten.«
»Danke!« sagte ich kurz, als er mich hierbei ansah, ob dieses Lob einen Eindruck auf mich machen werde.
»Nur zwei Orte,« fuhr er fort, »konnte ich noch keiner Prüfung unterziehen, weil ich sie noch nicht aufzufinden vermochte.«
»Welche, Sir?«
»Den Nugget-Tsil und das ›Dunkle Wasser‹, in welchem Sander sein wohlverdientes Ende fand. Werdet Ihr vielleicht auf Eurer jetzigen Reife an diese Stellen kommen?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ich höre, daß Ihr schon wieder so überflüssige Fragen bringt, anstatt mir zu sagen, was Ihr wollt – – –!«
Ich machte Miene, wieder aufzustehen.
»Bleibt sitzen, bleibt sitzen!« rief er schnell. »Ich bin ja sofort wieder bei der Sache, oder vielmehr, ich habe mich von ihr noch gar nicht entfernt. Ich wollte Euch nur zeigen, daß ich Eure Bücher geprüft und der Uebersetzung in die englische Sprache für wert gefunden habe.«
»Geprüft? Dazu gehören lange Jahre!«
»Haben es auch, haben es auch!« nickte er eifrig, ohne zu bemerken, daß jetzt ich der Anschleichende war. »Es hat eine sehr lange Zeit gedauert, ehe ich alle die Orte berühren konnte, um die es sich da handelte.«
»Vertrug sich das mit Eurem Geschäft?«
»Gewiß, gewiß. Wir hatten damals ein Grossogeschäft in Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen und trieben uns bei unsern Einkäufen sehr viel im alten Westen herum.«
»Ihr sagt ›wir‹. Also Kompagnons?«
»Ja, aber keine Fremden, sondern brüderliche Kompagnie. Wir waren fünf Brüder, sind aber jetzt nur noch zwei. Auch noch Kompagniegeschäft, aber nicht in Pferden und Rindern, sondern in Büchern. Wir wollen Euch Euern ›Winnetou‹ abkaufen – – –«
»Nur ihn?« fiel ich ihm in die Rede.
»Ja, nur ihn,« erwiderte er.
»Warum nicht auch de andern Bücher, die doch auch Reifeerzählungen sind?«
»Weil sie uns nicht interessieren.«
»Ich denke, es kommt hierbei mehr darauf an, was die Leser interessiert?«
»Mag sein; bei uns aber ist das anders.
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