»Nein, redet nicht, Junker!« wehrte ihm der Alte; »ich weiß ja, was Ihr in Gedanken heget; Ihr seid nicht wie die andern drüben in des Königs Anteil, wo man ein Gesetz will ausgehen lassen, daß alle Jungfernschänder, hoch und nieder, es an Leib und Leben büßen müssen...«
Er kam nicht weiter. Herr Hinrich hatte strack sich aufgerichtet, ein jähes Feuer schoß aus seinen Augen. »Owe Heikens!« schrie er, und seine Faust griff nach des Alten Brust. Doch einen Augenblick nur, und er ließ sie wieder sinken; denn von drüben aus dem Turm scholl es, als ob drinnen leichte Füße die Treppe von dem oberen Stock hinunterhuschten, und dabei schwang ein süßer Sang sich durch die Luft:
Sein Herz von meinem Herzen,
Das bringet niemand los;
O lieber Gott im Himmel,
Die Lieb ist gar zu groß!
Mit verklärtem Antlitz stand der Junker; doch Owe Heikens sagte: »Sorget nicht, Herr Hinrich; sie wird nicht kommen heut; das Tor ist abgeschlossen und der Schlüssel hier in meinem Schubsack!«
Er hatte das fast zornig hingeredet; doch der Junker achtete dessen nicht. »Laß gut sein, Owe«, sprach er; »aber ich denke, du solltest mich nicht mit derlei Schelmenworten paaren!«
»Wenn Ihr das denkt, Herr Hinrich«, und der Alte sah schier traurig zu ihm auf, »was denket Ihr dann weiter? In welcher Kammer in Eures Vaters Hause soll Euer Ehbett mit des geringen Mannes Tochter stehen? Oder wolltet Ihr Euer Erbe gar darum verspielen? Und wenn Ihr es wolltet – ich sag nichts gegen unseres Herrn Söhne; aber es würde groß Klagen geben, so Euer hochgelahrter Herr Bruder hier zum Regiment gelangte.«
Da fuhr der Junker auf: »Du faselst, Ow'; wie sollten meines Bruders Hände nach meinem Gute greifen! Wenn unseres Vaters Augen, die Gott noch lang in dieser Zeitlichkeit belassen wolle, sich einst zu besserer Schau geschlossen haben, dann werden meine über euch sein, so wie es immer Recht und Brauch bei uns gewesen ist.«
Als er solches sagte, wurde inner des Hoftores wie von vorsichtiger Hand ein Rütteln hörbar. »Bärbe!« rief der Junker. »Schließ auf, Owe! Da sollst du sehen, daß Gottes Sonne uns bescheinen mag und keine Flecken dann zutage kommen!«
Aber der Alte zog den Schlüssel nicht aus seinem Schubsack. »Nein, nein, Herr Hinrich, ich schließ Euch keine Türen auf; wollet das nicht von mir heischen, so Ihr mich anders für unseres Herren Diener achtet!«
Der Junker sah ihn eine Weile mit seinen scharfen Augen an, dann sagte er: »Ich kann dich drum nicht schelten, Owe Heikens; sehe denn jeder, welcher Weg ihm taugen mag!«
Von jenseit durch die Pforte drang ein leichtes Atmen an sein Ohr; seine Augen streiften rasch dahin; dann aber nickte er dem Alten zu und schritt den Heidestieg hinab.
Sein Herz von deinem Herzen,
Das bringet niemand los!
O lieber Gott im Himmel – –
Halb wie ein Trutzlied klang das schöne Liebeslied, und er sang es hell und heller, je weiter er durch das schwarze Kraut hinausschritt; die Lüfte, die ihm entgegenwehten, nahmen es auf und fuhren damit rückwärts; kein Wörtlein ist davon verlorengangen.
Es heißt wohl: »Liebe findet ihre Wege«, aber dem Junker waren sie seither doch arg verlegt worden. Es schuf ihm unliebsames Grübeln, weshalb der alte Herr, und eben zwar am Vormittage, seiner Hülfe so sonderlich mehr als sonst bedürfen wolle. War es nichts anderes, so waren Rechnungen aufzustellen oder für Rotuln und Rezesse in einem zähen Rechtshandel mit der Nachbarsdorfschaft Instruktionen aufzusetzen oder verschwundenen Dokumenten im Bodenschutte nachzustöbern; es fehlte selten etwas, um ihn festzuhalten.
Hatte er sich dennoch einmal fortgestohlen, dann ging die Furcht mit ihm, er möge droben die Gäste durch seinen Vater ausgetrieben finden. Freilich tröstete ihn bald im Näherkommen, wenn nicht das Pergamentgesicht des Kornschreibers, das hinter dem Fenster im Oberbau sichtbar wurde, so doch ein trocknes Husten, das von dort herniederzitterte. Aber schon beim Eintritt kam Owe Heikens ihm entgegen, und das Schmunzeln, das dabei unter dessen grauem Schnauzbart zuckte, brachte oft ein wildes Funkeln in des Junkers Augen; dann aber scholl wohl ein leichter Fußtritt von oben durch die Zimmerdecke, und er horchte nur auf dessen Wiederkehr und ließ den Alten über Kriegsvolk und Bauern, über Wild und Wälder reden.
Am besten traf er es gleichwohl, wenn das Tor verschlossen war; dann hatten von oben junge Augen nach ihm ausgespäht; und bald, während auf den kahlen Bäumen die Raben vor Frost und Hunger schrien, drangen heiße Worte durch die trennenden Bohlen hin und wider.
– – So war das neue Jahr gekommen. Die Kriegsunruhen dauerten fort; der junge Herzog Christian Albrecht war in seiner festen Stadt am Eiderstrome von den Dänen eingeschlossen nur sein Vater, unser Herzog Friedrich, war schon vor dem Herbst auf immer zu dem von ihm ersehnten Frieden eingegangen. Trotz alle diesem war um octavis trium regum in der herzoglichen Stadt ob dem Kiele die Ritterschaft nicht minder zahlreich als sonst vertreten; denn das Geld war knapp geworden, und dort, im Umschlage, konnte man solches zu bekommen hoffen.
Auch Junker Hinrich hatte auf des alten Herrn Geheiß sich dahin auf die Reise machen müssen. Zwar nicht um Geldnegozen abzuschließen; aber der jüngere Junker Detlev, der in der Kanzlei zu Gottorf unter des Herzogs Minister Kielmannsegge bereits einen ansehnlichen Platz bekleidete, sollte dort mit einer adeligen Jungfer aus alterbgesessenem Geschlecht sein Verlöbnis feiern; und Junker Hinrich hatte die Vermahnung mitbekommen, sich bei dem Tanze auf dem Rathaussaal in gleicher Weise umzutun; denn derzeit pflegten bei diesen Geschäftsreisen die Herren ihre Frauen und Töchter nicht daheim zu lassen, die auch heuer trotz der widrigen Zeitläufte die selten gebotene Lustbarkeit nicht würden meiden wollen. – Der alte Herr aber saß an jenem Abend, von der Gicht, der Alterskrankheit unseres Landes, geplagt, allein in seinem Gemache zu Grieshuus und warf einen Holzscheit nach dem anderen in die Flamme des Kamins, die an den weißgetünchten Wänden über seit lang zur Ruh gestellte Waffen und über das Bildnis eines längst begrabenen Weibes ihre roten Lichter spielen ließ. Nur unten in der großen Gesindestube, von wo kein Laut hinaufdrang, ging es bei süßem Brei und Braten laut und lustig her; von dem vornehmen Bräutigam freilich war nicht viel die Rede: die Jüngeren entsannen sich seiner kaum; war er doch fast fremd geworden in der Heimat.
– – Bei seiner Rückkehr mochte Junker Hinrich nicht eben nach des Vaters Wunsch berichtet haben: den Bräutigam hatte er meist nur inmitten der neuen Sippschaft oder sonstiger großer Grundherren angetroffen, am Festesabend auch wohl mit einzelnen Offizieren des Königs, die man dort nicht hatte auslassen wollen oder können; dem Vater und den Dingen von zu Hause hatte derselbe obenhin nur nachgefragt; die geschminkten Angesichter aber der trotz aller Not des Landes mit güldenen Flören, Ringen und Kettlein übermäßig aufgeputzten Tänzerinnen hatten es dem Junker nicht abgewinnen können; die Braut gar, an deren hochgepufftem Haar der zyprische Puder die natürliche Fuchsfarbe nicht hatte verbergen können, war ihm – er sprach das nur zu sich selber – wie eine angestrichene Jesabel vorgekommen. Freilich war er, da eben die Geiger eine neue französische Gavotte angestrichen, gar von ihr selbst zum Tanz gefordert worden; aber nach ein paar Gängen hatten ihre schmalen Lippen sich verzogen: »Ihr verstehet sicherlich die alten Tänze besser!« Und damit hatte sie ihn frostig angeschaut und seine Arme wieder fahrenlassen.
– – Daheim, und schon am andern Vormittage, glückte es dem Junker Hinrich besser. Im Turmhaus über der Heide, wo man noch nicht von seiner Rückkunft wußte, fand er die Türen unverschlossen; nur des gelähmten Mannes Husten zitterte vom Oberbau herab, da er unten in des Jägers Zimmer trat. Noch eine Weile stand er einsam: dann hing ein jugendlicher Leib in seinen Armen; ein blonder Kopf, ein schönes Antlitz drängte sich mit geschlossenen Augen gegen seine Brust.
»Du zitterst, Bärbe!« sprach er.
»Ja, weil du wieder da bist, Hinrich!« Und sie schloß noch fester ihre Hände um des Mannes Nacken.
Wie ehrfürchtig vor der jungfräulichen Schönheit strich seine Hand über ihre Wange, über ihr seidenweiches Haar. Dann überkam's ihn wie ein Übermut des Glückes, und er erzählte von seinem Reiseabenteuer, von den alamodisch aufgeputzten Frauenzimmern und wie übel ihm der neue Tanz bekommen sei; und da sie lachte, sprach er neckend: »Was meinst du, Liebste, wenn wir beide erst unter all den zieren Puppen tanzen?«
Aber sie schlug die Augen angstvoll zu ihm auf: »Nein, nein; was sagst du, Hinrich?«
Er sah sie lang und zärtlich an »Nichts, Bärbe aber ich halte dich; du darfst dich nicht so fürchten!«
Da scholl der Anschlag großer Hunde aus dem Walde; Owe Heikens kam mit seinem Knechte wieder heim. Aber das Gemach war leer, als er hineintrat, und nur die Hunde gingen spürend darin hin und wider.
Am Sonntage danach war, wie immer, das schwere herrschaftliche Fuhrwerk mit den roten Rädern an der Kirche aufgefahren; die Rappen standen angebunden an den Eisenringen der Kapellenmauer. Drinnen hielt der Pastor eine scharfe Predigt wider die Schwarmgeister und Wiedertäufer, die drüben in der Stadt aufs neue ihr Unwerk auszubreiten suchten; er schien sie gar leibhaftig vor sich zu haben, denn er riß das schwarze Käppchen von seinem grauen Haupt und dräuete damit in die volle Kirche hinunter. Der alte Herr von Grieshuus in seinem Patronatsstuhl droben vor dem Altar nickte eifrig seinem Pastor zu; die Bauern aber saßen mit schläfrigen Gesichtern; was kümmerten sie alle Schwarmgeister? Die Schatzung und das fremde Kriegsvolk saßen ihnen fühlbarer auf dem Nacken. Selbst für den stattlichen Junker an des Vaters Seite schien dieses Kanzelfeuer ganz verloren; seine Augen gingen immer wieder nach einem der Gestühlte unten, bis es wie Nebel ihm zerrann oder bis aus blauen Augen ein scheuer Blick zu ihm hinüberflog.
Als endlich am Schluß des Gottesdienstes der Pastor vor dem Altar die Kollekte verlesen und die Gemeinde ihr »Amen« respondiert hatte, blieb noch alles in den Kirchenständen, während die Herrschaft in die Kirche hinab und zwischen denselben dem Ausgange zuschritt. Der alte Herr aber ließ diesmal seinen Junker vor sich hergehen und streifte mit einem finsteren Blick das blonde Mädchen, das an der Seite seines alten Jägers sich von ihrem Sitz erhoben hatte.
Draußen in seinem Wagen hieß er den Fuhrknecht warten, bis der Pastor aus der Kirche trat; dann winkte er diesen heran und drückte ihm die Hand, und die Leute, welche jetzt, der Abfahrt ihrer Herrschaft harrend, zwischen den Gräbern umherstanden, hörten ihn dabei sagen: »Hol der Teufel alle Rottengeister, Pastor! Aber komm Er auf den Nachmittag zu mir; ein guter Trunk ist etwan auch noch in dem Keller!«
– – Zu Grieshuus warf am Nachmittage die Wintersonne ihre schrägen Strahlen durch das Fenster über dem Hauptportale, während drinnen im Kamin die großen Scheite loderten. Aber der Hausherr war noch allein; das sonst bleiche Antlitz des alten Junkers war gerötet; mit aufgestützter Faust stand er an dem breiten Eichentisch, von dem es hieß, er sei einst mit dem Hause hier hineingebaut, und die freie Hand fuhr unruhig über das kurzgeschorene Haupthaar. Auf dem Tische neben einem halbgefüllten Glase lag ein grob gedrucktes Blatt; es war die königliche Konstitution »von dem Amte und der Potestät der Kirchen wider die Unbußfertigen«, welche umlängst auch in dem herzoglichen Teile publiziert war. Der Kirchenbann, der bis zur Sühne von dem Abendmahl und von dem Platz in der Gemeinde ausschloß, war längst zwar eingeführt; aber das neuere Gesetz gab nähere Vorschrift über den Vollzug und wie dadurch die Lücken der weltlichen Gerechtigkeit zu füllen seien.
Der Junker hatte vorhin das Blatt aus der Hand gelegt; jetzt griff er wiederum danach; er schien zu grübeln, wie er es in seinem Dienst verwenden könne.
Schon mehrmals hatte es von draußen an der Tür gepocht, ohne daß ein Ruf darauf erfolgt war; jetzt wurde sie gleichwohl geöffnet, und der Gutsherr fuhr aus seinem Sinnen auf: »Er ist es, Pastor? Gut, daß Er gekommen ist.«
Nachdem derselbe dann ein zweites Glas gefüllt und der Pastor ihm daraus Bescheid getan hatte, schritt letzterer zu einem kleinen Tische an dem Mittelfenster, schüttete aus einem Kästchen die in Buchs geschnitzten Figuren eines Schachspiels und stellte sie auf die in die Tischplatte eingelegten Felder, ein schweigend übernommenes Amt, das er bei seinen Besuchen stets zu üben pflegte.
Auch heute ließ der Hausherr ihn gewähren, und bald saßen beide sich gegenüber der geistliche Herr im schwarzen Talar, das gleichfarbige Käppchen auf dem dünnen Haare, das an den hageren Schläfen niederhing; der andre im bequemen Hauskleid, das er oft zur Seite schlug, als ob es ihn beklemme; der Wein stand neben ihnen, und der Junker stürzte oft sein Glas hinunter. Aber sein Spiel war nicht wie sonst, wo er nach kurzer Weile dem Pastor ein »Viktoria!« zuzurufen pflegte; heut hatte er schon mehrmals auf bescheidene Erinnerung desselben seinen Zug zurückgenommen; aber immer wieder schob er Bauern und Offiziere unachtlich über die Felder und faßte sie, als ob er sie zerbrechen möchte.
»Mein Herr Patron«, sagte der Pastor, »wälzt wichtigere Dinge in Gedanken; Eure Dame steht abermals im Schach!«
Da schob der Junker das Tischlein von sich, daß die Figuren durcheinanderstürzten.
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