Er ist der einzige Stein in der Gegend, auf dem eine Fichte ist. Bei diesem Steine brich deinen Weg ab, und gehe gerade nach der Richtung deines rechten Armes in das Thal hinein, das du sehen wirst. Du wirst da auch bald einen guten Weg finden, auf dem gehe fort, er führt dich um eine Felseneke, und da wirst du grüne Bäume und weißes Mauerwerk sehen, da ist es, wo Franz Rikar wohnt. Während du aber auf der Bergebene fortgehst, mußt du auch noch eine andere Maßregel beobachten. Schaue öfters auf die Steinwulst zurük, durch die meine Schlucht geschlossen ist, du wirst sie sehr leicht erkennen; denn sie sieht wie ein gehobener Bühel aus. Diesen merke dir. Die Steine auf dem Hochlande sehen einer dem andern gleich, und wenn du daher die Anzeichen, die ich dir gegeben habe, nicht finden solltest, und wenn dir daher der Weg zu Rikar verschlossen wäre, so kehre wieder zu dem Bühel zurük, steige die Stufen herab, und bringe die Nacht bei mir zu. Morgen kann ich dir einen Wegweiser mit geben. So - jetzt lebe wohl, schreite rüstig deines Weges, und habe auf das Acht, was ich dir gesagt habe.«
»Lebt wohl,« erwiederte ich, »und habt Dank für die Erquikung, die ihr mir gereicht, und für die Erklärung, die ihr mir gegeben habt.«
Ich reichte ihm die Hand, er schlug ein, indem er die Worte sagte: »Mit Gott, mit Gott.«
Ich stieg die par Stufen, die von seinem Hause zu dem Pfade hinab führten, hinunter, und er schaute mir nach. Als ich dann eine kleine Streke in der Schlucht weiter hinaufgegangen war, und umschaute, stand er nicht mehr auf der Gasse, sie war leer, und die dunkelbraun angestrichene Thür war zu.
Ich dachte, während ich so fortging, ich hätte wohl um Näheres über Franz Rikar fragen können, ich hätte dem wohlwollenden alten Manne meinen Plan entdeken können, er würde mir gewiß mit den besten Mitteln an die Hand gegangen sein, wie ich ihn ausführen könnte. Allein anderseits war das Gefühl von Scheu, welches mich jedes Mal zurük hielt, wenn ich den Mund öffnen wollte, auch natürlich, und ich konnte ja zuerst bei Rikar selber sehen, wie die Sachen ständen, und konnte dann um so sicherer den Weg ermitteln, der betreten werden mußte.
Mit solchen Gedanken ging ich den Rest der Schlucht empor. Sie wurde enger und ungangbarer, aber auch seichter und unfruchtbarer. Ich sah von ihrem oberen Theile ihre ganze Länge hinab. Sie lag wie ein grünes Samtbändchen, zum See hinunter. - Endlich kam ich auch zu den Stufen, von welchen der alte Mann gesprochen hatte. Es wäre wirklich unmöglich gewesen über den Steindamm, der sich quer über die Schlucht strekte, hinaus zu kommen; allein die Stufen, die schief und in einer künstlichen Wendung über ihn gehauen waren, machten die Sache leicht. Ich stieg über sie hinaus, und stand bald auf der obersten Höhe des Bühels.
Hier war es ganz anders, als unten. Die Fruchtbarkeit hatte ganz und gar und völlig aufgehört. Der Grund war mit dem grüngrauen Filze bedeckt, den ich oft auf Steinen angetroffen hatte, nur war er hier noch um vieles schaler und schwächer, als irgend wo. Aber die Aussicht, von welcher der Greis nur im Allgemeinen geredet hatte, war außerordentlich schön. Sie ging größtentheils nur in die Gegend, gegen welche ich wandern sollte. War ich schon unten am See von den manigfaltigen seltsamen Dingen, die ich angetroffen hatte, ergriffen, so war ich hier vollständig hingerissen, und ich kann sagen, in der Tiefe meiner Seele entzükt. Die Maler haben eigentlich diese Dinge noch nicht gemalt; denn da war kein Baum, kein Gesträuchlein, kein Haus, keine Hütte, keine Wiese, kein Feld, sondern nur das sehr dürftige Gras und die Felsen - gewiß wenige Künstler hätten das für die Aufgabe eines Meisters gehalten, wenn sie nicht früher die Erfahrung gemacht hätten, wie so unaussprechlich die düstere Schönheit solcher Oeden auf die Seele des Menschen zu wirken vermag. In allen Stufen des matten Grün, Grau und Blau lag das fabelhafte Ding hinaus; schwermüthig dämmernde schwebende webende Tafeln von Farben stellten sich hin, und die Felsen rissen mattschimmernde Lichtzukungen hinein; und wo das Land blos lag, und etwa nur Sand und Gerölle hatte, drangen Flächen fahlen Glanzes oder sanft gebrochene Farbtöne vor. Draußen über allem duftete ruhig und schwach röthlich ein Berg, der die rothen Steine enthalten mochte, von denen der Greis gesprochen hatte. Von ihm gingen zwei langgestrekte feurige Wolkenbänke weg, die von der bereits zum Untergange neigenden Sonne angezündet waren, und das schwache trübe Grün des südlichen Himmels neben sich hatten, das so sanft glänzte, und oben in ein flammendes Blau überlief. Alles das hätte schon genügt zu der Größe des Bildes: aber weit links von mir lag noch zwischen den Felsen ein grauer sanfter Strich durch den Himmel, der die Ebene der Lombardie war.
Gewohnt an die lieblichen Höhen meines Vaterlandes, wo Obstbaum an Obstbaum steht, Wäldchen sich mit Wäldchen ablöset, grüne Wiesen dazwischen ansteigen, und das Gold der Weizenfelder leuchtet, wo kein Pläzchen unbenüzt ist, ohne daß ein Kräutlein oder Baum steht, wo Quellen und Bäche in Menge rieseln, manche klare Flüsse und Ströme ziehen, und weit draußen das sanfte Blau der Gebirge geht, hatte ich keinen anderen Begriff von Schönheit der Landschaft, als, daß sie so sein müsse - ja in einem schönen Lande lebend, achtete ich nicht einmal sonderlich auf derlei Reize: aber hier stand ich in einer Oede, wo alles fehlte, wo gar keine Mittel waren, etwas darzustellen, und wo sich doch eine so ruhige Schönheit zeigte, als legte die Natur ein einfach erhabenes Heldengedicht vor mich hin. Ich war gleichsam gebeugt, und die Lautlosigkeit um mich rükte erst alles recht in die Weite und Breite, daß ich mich verlor. -
Ich ging endlich von diesem Plaze auf die Ebenen von Grasund Steinboden, die sich vor mir erstrekten, hinaus. Ich ging der nach Untergang strebenden Sonne nach.
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