Als ich einmal, ich weiß nicht, nach welch langer Zeit in Wien war und in dem Gasthofe zur Dreifaltigkeit, den ich immer zu benüzen pflege, die hintere Wendelstiege in den Hof hinab stieg, welche Stiege gewiß jeder Reisende kennt, der einmal in diesem Gasthofe gewohnt hat, weil sie so enge ist, daß sich ihrer zwei kaum ausweichen können: so begegnete mir hinauf steigend leibhaftig und wirklich unser falscher Paganini. Ich erkannte ihn sogleich wieder, was hauptsächlich dadurch möglich wurde, daß er, wie ich glaube, den nehmlichen schwarzen Frak anhatte, wie damals im Postwagen. Da ich ihm meinen Gruß zurief, erkannte er mich auch, und wir drükten uns gegenseitig die Freude aus, uns hier so unvermuthet getroffen zu haben. Wie es bei Reisenden gebräuchlich ist, fragten wir um unser Befinden, wie lange wir schon da seien, und wie lange wir uns noch aufzuhalten gedächten. Da erfuhren wir nun, daß wir nicht nur schon drei Tage Zimmernachbarn wären, sondern daß wir es auch wahrscheinlich noch sehr lange bleiben würden. Er hatte nehmlich einen Prozeß zu betreiben, und mußte in dieser Angelegenheit viele Gänge und Besuche machen: ich war wegen der Betreibung eines Bittgesuches in Wien und hatte der Gänge und Besuche gewiß nicht weniger zu thun. Wir sprachen nach dieser Mittheilung die Hoffnung aus, daß wir uns gewiß nun öfter sehen würden, und um dies nicht eine bloße Redensweise sein zu lassen, verabredeten wir eine gemeinschaftliche Speisestunde in unserm Gasthofe, so oft es nehmlich einem jeden von uns möglich sein würde, und bemerkten, daß wir uns auch ohnedem, da wir so nahe wären, manchmal treffen könnten.

In Folge dieses Versprechens kamen wir nun an dem Wirthstische zusammen, wir fanden Behagen an einander, und jeder erschien gerne zu der festgesezten Stunde, wenn er nicht nothwendig verhindert war. Zulezt geschah es auch, daß wir sogar manchmal an Abenden, wenn es etwa regnerisch war, oder wenn Einem ein Verdruß in dem Haupte spukte, an der Thür des Nachbars pochten, wenn er zu Hause war, eintraten, ein Stündchen verplauderten, und nicht selten den Verdruß verloren, weil man ihn erzählen und sich recht weidlich darüber aussprechen konnte. Zuweilen gingen wir dann auch an irgend einen Vergnügungsort, wohin der Einzelne, wenn er nicht aufgefordert worden wäre, gewiß nicht gegangen wäre.

So lebten wir drei Wochen neben einander, und lächerlich war es, daß wir beide immer im schwarzen Frake gingen, natürlich, weil er immer bei Rechtsmännern, ich aber bei Beschüzern aufwarten mußte. Er nannte mich daher einmal, da ich wieder ganz schwarz zum Speisen nach Hause kam, Paganini den Dritten. Es war dies der einzige Scherz, den ich den Mann, der eher immer trübsinnig war, sagen hörte.

Einmal war wieder recht schlechtes Wetter. Es war kein tüchtiger Regen, der alles rauschen und strömen macht, und daher doch wieder fröhlich ist, sondern es war das Wetter, das mir schier unter allen das widerwärtigste ist: ein diker unbeweglicher Nebel, der sich wie Fließpapier an die Fenster legt, der oben am Himmel Sonne, Mond, und alle Thurm- und Häuserspizen wegfrißt, und unten auf Erden alle Dinge naß, schmuzig und tropfend macht. Zum Ueberfluße war noch Sonntag, an dem wir beide keine Geschäfte hatten. Wir saßen stochernd und in den Zeitungen blätternd herum. Da gerieth ich auf einen Einfall und legte ihn meinem Nachbar vor. Wir sollten nehmlich in eins der Theater gehen, ohne eher, als wir uns in dem Hause befänden, zu wissen, in welches, und ohne das Stük zu kennen, das aufgeführt würde; denn die Zettel, die gewöhnlich auf einem Tischlein im Speisezimmer lagen, hatten wir vorher keiner angeschaut. Ihm war es recht und ich schritt ans Werk. Ich ließ einen Lohndiener rufen, rieß aus einem weißen Blatte Papier fünf Stüke, schrieb auf jedes den Namen eines der fünf Theater Wiens, rollte sie zusammen, und befahl dem Diener, eins zu ziehen. In das Theater, dessen Namen er auf seinem Zettel finden würde, sagte ich, solle er uns Karten zu Sperrsizen holen, und die Karten in Papier gewikelt bringen. Unterwegs möge er uns einen Wagen bestellen, dem er das Theater nenne, daß er uns um halb sieben Uhr dahin fahre. Mein Nachbar ließ alles willig geschehen, und der Diener ging fort. Als er wieder gekommen war und uns die in Papier gewikelten Karten gebracht hatte, gingen wir auf mein Zimmer, und verbrachten den Rest des Nachmittages, wie man solche Nachmittage zu verbringen pflegt, das heißt, wir rauchten ein wenig, sahen bei den Fenstern auf den Nebel hinaus, und manchmal auf die Uhr. Endlich ward es finster, weil die Zeit im späten Jahre war, es ward zulezt auch halb sieben Uhr, und der Wagen wurde uns gemeldet.

Ich hatte den Plan, daß wir durchaus nichts von der Fahrt wissen sollten, ich sagte daher meinem Nachbar, daß ich die Fenstervorhänge des Wagens herab lassen wolle. Er war, wie gewöhnlich, zufrieden, und wir stiegen ein. Der finstere Wagen fuhr aus dem Thore, wendete um Eken, fuhr ziemlich lange fort, und sezte uns endlich an dem Josephstädter Theater ab. Ich sagte nun meinem Begleiter, wir wollen innen keinen Zettel anschauen, daß wir das Stük, das gespielt wird, nicht vorher kennen. Er willigte ein, wir gingen in das Haus, unsere Size wurden geöffnet und wir sezten uns nieder. Wir waren ganz nahe an der Bühne, was uns angenehm war, und was wir dem Schuze unsers Lohndieners verdankten.

Das Theater war schon sehr voll, man könnte sagen, gedrängt voll, und doch kamen noch immer neue Menschen, und klappten auf allen Seiten die Sperrsize, woraus wir schloßen, daß ein sehr beliebtes Stük bevorstehe: aber unserem Vorhaben getreu fragten wir niemanden, und da wir Fremde waren, redete uns auch niemand an. Endlich da schon alles außerordentlich erfüllt war, klang das Zeichen des Anfanges. Es wurde eine Musik gemacht, die kürzer und unbedeutender war, als sie gewöhnlich Stüken vorher zu gehen pflegt.