»Wo sind die Hunde?« frug er.
»Eingeschlossen; wir brauchen sie heute nicht.«
Der Junker nickte.
»Es ist eine Wölfin«, sagte der Alte; »ein wild und grausam Thier, denn sie hat spät gewölfet; wenn sie abends ausgeht, ist kein Hausthier mehr draußen, und das Kleingewild verkriecht sich in die Erde.«
Ein seltsames Geräusch drang ins Gemach, das einem Schnarchen glich. »Hört!« sagte der Junker hastig.
Aber der Alte wies nach der Zimmerdecke und sprach kopfschüttelnd: »Das sind nur meine Eulen, Kind! Ein Jäger muß geduldig sein.«
Der Mond hatte indeß das Zimmer mit sanftem Licht erfüllet, und ich sahe, daß es mit alten Geräthstücken versehen war, so ich sonst auf dem Boden oder in den Seitenräumen zu Grieshuus gesehen hatte; ein ungeheurer Eichentisch in des Zimmers Mitte nahm wohl ein Viertheil alles Raumes ein; da herum eine Anzahl ungefüger Stühle; am Fenster stand ein Tischlein mit ausgelegten Feldern. Der Wildmeister führte uns wieder zu den Stühlen und setzte sich selber neben Rolf. Dann begann er von seinen Jagden zu erzählen, in Preußen, Schweden, auch im Jura; er hatte ein brav Stücklein von der Welt gesehen. Aber oftmals hielt er inne und blickte auf den Knaben, der sich an ihn lehnete. »Du bist müde, Rolf«, sagte er.
»Nein, o nein; ich bin nicht müde; erzählet nur!«
Aber der Greis legte von seinem Stuhle aus den Arm um des Knaben Schulter, daß dessen Haupt an seiner Brust zu ruhen kam, und sprach dann langsam weiter. Und bald vernahm ich, wie des Junkers Athemzüge anders würden. Er schlief; denn es mochte gegen Mitternacht sein, was ihm ungewohnte Stunde war. Da neigte der Alte sein Haupt an das des Knaben und zog ihn mit beiden Armen an sich. »O lieber Gott im Himmel, die Lieb ist gar zu groß!« So hörete ich ihn murmeln, und dann kam ein Stöhnen tief aus seiner Brust. Aber der Knabe schlief, und der Mond rückte weiter und warf sein Licht auf beider Antlitz. Gnädiger Gott, Allwisser, ich war doch schier erschrocken; die beiden mußten eines Stammes sein! So ähnlich erschienen mir in diesem Augenblick das alte und das junge Antlitz.
Der Greis saß schweigend und wandte seine Augen ins Gemach, als suchten sie etwas, das einst hier gewesen sei; da drang von unten ein Knurren der großen Hunde durch die Dielen, und mir war, als ob Hans Christoph sie zu stillen suche; dann schrie das Zicklein vor dem Hausthor, und ich meinete zu hören, daß von draußen etwas an der Hofmauer hinaufspringe, aber dorten wieder hinunter auf den Boden falle.
Der Wildmeister richtete sich auf, und ich sahe, wie er den Kopf des Junkers sanft zurückbeugte. »Wach auf, Kind!« sagte er; »der Wolf ist da!« Dann stund er auf, und der Knabe öffnete die Augen und schüttelte sein Haar zurück. Der Alte stieß mit einer Büchse, die er von der Wand genommen, kaum hörbar auf den Boden. »Nun komm, Rolf!« Und er faßte seine Hand und zog ihn an das Fenster. Draußen fiel das Raubthier, als wolle es sie zerbrechen, mit den Tatzen gegen die Planken des Hofthors; da griff der Wildmeister an die Leine, und ich, der ich gleichfalls an dem breiten Fenster stand, sahe nun den einen Thorflügel zurücksinken; aber dahinter war nur der leere Grund, auf welchen das Mondlicht schien. Der Wolf war fort und schien nicht rückkehren zu wollen. Wir standen lange, und ich dachte: ›Warum ließ der Alte nicht zu Anfang gleich das Thor geöffnet; denn nun scheuet sich das Thier? Oder wollte er nur um so länger sich des Knaben freuen?‹
Aber endlich, als ich wieder hinsah, stand auf dem leeren Flecke eine Kreatur, einem dürren, hochbeinigen Hund vergleichbar, und schritt, fürsichtig um sich lugend, in den Hof; stand still, warf den Kopf empor und schritt dann wieder weiter. Schon wollte es zum Sprunge ansetzen, jedoch im selben Augenblicke klappte hinter ihm das Thor; ein lothrechter Riegel fiel mit Gewalt herunter, und das Zicklein war in das Haus hineingezogen.
Der Alte nickte, indem er den einen Fensterflügel aufstieß. »Siehst du ihn?« frug er und wies nach einer Ecke des Hofes; aber wir sahen ihn nicht, denn es lag dort tiefer Schatten; nur zwei glimmende Punkte drangen von dorther durch das Dunkel.
Der Wildmeister legte die Büchse in des Knaben Hände. »Das ziemet dir«, sprach er; »es ist der letzte Wolf in deinen Wäldern.« Der Junker legte das Schießwerkzeug an seine Wange; aber da das schlagende Herz des Knaben dessen Arme zittern machte, hielt ihn der Alte mit der Hand zurück. »Halt, Rolf; ein so gestellet Thier darf nicht gefehlet werden!«
Da wandte ich mich um; ich wollte Weiteres nicht sehen.
»Nun schieß!«
Der Alte hatte es gesprochen; und es gab einen Krach, und durch die Dielen kam ein tobendes Geheul herauf. Noch hörte ich, wie der Wildmeister mit dem Knaben nach dem Hofe hinabging; dann, wie sie draußen mit Hans Christoph das erschossene Thier aus seinem Winkel zogen.
– – »Ihr möget kein Blut sehen, Herr Magister!« sprach der Alte zu mir, da sie beide wieder in das Zimmer traten.
»Ihr saget es«, entgegnete ich; »ich dachte an die Jungen des erschossenen Mutterthieres.«
»Das ist nun so«, sprach er und stand in sich versinkend vor mir; »'s ist doch kein schwanger Weib, aus dessen Schoß sich noch ein unreif Kind losreißen muß. Aber die jungen Wölfe sollen nicht verkümmern; ich und Hans Christoph«, sprach er wieder lauter, »holen sie noch heute nacht; so lange wir die Brut nicht haben, ist der Wald nicht rein.«
Dann entzündete er ein Licht mit seinem Zunderkästlein, öffnete eine Kammerthür und ließ uns eintreten. Hier stand eine schlichte Bettstatt, davor ein großer Sessel, ein Mantel lag darüber.
»Ihr werdet hier schon schlafen können«, sprach er freundlich; »und habet somit gute Nacht!« Er reichte mir die Hand, küßte den Knaben, und wir hörten, wie er durch das andere Zimmer fortging.
Ich setzte mich in den Sessel und deckte mir den Mantel über, Rolf warf sich angekleidet auf das Bett. Er sprach kein Wort; er hatte den Kopf gestützt und starrte auf die Thür, durch welche der Alte sich entfernt hatte. »Wer war das?« rief er plötzlich, doch als ob er zu sich selber spräche. Da frug ich ihn: »Wen meinst du, Rolf? den Wildmeister?«
Er schien mich nicht zu hören, und der Glanz seiner Augen war gleichsam so nach innen gekehret, als sähen sie rückwärts in die weiteste Vergangenheit; vielleicht, denn es geschiehet ja also, stand er an dem Bette seiner Mutter, die er im vierten Jahre als eine allzeit kranke Frau verloren hatte. Und abermals rief er, jedoch frohlockend: »Jetzt weiß ich es! – Ich soll ihn grüßen!« Und seine Augen warfen wieder ihre blauen Demantstrahlen.
Als aber die Flurthür des anderen Zimmers aufging und der Schritt des Alten darin hörbar wurde, der etwa was Vergessenes zu holen kam, sprang er jählings aus der Bettstatt und ging hinein.
Aber die Thür blieb hinter ihm um eine Spalte offen; da sahe ich den Knaben in des Alten Armen hängen, ich sah das alte Gesicht sich auf das junge neigen und viele Thränen aus den alten Augen darauf fallen.
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