WOYZECK
Ja, Herr Hauptmann, die Tugend - ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!
HAUPTMANN
Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 26.09.2000
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Georg Büchner (1813-1837)
Woyzeck
Freies Feld, die Stadt in der Ferne
Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch. Andres pfeift.
WOYZECK
Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst Du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es wär ein Igel: drei Tag und drei Nächt, er lag auf den Hobelspänen. - Leise: Andres, das waren die Freimaurer! Ich hab's, die Freimaurer!
ANDRES singt:
Saßen dort zwei Hasen,
fraßen ab das grüne, grüne Gras...
WOYZECK
Still: Hörst du's, Andres? Hörst du's? Es geht was!
ANDRES
Fraßen ab das grüne, grüne Gras...
bis auf den grünen Rasen.
WOYZECK
Es geht hinter mir, unter mir. - Stampft auf den Boden: Hohl, hörst Du? Alles hohl da unten!
Die Freimaurer!
ANDRES
Ich fürcht' mich.
WOYZECK
's ist so kurios still. Man möcht' den Atem halten. - Andres!
ANDRES
Was?
WOYZECK
Red was! - Starrt in die Gegend. - Andres, wie hell! Über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! - Fort! Sieh nicht hinter dich! - Reißt ihn ins Gebüsch.
ANDRES nach einer Pause
Woyzeck, hörst du's noch?
WOYZECK
Still, alles still, als wär' die Welt tot.
ANDRES
Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort!
Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 26.09.2000
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Georg Büchner (1813-1837)
Woyzeck
Die Stadt
Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret. Der Zapfenstreich geht vorbei, der Tambourmajor voran.
MARIE das Kind wippend auf dem Arm
He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da kommen Sie!
MARGRET
Was ein Mann, wie ein Baum!
MARIE
Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw.
Tambourmajor grüßt.
MARGRET
Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gewöhnt.
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