Sein Herz schlug stärker bei dem Gedanken an sie. Aber keine von den Hoffnungen, die sich ihm sonst an ihr Andenken geknüpft, ließ es schwellen. Seine Neigung war die eines Bruders zur Schwester geworden, und was ihn jetzt bewegte, sah mehr einer Sorge gleich. Er wußte, sie dachte mit Widerwillen an ihn. Sie war die einzige im ganzen Vaterhause, die sein Kommen ungern sah. Wie war das alles geworden? War nicht eine Zeit gewesen, wo sie ihm gut zu sein schien? Wo sie ihm so gern zu begegnen schien als später beflissen, ihm auszuweichen? Da unten vor der Stadt in Gärten liegt das Schützenhaus. Wie sind die Bäume um das Haus größer geworden, seit er von dieser Höhe herab auch ihm den letzten Gruß zugewinkt hatte! Dort unter jener Akazie hatte er kurz vorher gestanden – es war an einem schönen Frühlingsabend gewesen, dem schönsten, meinte er, den er erlebt – am Pfingstschießen. Drin tanzte das übrige junge Volk; er ging selig um das Haus herum, in dem er sie tanzend wußte. Er fühlte sich jetzt noch im Umgang mit Mädchen und Frauen befangen und wußte nicht mit ihnen zu reden; das war er damals noch mehr gewesen als jetzt. Wie gern hätte er ihr gesagt – Wenn er allein war, wieviel hatte er ihr zu sagen, und wie gut wußte er es zu sagen, und führte es ein Zufall, daß er sie allein traf – und wunderbar, wie geschäftig der Zufall sich zeigte, ein solch Zusammentreffen zu vermitteln – da trieb ihm der Gedanke, jetzt sei der Augenblick da, alles Blut nach dem Herzen, die Worte von der Zunge in den Versteck der tiefsten Seele zurück. So war es gewesen, wie sie, die Wangen vom Tanze glühend, allein herausgetreten war aus dem Hause. Es schien ihr nur um Kühlung zu tun; sie wehte sich mit dem weißen Tuche zu; aber ihre Wangen wurden nur röter. Er fühlte, sie hatte ihn gesehen, sie erwartete, er sollte näher treten, und daß sie wußte, er verstand sie, das färbte ihr die Wangen röter. Das trieb, da er zögerte, sie wieder hinein in den Saal. Vielleicht auch, daß sie einen Dritten nahen hörte. Sein Bruder kam aus einer andern Türe des Saals. Er hatte die beiden noch schweigend einander gegenüberstehen, vielleicht auch des Mädchens Röterwerden gesehen. »Du suchst die Beate?« fragte unser Held, um seine Verlegenheit zu verbergen. »Nein«, entgegnete der Bruder. »Sie ist nicht zum Tanze, und das ist gut. Es kann doch nichts werden; ich muß mir eine andere anschaffen, und bis ich eine finde, ist böhmisch Bier mein Schatz.«
Es war etwas Wildes in des Bruders Rede. Unser Held sah ihn verwundert und zugleich bekümmert an. »Warum kann nichts werden?« fragte er. »Und wie bist du nur?«
»Ja, du meinst, ich soll sein wie du, fromm und geduldig, wenn nur kein Federchen etwa an deinem Rocke sitzt. Ich bin ein anderer Kerl, und wird mir ein Strich durch meine Rechnung gemacht, muß ich mich austoben. Warum nichts werden kann? Weil der Alte im blauen Rock es nicht will.«
»Der Vater rief dich gestern in das Gärtchen –«
»Ja, und zog seine weißen Augenbrauen, die wie mit dem Lineal gemacht sind, anderthalb Zoll in die Höh'. Ich hatte mir's wohl gedacht. ›Du gehst mit der Beate vom Einnehmer. Das hat aufgehört von heut an!‹«
»Ist's möglich? Und warum?«
»Ja, hast du je gehört, daß der im blauen Rock ein Warum vorgebracht hätte? Und hast du ihn je gefragt: ›Warum denn aber, Vater?‹ Ich möchte sein Gesicht sehen, fragte ihn einer von uns: ›Warum?‹ Er hat's nicht gesagt, aber ich weiß es, warum das aufgehört haben soll mit mir und der Beate. Ich hab's die ganze Woche her erwartet; wenn er die Hand aufhob, meint' ich, er deutet' nach dem Gärtchen, und war bereit, wie ein armer Sünder hinter ihm her zu gehen.
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