Ich werde gewiß eine große Freude haben, euch zu sehen.«
»Und ich gewiß auch,« antwortete ich.
Ich nahm nach diesen Worten eine Namenskarte aus meinem Taschenbuche, schrieb mit starker Bleifeder meine Wohnung auf die Kehrseite, und sagte: »Unter dieser Aufschrift wird mich ein Brief von euch zu jeder Zeit des Jahres finden.«
Er nahm die Karte und that sie in seine Schreibtafel.
Nun gingen wir schweigend neben einander her, entweder weil wir wirklich nichts zu reden wußten, oder weil wir gespannt waren. Endlich, gleichsam um das kleine Stük Weges, das wir noch bis zur Post hatten, auszufüllen, that er die Frage: »Seid ihr schon einmal in Italien gewesen?«
»Es war wohl schon seit Jahren mein sehnlichster Wunsch, dieses merkwürdige Land zu sehen,« antwortete ich, »aber meine Verhältnisse gestatteten es bisher immer nicht, den Wunsch zu verwirklichen. Indessen gebe ich ihn nicht auf, und wenn einmal eine Zeit kommt, in der es mir möglich ist, eine große Reise zu machen, so ist Italien das Land, in welches ich sie unternehme.«
»Thut das ja,« sagte er, »es wird euch gewiß nicht reuen.«
Mit diesen Worten waren wir an der Post angekommen, und gingen bei dem großen Thore hinein. Der Innsbruker Wagen war schon angespannt.
»Nun lebet wohl,« sagte er, »ich danke euch für die Begleitung, und danke euch auch noch einmal für alles Andere, was ihr mir gethan habt, und grüsset unsere Mittagsgäste recht schön.«
»Lebet wohl,« antwortete ich, »und reiset glüklich.«
Somit war der Abschied vollbracht. Er ging an den Wagen und schaute bei allen Fenstern hinein; allein da er ziemlich spät gekommen war, saßen überall schon Reisende von verschiedener Gattung darinnen: dicke und dünne, schnurbärtige und backenbärtige, mit Tabakspfeifen und Augengläsern versehene - nur in dem hintern Gelasse bei einer Frau mit Reisesäken und Fächern war ein Pläzchen erübrigt - sein Mantel, den er vorausgeschikt hatte, lag neben den hintern Rädern auf der Erde, er hob ihn auf und that ihn um - auf der Wagendeke war man mit Schnüren und Zubinden fertig geworden, man pakte den armen alten Mann, wie es gehen wollte, ein, und fuhr mit ihm davon.
Ich blieb noch eine Weile auf der Gasse vor dem Posthause stehen, und sah dem Wagen nach, so weit ich ihn erbliken konnte. Die Eke der nächsten Gasse verdekte ihn aber bald. Hierauf ging ich in eine Gesellschaft von jungen Männern, die ich kennen gelernt hatte, die sich jede Woche an einem bestimmten Tage versammelten, und die mich hiezu eingeladen hatten. Es war eben der Tag, und wir saßen ziemlich lange beisammen, und redeten von den verschiedensten Dingen der Welt.
Am andern Tage stand ich auf, und ging wieder meinen Geschäften nach.
Es ist unglaublich, aber es ist doch so: der alte Mann, der fort gefahren war, ging mir sehr ab. Zum Zimmernachbarn hatte ich einen Fruchthändler bekommen, der immer mit den Fingern sehr schnalzte, wenn er über die Wendeltreppe hinab ging. Er war zugleich so dik, daß man auf der Stiege nicht an ihm vorbei konnte, sondern in einen Gang oder unter eine Thür gestellt, ihn vorüber lassen mußte.
Ich war noch ziemlich lange an Wien gebunden. Endlich wurde meine Bittangelegenheit doch entschieden, und zwar gegen meinen Wunsch. Der Fruchthändler war schon lange abgereist, ich hatte nach einander wohl fünfzehn verschiedene Zimmernachbarn gehabt, und jetzt, da ich meinen lang ersehnten Bescheid in die Hände bekam, pakte ich meine Sachen zusammen, und fuhr ebenfalls davon.
3. Reisebesuch
Ihr wißt alle, meine theuren Freunde, wie ich von jeher ein Kind des Zufalles gewesen bin. Zuerst ist schon meine Erziehung ein Zufall gewesen; denn nach dem Tode meiner vortrefflichen Mutter, welche der Meinung war, daß man das Herz und Gemüth vorzugsweise zu größtmöglichster sittlicher Vollkom menheit ausbilden müsse, kam mein Vater an die Reihe, der früher wegen seiner vielen Geschäfte nicht im Stande gewesen war, sich um mich zu bekümmern, der aber im Allgemeinen den Plan meiner Mutter vollständig gebilligt hatte. Er wollte auf die Grundlage des Gefühles nun auch die wissenschaftliche Ausbildung setzen. Aber er starb ebenfalls in dem ersten Jahre. Nach ihm übernahm mein Oheim, der Bruder des Vaters, die Erziehung. Dieser verwarf alles, was nicht nach seinem Ausdruke praktisch war. Praktisch war aber dasjenige, das er dafür erklärte. Ich mußte nun immer arbeiten, das heißt, wie er selber sagte, etwas hervor bringen. Das Hervorgebrachte aber mußte ein Sichtbares und Greifbares sein, das dem Staate und der menschlichen Gesellschaft nüzte. Er theilte mir Lehrer und Gehülfen zu, die selber arbeiteten, und mich zur Arbeit anleiteten. Die Einbildungskraft, und alles, was mit ihr zusammen hängt, nehmlich alle Kräfte, die zur Ausschmükung und Ergözung des Geistes dienen, hielt er strenge darnieder. Ich bin selber der Meinung, daß das heitere und freie Spiel jener Kräfte, die so schön und lieblich in der menschlichen Seele liegen, in Verbindung mit einer Thätigkeit, wodurch das irdische Gut für den einzelnen und so auch für die Gesellschaft hervorgebracht wird, den Menschen ganz und völlig erfüllt und glücklich macht; aber ich konnte beides zusammen nie erreichen, sondern immer nur eines allein; denn als ich aus der Erziehung des Oheims entlassen war, weil ich nun selbstständig in seiner Richtung vorwärts gehen konnte: that ich es nicht. Ihr wißt, wie sich lange niedergehaltene Kräfte rächen. Ich gab mich nun, da ich frei war, dem Zuge meiner Einbildungskraft und den Anregungen meiner sinnenden Kräfte unbedingt hin. Ich ließ die schönen Künste, und allerlei Schwelgereien der Gefühle ohne Maß auf meine Seele wirken. Wenn mir damals ein hochherziges edles starkes tieffühlendes Wesen entgegen getreten wäre, das aber auch im Schaffen und Wirken tüchtig gewesen wäre, daß sich die Fülle der Habe und Wohnlichkeit ergieße: ich glaube, ich hätte es nicht erkannt und gewürdigt. - Jetzt, da die Geschicke es weigern, könnte ich es wohl.
So wurde ich also durch Zufall, da ich meine Kräfte abgesondert und einseitig übte, ganz das Entgegengesezte von dem, was meine Erziehung bezwekte. Was weiter kam, war die natürliche Folge davon.
Im Kleinen war es ja auch ein Zufall, daß ich einmal mit den Schwestern Milanollo in einem Wagen fuhr, ohne sie zu kennen, und daß ich dann mit einem meiner damaligen Reisegenossen wieder zusammen traf, und sie mit ihm hörte.
Noch mehr aber wirkte der Zufall später, da ich mich von meinem Zimmernachbar in der Dreifaltigkeit getrennt hatte.
Ich wollte damals, als ich in Wien war, durch die vielen Verbindungen, die ich meinem Vater verdankte, eine Stelle erringen, die ich meinen Fähigkeiten angemessen erachtete; denn das ohnehin nicht große Vermögen von meinen Eltern sah ich durch mein schlenderndes Leben sich nach und nach dem Ende zuneigen.
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