Amen!«
Das Feuer im Ofen war längst verloschen; itzt prasselte auch das Licht auf und sank dann zusammen. Es wurde fast dunkel in dem Zimmer, obschon da draußen noch der Mond schien; und da ich wußte, wo das Feuerzeug zu finden, so stand ich auf und entzündete das neue Licht, das bei dem Leuchter lag. So war es wieder wie vorher.
Es mag schon nach fünf Uhr gewesen sein, da hob der Oberst seinen Kopf und horchete nach den Fenstern zu; dann plötzlich richtete er sich völlig auf. »Sie kommen!« rief er. »Hört Er es, Magister?«
Wir traten an das Fenster, sahen aber nichts, denn das Thorhaus ließ durch das Gitter von hier aus nur einen kurzen Blick nach draußen. Ich horchte. »Aber ein Wagen ist dabei, Herr Oberst!« sprach ich.
»Nein, nein; Er täuschet sich.«
Ich horchete wieder, und ich vernahm es deutlich. »Gewiß ein Wagen!« rief ich. »Aber ein Pferd, vielleicht ein Reiter, ist vorauf!«
Und immer näher kam es. »Ein Wagen! Ja, ich höre ihn«, sprach der Oberst. »Was hat der Wagen zu bedeuten?«
Bald trabte ein Reiter durch die offene Thorfahrt. Auf dem Hofe sprang er ab; aber er brachte selbst sein Pferd zu Stalle. Gleich danach höreten wir wieder draußen seinen Schritt; dann trat er in das Haus und stieg die Treppe zu uns herauf.
»Nur der Verwalter«, sagte der Oberst; »er kommt vom Meierhof. Aber wo ist der Vetter?«
Da war der Mann schon zu uns in das Zimmer getreten, stand am Thürpfosten und sah den Oberst an, als habe er Unheil zu verkünden, das den Mund nicht zu verlassen wage.
Sein Herr war auf ihn zugegangen: »Er ist's, Verwalter? Hat Er mich doch schier erschrecket!«
Aber der Mann schien vergebens an einem Wort zu würgen.
Der Oberst wurde unruhig. »So red Er doch!« rief er; »was hat Er mir zu melden?«
Da sprach der andere: »Wir bringen einen Todten.« Und nach einer Pause: »Wir trafen den Wagen vor dem Walde; der Herr Vetter blieb dabei; ich bin vorausgeritten.«
»Den Wildmeister!« rief der Oberst. »Wo habet ihr ihn gefunden?«
Aber der Verwalter starrte ihn an. »Was meinen Sie mit dem Wildmeister, Herr?«
Der Oberst wurde kreideweiß im Antlitz und griff hinter sich nach einem Tische; dann streckte er den Arm und ließ die Hand schwer auf des Verwalters Schulter fallen. »Sag Er nichts weiter; nur – wie habe ich meinen Sohn verloren?«
Aber seine Hand zitterte so gewaltig, daß der starke Mann darunter bebte.
»Herr, wenn Sie es wissen wollen!« sprach er; »überfallen sind sie worden, aber halb im Schlafe doch noch in den Sattel kommen; und ein Kampfgefühl jenseit der Brücken hat sich dann ergeben. Der Junker Rolf auf einem hohen Fuchs war überall voran, aber auch viele Lanzen – denn von solchem Reitervolk sind die Russischen gewesen – haben nach ihm gezielet. Da ist vom Wald herunter ein herrenloses dunkles Pferd herangekommen, mit weißem Schweif und Mähnen, die haben im Mondenschein geflogen; das ist, als sei es rasend, durch die Niederung und über die Brücke auf die streitenden Milizen losgestürmt; die dunkeln Augen haben gefunkelt, es hat den kleinen Kopf nach rechts und links herumgeworfen. ›Das war kein Pferd, wie wir sie haben‹, sagte der schwedische Soldat, der mir das erzählete. Und zwischen dem Junker und einem Offizier, der seine Lanze auf ihn eingeleget, ist es jach hindurchgestoben; aber des Junkers Augen, die er so nöthig brauchte, hat es mitgenommen. ›Falada!‹ hat er laut gerufen, dann –«
»Dann?« stammelte der Oberst.
»Ja, Herr, das ist sein letztes Wort gewesen; denn die Lanzenspitze des Russen hatte ihm das Herz durchstoßen.«
Ich faßte schweigend unseres Herrn Hand; da rollte ein Wagen langsam in den Hof, und wir stiegen hinab und hoben unseren Rolf, den schönen todten Offizier, herunter; wir trugen ihn hinauf in seine alte Kammer und legten ihn auf die Bettstatt; aber nicht mehr, damit er wie einstmals im Morgenroth von seinem Lager springe.
– – Ich hatte den Todten in seines Vaters Hut gelassen; denn mir lag zu sehr am Herzen, was nun zunächst uns zu besorgen oblag.
Da ich aus dem Hof getreten war, sahe ich ein zehnjährig Bürschlein vom Dorf heraufkommen; das erwartete ich, gab ihm eine kleine Münze und sprach: »Gehe ein Stücklein mit mir, Jürgen, falls ich einen Boten brauchte.«
Das war es zufrieden: und so gingen wir mitsammen an der rechten Seite oben durch den Waldesrand, und ich, wie wir fürder schritten, schauete von dorten allzeit über die Heide hin. »Wen suchet Ihr, Herr Pastor?« frug das Kind.
»Mir ist bang- ich suche einen Todten«, entgegnete ich ihm.
Da wurde das Kind gar stille, und wir gingen weiter; aber es drängte sich an mich, wenn Krähen oder Elstern in den nackten Bäumen rauschten. Als wir oberhalb des Steines vor dem Tümpel kamen, streckte es seine Hand dahin. »Sehet, Pastor«, sprach es; »da liegt einer!«
Und als wir durch das Kraut hinabgestiegen waren, da hatte ich gefunden, was ich suchte. Als habe er zu sanfter Ruhe sich gestreckt, lag hier der Wildmeister mit seinem weißen Kopfe an den Stein gestützet. Der Vorbote der aufgehenden Wintersonne war schon da: ein rother Morgenschimmer lag auf dem stillen Angesicht.
Scheu und fürsichtig war der Knabe näher kommen. »Der schläft nur!« sagte er.
Ich aber sprach: »Gehe hin zum Hofe und erzähle, was du hier gesehen; und bitte, daß sie einen Wagen senden; denn hier ist Gottes Frieden und der Schlaf der Ewigkeit.«
Und so knieete ich zu dem Todten und betete, daß Gott Erbarmen haben möge auch mit der Seele dieses Mannes. Der Knabe aber lief dem Hofe zu.
In der Woche vor dem vierten Sonntage Epiphanias standen die zwei Leichen oben in dem großen Saale aufgebahret, und es war der Tag, an welchem die Beisetzung geschehen sollte, denn auch der Wildmeister sollte in die Gruft derer von Grieshuus; so, hieß es, hatte der Oberst es verordnet, weil er sein Leben um den letzten Sohn des Hauses zugesetzet.
Als ich am Vormittage in den Hof kam, fand ich selbigen von Bauern ganz erfüllet, alt und jung, mit ihren Weibern und Kindern und Gesinde; der Oberst, sagte mir einer, habe sie herbestellt.
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