»Gebet mir des Junkers Pferd Falada, so soll die Erde uns nicht lange halten!«
»Gehe, Marten«, sprach der Oberst, »und sattle die Falada!«
Und der Knecht trollete sich schweigend, und die andern Knechte und die Dirnen gingen mithinaus. Der Oberst reichte dem Wildmeister die Hände: »Ihr seid der Alte noch! Wir harren Euer, bis Ihr wiederkehret; und Gott geleite Euch!«
Doch als dieser sich zur Thüre wandte, stand Abel vor ihm, mit ihren großen schwarzen Augen zu ihm aufblickend. »Ich darf nicht«, sagte sie; »aber, Herr, Ihr werdet nichts versäumen!«
Da neigte der noch immer aufrechte Mann sich zu ihr, nahm den kleinen Kopf des Mädchens zwischen seine Hände und küßte sie liebevoll auf ihre Stirn. »Nein, Kind, so Gott will«, sagte er leise; »ich liebe ihn ja noch mehr als du!«
»Noch mehr?« murmelte das Mädchen und schüttelte finster mit dem Haupte. Das sah ich noch; dann war ich mit dem Wildmeister draußen vor dem Hausthor. Da stand schon die Falada, von dem Knecht gehalten; das edle Thier streckte den Hals und wieherte grüßend in die helle Nacht hinaus; der greise Mann aber reichte mir die Hand. »Lebet wohl, Herr Pastor!« sprach er, »betet für mich, Ihr kennet ja das Wort der Schrift: Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden! Noch dies; dann, hoffe ich, wird Ruhe sein.« Und da er mich itzt ansahe, war mir, als schaue ein lebenslanger Gram aus diesem edlen Antlitz.
Er bestieg das Roß, wandte es und ritt über den Hof zum Thore hinaus; ich aber ging ihm bis an den Rand der Mulde nach und sah noch eine Zeitlang die hellen Mähnen seines Rosses in der dunklen Heide fliegen.
– – Als ich die Treppe im Herrenhause wieder hinaufstieg, hörte ich die Thür des Krankenzimmers gehen, und mit ihrem Krückstock kam die blinde Matten daraus hervor.
»Wo will Sie hin, Matten?« frug ich.
»Zum Herrn«, entgegnete sie kurz; »aber faß Er mich an, Magister!«
So ging ich mit ihr hinein. Der Oberst saß wieder in seinem Sessel; Abel stand neben ihm, als sei sie gelähmt.
»Verzeihet, Herr!« sagte die Alte; »wir hören die Dirnen reden, und das Frölen Adelheid traget danach: Was ist mit dem Junker?« Dann hielt sie inne: »Ist hier noch jemand mehr zugegen?«
»Deine Abel«, sprach der Oberst; »sonst niemand.«
»Abel? Nein, die ist unten in der Stadt; das sei Gott geklaget, denn da ist rauhe Wirthschaft itzo.«
Aber das Mädchen ging zu ihr und berichtete, was sie hergetrieben hatte. Die Alte stand gebückt und lauschte. »Wer soll denn reiten?« frug sie.
»Der Wildmeister, Möddersch; denn der ist wieder da und gleich nach mir hieher gekommen.«
Die Alte hatte sich aufgerichtet: »Der Wildmeister? Den ihr hier den Wildmeister geheißen habt? Wo ist der? Der darf nicht reiten!«
»Was redest du da wieder, Matten?« sprach der Oberst. »Ein Besserer wär nicht zu finden. Er ist schon fort; er muß bald mitten in den Eichen sein.«
Da fiel die Alte auf die Knie, und ihren Krückstock; in die Höhe streckend, rief sie: »So stehen sie beide bald vor Gottes Angesicht!«
Das Kerzenlicht, welches allein in dem weiten Gemache brannte, und die Mondesdämmerung, welche durch die hohen Fenster schimmerte, erzeugeten ein seltsam wüstes Zwielicht; es war so kalt und öde hier; mir war mit einem Mal, als sei alle Hoffnung längst verloren.
Der Oberst hatte sich erhoben und wandelte hinkend auf und ab. »Die Stunde ist schwer, Matten«, sagte er; »mache sie nicht schwerer durch deine Thorheit.«
Die Alte entgegnete nichts, sie schien zu beten; doch Abel hob sanft und schweigend ihr altes Möddersch auf. Ich hörte, wie sie langsam den Korridor entlang und nach dem Krankenzimmer gingen.
– – Der Herr Oberst und ich waren itzt allein. Vom Dorf herauf kam mit dem Wind ein Schlag der Thurmglocke. »Eins!« sagte der Oberst.
»Ja, eins!« wiederholte ich; »vor vier Uhr kann der Wildmeister nicht zurück sein. Wollen der Herr Oberst sich nicht zur Ruhe legen bis dahin?«
Aber er schüttelte den Kopf: »Wenn Er, Magister, mit mir wachen wollte?« Und da ich dessen ihn versicherte, zog er den Glockenstrang. »Vielleicht, er könnte selber kommen!«
Ich schwieg; aber eine Magd kam, und bald entzündete sie ein mächtig Feuer in dem großen Ofen, und der Oberst hieß sie seinen Sessel und einen Stuhl für mich davor tragen.
Hier haben wir bei einander in der Nacht gesessen. Ein leichter Wind flirrete vor den Fenstern, und unterweilen ruckten wohl einmal die Wetterfahnen auf dem Dache. Sonst war alles still; nur wenn die Stunde wieder voll wurde, kam der Glockenschlag vom Dorf herauf. Geredet haben wir nicht viel mitsammen; des Obersten Gedanken mochten bei dem Sohne sein, auch wohl den greisen Reiter durch den Forst begleiten; denn einmal streckte er jählings beide Arme aus und rief als wie aus Träumen: »Gott schütz sie beide!«, schwieg dann aber wieder oder sprach dazwischen: »Wie weit mag's in der Zeit sein, Pastor?« – Ich selber aber – denn so voll selbstsüchtigen Gebarens ist unser Herz –, ich dachte allendlich doch immer wieder an Abel, und in meinen Gedanken summete dann allzeit ein Gebet: »Ja, schütze ihn, mein Herr und Gott; aber das Herz des Mädchens, das mein Glück ist und das ihm nicht tauget, das wende du zu mir und gib uns deinen Segen. Amen!«
Das Feuer im Ofen war längst verloschen; itzt prasselte auch das Licht auf und sank dann zusammen. Es wurde fast dunkel in dem Zimmer, obschon da draußen noch der Mond schien; und da ich wußte, wo das Feuerzeug zu finden, so stand ich auf und entzündete das neue Licht, das bei dem Leuchter lag. So war es wieder wie vorher.
Es mag schon nach fünf Uhr gewesen sein, da hob der Oberst seinen Kopf und horchete nach den Fenstern zu; dann plötzlich richtete er sich völlig auf. »Sie kommen!« rief er. »Hört Er es, Magister?«
Wir traten an das Fenster, sahen aber nichts, denn das Thorhaus ließ durch das Gitter von hier aus nur einen kurzen Blick nach draußen. Ich horchte. »Aber ein Wagen ist dabei, Herr Oberst!« sprach ich.
»Nein, nein; Er täuschet sich.«
Ich horchete wieder, und ich vernahm es deutlich. »Gewiß ein Wagen!« rief ich. »Aber ein Pferd, vielleicht ein Reiter, ist vorauf!«
Und immer näher kam es.
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