Nie zuvor hatte es eine Wasserfläche gesehen. Das sah gut aus zum Gehen, es war glatt und hatte keine Unebenheiten. Es trat kühn darauf, aber sogleich ging es unter und schrie vor Angst, denn von neuem hielt das Unbekannte es umklammert. Das Wasser war kalt, und das Wölflein schnappte keuchend nach Luft, denn statt der Luft, die es sonst geatmet hatte, hatte ihm Wasser die Lungen gefüllt, und es hatte das Gefühl des Erstickens, was doch Tod bedeutete. Zwar kannte es nicht den Tod, aber wie jedes Tier der Wildnis hatte es eine instinktmäßige Furcht vor dem Tode, der der höchste aller Schmerzen war. Denn der Tod war das eigentliche Unbekannte, die Summe all seiner Schrecken, das höchste, gar nicht auszudrückende Unglück, das ihm passieren könnte, wovon es zwar nichts wußte, wovon es aber alles fürchtete.

Es kam wieder an die Oberfläche, und die sanfte Luft strömte ihm in den geöffneten Mund. Es ging nicht wieder unter, sondern wie aus alter Gewohnheit arbeitete es mit allen vieren und schwamm. Das Ufer, von dem es gekommen, war kaum einen Meter weit entfernt, aber es lag hinter ihm, und so schwamm es nach dem gegenüberliegenden, das ihm vor Augen lag. Das Flüßchen war nur schmal, aber es bildete hier ein Becken von etwa zwanzig Fuß Breite.

Mitten im Wasser ergriff es die Strömung und zog es stromabwärts in eine winzige Stromschnelle unterhalb des Beckens. Hier war wenig Aussicht auf Schwimmen, denn das bisher ruhige Wasser wurde auf einmal ganz toll. Es drehte es bald auf den Rücken, bald auf den Bauch, es erhielt es immer in heftiger Bewegung und schleuderte es bald gegen einen Stein, bald gegen einen Felsen, wobei das Wölflein jedesmal kläglich aufschrie. Die ganze Fahrt war eine Reihenfolge solch kläglicher Schreie, was auf eine große Anzahl Steine schließen ließ. Unterhalb der Stromschnelle befand sich wieder ein Becken, und hier wurde es durch die kreisende Bewegung des Wassers ans Ufer getragen und sanft auf ein Kieslager gebettet. Es kroch in wahnsinniger Angst von dem Wasser hinweg und legte sich nieder. Es hatte von der Welt etwas mehr kennengelernt. Das Wasser war zwar nicht lebendig, aber es bewegte sich dennoch. Es sah so fest aus wie die Erde und besaß doch keine Festigkeit. Also waren die Dinge nicht immer das, was sie schienen. Zwar war seine Furcht vor dem Unbekannten nur ererbtes Mißtrauen, doch nun durch die Erfahrung verstärkt. Darum mußte man fortwährend gegen den Schein auf der Hut sein. Man mußte die Beschaffenheit eines Dinges erst kennenlernen, ehe man sich darauf verlassen konnte.

Noch ein Abenteuer war ihm für diesen Tag vorbehalten. Es fiel ihm plötzlich ein, daß es eine Mutter habe, und es hatte das Gefühl, daß es sie mehr, als irgend etwas in der Welt herbeiwünschte. Nicht nur war sein Körper von all den durchlebten Abenteuern ermattet, sondern sein kleines Hirn war auch müde. Nie zuvor in seinem ganzen Leben hatte es so schwer gearbeitet wie an diesem einen Tage. Es wollte schlafen, also machte es sich auf, zur Höhle und zur Mutter zurückzukehren, da das Gefühl der Einsamkeit und Hilflosigkeit es zu überwältigen begann.

Es schritt breitbeinig zwischen den Büschen dahin, als es einen scharfen, drohenden Schrei vernahm. Etwas Gelbliches schoß blitzschnell an seinen Augen vorüber, und es sah ein Wiesel hinwegspringen. Da es nur ein kleines Geschöpf war, so hatte es keine Furcht. Dann erblickte es dicht vor seinen Füßen ein noch viel kleineres Wiesel, ein nur einige Zoll langes Junges, das ebenso ungehorsam wie das Wölflein auch auf Abenteuer ausgegangen war. Es versuchte zu fliehen, und der junge Wolf drehte es mit der Pfote um und um. Es gab drollige, schrille Töne von sich, als abermals der gelbliche Blitz vor den Augen des Wölfleins vorüberschoß.