Daß dieser nicht die Schwägerin zuerst zum Tanze aufgezogen, bewies eine unverzeihliche Mißachtung derselben. Die Frau Nettenmair, die das allgemeine Unrecht an ihrem jovialen Gatten so tief fühlte, als wäre es ihr selber angetan, sagte, der Schwager habe wohl gewußt, daß er sich nur einen Korb bei ihr geholt hätte. Aber Apollonius wurde nur immer mehr bewundert und geehrt und der Ball demzufolge nur immer noch lederner. So ledern, daß Fritz Nettenmair mit seiner Frau zu einer Stunde aufbrach, wo er sonst erst recht jovial zu werden anfing. Dennoch sammelte er feurige Kohlen auf des undankbaren Bruders Haupt. Er bat in dessen Namen das Mädchen, dem Bruder zu erlauben, daß er sie heimbegleiten dürfe. Dann ging er aus dem Nebenstübchen wieder in den Saal zu seiner Frau und verließ mit dieser unter der ungeheucheltsten Verzweiflung der bedeutenden Leute, die noch Durst nach Champagner hatten, das Haus.

Apollonius fand, als er des aufgenötigten Ritterdienstes gegen seine Dame sich entledigt, die Tür des Vaterhauses offen und alle seine Bewohner schon im Schlafe. Wenigstens zeigte sich nirgends Licht, und alles war still. Der Bruder hatte ihm das Kämmerchen links an der Emporlaube zur Wohnung angewiesen. Zu Apollonius' Glück hatten die sechs Jahre das Haus nicht verändert wie seine Bewohner. Er ging leise durch die Hintertür, an dem freundlich knurrenden Moldau vorbei, dem er voll Dankbarkeit für das Zeichen seiner Beständigkeit den rauhen Hals streichelte, stieg die Treppe herauf, schritt die Emporlaube entlang und fand ein Bett in seinem Stübchen. Aber er saß noch lang, ehe er sich entkleidete, auf dem Stuhl am Fenster und verglich, was er gefunden, mit dem, was er verlassen.

Gedanken und Bilder des Vergleichs spielten noch in seine Träume hinein. Der Vater stand wieder vor ihm und kündigte ihm an, er müsse noch morgen nach Köln, und inmitten der Rede brach die rüstige Gestalt zusammen und tappte hülflos mit zitternden Händen an der Erde herum und schämte sich ihrer Blindheit. Der Bruder saß dabei und trank Champagner. Die Schwägerin kam aus dem Hause, das liebliche offene Gesicht voll Zutraulichkeit und Aufrichtigkeit von sonst; die Blume, die sie vor Apollonius hinlegen wollte, fiel aus ihrer Hand, als sie den Bruder erblickte, und der ihm neue fremde Zug von Leerheit, gedankenloser eitler Vergnügungssucht, von grollender Bitterkeit gegen Apollonius legte sich über sie wie ein schmutziges Spinnengewebe. Er wollte arbeitend sich vergessen, aber der Bruder rüttelte an dem Fahrstuhl, daß er fast hinunterstürzte aus der Schwindelhöhe auf das Pflaster, und sagte, ein Besuch für vierzehn Tage dürfe nicht arbeiten. Er wolle ja ohnehin wieder heim. Und sonderbar war es, daß ihm jetzt Köln als seine Heimat erschien und seine Vaterstadt so fremd, daß er sich die bittersten Vorwürfe machte in seiner Gewissenhaftigkeit. Dann fand er sich wieder auf dem Fahrstuhl hoch am Turmdach. Da war alles anders, als es sein sollte, die Schiefer in verkehrter Richtung gedeckt, und nun stak er in die Ausfahrtür eingeklemmt, ringsum in staubige Spinnengewebe eingewickelt; er hatte seine Festtagskleider an; sie waren voll Schmutz; er wischte und bürstete, daß er schwitzte, und sie wurden nicht rein.

Und so oft er von der vergeblichen Bemühung aufwachte, wiederholte er sich laut den Entschluß, den er vor dem Niederlegen gefaßt hatte. Am nächsten Morgen mußte er wissen, was er hier sollte, mußte sein Verhältnis zum Vaterhause ein klares sein. War keine Arbeit für ihn, so sah ihn der Morgen noch auf seinem Rückwege nach Köln. – Mit der Sonne war er auf; aber er mußte lange warten, bis es dem Bruder gefiel, sich von seinem Lager zu erheben. Er benutzte die Zeit zu einem Gange nach St. Georg; er wollte sich selbst überzeugen, was dort zu tun sei. Als er wieder zurückkam, traf er auf seinen Bruder und einen Herrn mit ihm, die eben im Begriffe waren, die Wohnstube zu verlassen. Den Herrn kannte Apollonius noch von früher her als den Deputierten des Stadtrats für das Baufach. Sie begrüßten sich. Sie hatten schon gestern auf dem Balle sich gesprochen, wo der Herr sich eben nicht als ein bedeutender Mensch und Bürger ausgewiesen, vielmehr zu den Philistern, Alltagskerlen und Unbedeutenden gehalten hatte. Es schien ihm nicht unlieb, Apollonius eben jetzt zu begegnen.