Er hoffte, Apollonius werde bei dem Werke, wenn es, wie er nun nicht mehr zweifelte, die Genehmigung des Rats erhielt, sich tätig beteiligen, und trug ihm auf, ein Gutachten abzufassen, auf welche Weise es am zweckmäßigsten anzugreifen sei. Apollonius dankte bescheiden für das Vertrauen, dem er würdig zu entsprechen suchen wolle. Über seine Mittätigkeit bei der Arbeit selbst, entgegnete er, habe sein Vater als Meister zu entscheiden.
»Ich gehe gleich mit Ihnen«, sagte der Ratsbauherr, »und spreche mit ihm.«
Hatte gleich der Bruder das Geschäft bis jetzt geleitet und wurde er auch von den bedeutenden Leuten als Meister anerkannt und behandelt, er war es noch nicht. Der Alte hatte ihn so wenig Meister werden lassen, als ihm das Geschäft förmlich übergeben; er wollte sich, wo er es nötig fände, ein souveränes Einschreiten frei halten.
Der alte Herr hörte die Kommenden schon von weitem und tastete sich nach der Bank in seiner Laube. Da saß er, als sie eintraten. Nach geschehener Begrüßung fragte der Bauherr nach Herrn Nettenmairs Befinden.
»Ich danke Ihnen«, entgegnete der alte Herr; »ich leide etwas an den Augen, aber es hat nichts zu sagen.« Er lächelte dazu, und der Bauherr wechselte mit Apollonius einen Blick, der dem Manne Apollonius' ganze Seele gewann. Dann erzählte er dem alten Herrn die ganze Beratung und machte, daß Apollonius in seiner Bescheidenheit errötete und lange nicht seine gewöhnliche Farbe wiederfand. Der alte Herr rückte seinen Schirm tiefer in sein Gesicht, um niemand die Gedanken sehen zu lassen, die da wunderlich miteinander kämpften. Wer unter den Schirm sehen konnte, hätte gemeint, zuerst, der alte Herr freut sich; der Schatten von Argwohn, mit dem er gestern Apollonius empfing, schwindet. So braucht er doch nicht zu fürchten, der wird mit dem Bruder gemeine Sache gegen ihn machen! Ja, es erschien ein Etwas auf dem Antlitz, das sich zu schadenfreuen schien über die Demütigung des älteren. Vielleicht wäre er nach seiner Weise eingeschritten mit einem lakonischen: »Du versiehst meine Stelle von nun, Apollonius, hörst du?« hätte nicht der Bauherr dessen Lob gepriesen und wäre das nicht so verdient gewesen.
»Ja«, sagte er in seiner diplomatischen Art, seine Gedanken dadurch zu verbergen, daß er sie nur halb aussprach, »ja, die Jugend! er ist jung!« – »Und doch schon so tüchtig!« ergänzte der Bauherr.
Der alte Herr neigte seinen Kopf. Wer ein Interesse daran fand wie der Bauherr, konnte glauben, er nickte dazu. Aber er meinte: »Die Jugend gilt heutzutag in der Welt!« Ja, er fühlte Stolz, daß sein Sohn so tüchtig, Scham, daß er selber blind, Freude, daß Fritz nun nicht mehr konnte, wie er wollte, daß die Ehre des Hauses einen Wächter mehr gewonnen, Furcht, die Tüchtigkeit, der er sich freute, mache ihn selbst überflüssig. Und er konnte nichts dagegen tun; er konnte nichts mehr, er war nichts mehr. Und als hätte Apollonius das ausgesprochen, erhob er sich straff, wie um zu zeigen, jener triumphiere zu früh.
Der Bauherr bat, der alte Herr möge den Sohn für die Dauer der Reparatur hier behalten und dabei tätig sein lassen. Der alte Herr schwieg eine Weile, als warte er darauf, Apollonius solle sich des Dableibens weigern. Dann schien er anzunehmen, Apollonius weigere sich, denn er befahl in seiner grimmigen Kürze: »Du bleibst! hörst du?«
Apollonius begab sich auf sein Stübchen, seine Sachen auszupacken. Er war noch darüber, als die Nachricht kam, der Stadtrat habe die Reparatur genehmigt.
So war es bestimmt: er blieb. Er durfte für die geliebte Heimat schaffen und anwenden, was er in der Fremde gelernt.
Wer den ganzen Apollonius Nettenmair mit einem Blicke überschauen wollte, mußte jetzt in sein Stübchen hereinsehen. Das Hauptziel aller seiner Wünsche war erreicht. Er war voll Freude. Aber er sprang nicht auf, rannte nicht in der Stube umher, er ließ nichts fallen, verlegte nichts, suchte nicht im Koffer oder auf dem Stuhle, was er in den Händen hielt. Die Freude verwirrte ihn nicht, sie machte ihn klarer, ja sie machte ihn eigensinniger. Kein Federchen, nicht ein Stäubchen auf den Kleidern, die er auspackte, übersah er; er strich nicht einmal weniger, als er gewohnt war, darüber hin; nur an der Art, wie er es tat, sah man, was in ihm vorging. Es war zugleich ein Liebkosen der Dinge. Die Freude über ein neugewonnenes Gut verdunkelte ihm keinen Augenblick, was er schon besaß. Alles war ihm noch einmal geschenkt, und das Verhältnis zu jedem seiner Besitzstücke zeigte das Gepräge einer liebenden und doch rücksichtsvollen Achtung. Wenn er an das Lob des Bauherrn dachte, war seine Freude darüber im einsamen Stübchen mit demselben bescheiden abweisenden Erröten gepaart, womit er es in Gegenwart von andern aufgenommen. Für ihn gab es kein Allein und kein Vor-den-Leuten.
Als er sich eingerichtet sah, ging er sogleich an das verlangte Gutachten. Die Reparatur war auf seinen Rat beschlossen worden, er war nicht allein als seines Vaters Geselle, als bloßer Arbeiter dabei beteiligt; er fühlte, er hatte noch eine besondere moralische Verpflichtung gegen seine Vaterstadt eingegangen; er mußte tun, was in seinen Kräften stand, ihr zu genügen.
1 comment