Zur Stunde ist es vielleicht verloren. An Bord sein, heißt so viel wie vor dem Feind stehen. Ein Schiff auf hoher See ist ein Heer im Gefecht; der Sturm verbirgt sich zwar, aber er verschwindet nicht; das ganze Meer ist ein einziger Hinterhalt. Pulver und Blei für jedes Vergehen im Feld! Ein Vergehen läßt sich nie wieder gut machen. Der Muth muß belohnt, der Leichtsinn bestraft werden.
Diese Reden fielen in gleichmäßigen Zwischenräumen, langsam, feierlich, so zu sagen im Takte der Unerbittlichkeit, wie Axthiebe gegen einen Baum. Und der Greis, mit einem Blick auf die Soldaten, befahl:
– Sofort!
Der Mann, an dessen Brust das Ludwigskreuz erglänzte, senkte das Haupt.
Auf ein Zeichen des Grafen du Boisberthelot stiegen zwei Matrosen ins Zwischendeck hinunter und kamen mit einem Leichentuch zurück. Der Schiffsgeistliche, welcher, seitdem in See gestochen worden war, in der Offizierskajüte im Gebet lag, begleitete sie. Ein Sergeant ließ zwölf Mann vor die Front treten, die er je sechs in zwei Reihen ausstellte. Ohne einen Laut von sich zu geben, trat der Kanonier in die Mitte. Der Priester, mit einem Kruzifix in der Hand, verfügte sich an seine Seite.
– Vorwärts Marsch! kommandirte der Sergeant, und der Zug bewegte sich langsam nach dem Vordertheil des Schiffes: die beiden Matrosen mit dem Leichentuch folgten. Auf der Korvette herrschte düsteres Schweigen; fern her grollte ein Wetter.
Einige Minuten darauf hallte eine Gewehrsalve einem Blitz folgend hinaus in die Nacht; dann wurde es wieder still, und man vernahm das Geräusch, welches ein schwerer Gegenstand verursacht, der ins Wasser geworfen wird.
Der alte Passagier lehnte noch immer an dem Mittelmast: er hatte die Arme übereinandergeschlagen und sann über etwas nach. Boisberthelot aber flüsterte, mit dem Zeigefinger hinweisend, dem Chevalier die Worte zu:
– Jetzt hat die Vendée einen Kopf.
VII. Wer den Anker lichtet, setzt in eine Lotterie.
Was sollte die Korvette ferner noch für Schicksale erleben?
Die Wolken, die im Lauf dieser Nacht den Wellen fortwährend näher gerückt waren, hatten sich schließlich so tief gelegt, daß es keinen Horizont mehr gab und die ganze Meeresfläche wie mit einem Mantel zugedeckt war. Nebel und nichts als Nebel – unter allen Umständen eine Gefahr, selbst für ein unbeschädigtes Fahrzeug. Und zu dem Nebel gesellte sich noch eine hohle See!
Die Zeit war nicht unbenutzt verstrichen. Man hatte den Tiefgang der Korvette dadurch vermindert, daß man Alles hinauswarf, was von den Verwüstungen der Korvette hatte weggeräumt werden können, die unbrauchbaren Geschütze, die zerschlagenen Laffetten, das verbogene oder losgebrochene Fugenwerk, die zertrümmerten Holz- und Eisentheile; man hatte die Stückpfosten geöffnet und die Leichen nebst den zusammengelesenen Gliedmaßen im Segeltuch eingewickelt über ein Brett ins Meer hinuntergleiten lassen.
Mit der See war beinah nicht mehr auszukommen, nicht etwa weil der Sturm in allernächster Zeit loszubrechen drohte – im Gegentheil, der Orkan, den man in der Ferne toben hörte, schien eher nachzulassen und das Unwetter sich gegen Norden verziehen zu wollen; aber der immer noch sehr hohe Wellenschlag wies auf schlechten Grund hin und die starke Brandung konnte der Korvette, die, krank wie sie war, den Erschütterungen nur einen mangelhaften Widerstand entgegenzusetzen vermochte, verhängnißvoll werden. Gacquoil stand am Steuerrad, vor sich hinbrütend.
Gacquoil stand am Steuerrad.
Zum bösen Spiel gute Miene machen, ist bei Seeoffizieren Brauch; darum redete La Vieuville, der für Nothlagen ein lustiges Naturell bei der Hand hatte, Meister Gacquoil an:
– Nun, Lootse, da verpufft ja der Sturm. Den Himmel kitzelt's, aber zum Niesen bringt er's nicht. Werden mit einem blauen Auge davonkommen. Wind wird's eben geben, weiter nichts.
Gacquoil antwortete ernsthaft: – Wer den Wind hat, hat auch die Fluth.
Weder lustig noch traurig, so hält's der echte Seemann. Die Antwort bedeutete indessen nichts Gutes.
Fluth haben heißt bei einem lecken Schiff so viel wie schnell trinken. Deshalb hatte Gacquoil seinen Ausspruch mit einem leisen Stirnrunzeln gewissermaßen unterstrichen. Vielleicht auch mochten La Vieuville's scherzhafte, ans Leichtfertige grenzenden Worte zu bald auf die Katastrophe mit der Kanone und dem Kanonier erfolgt sein. Es giebt Dinge, die kein Glück bringen auf hoher See. Das Meer hat seine Geheimnisse; man weiß nie, wie man eigentlich mit ihm daran ist; darum Vorsicht.
La Vieuville fühlte, daß hier doch der Ernst am Platze sei und fragte: – Lootse, wo sind wir jetzt?
– Wir sind in der Hand Gottes, sagte dieser.
Ein Lootse ist ein Machthaber: man muß ihn immer gewähren lassen, auch im Reden. Reden thun übrigens diese Leute wenig. La Vieuville entfernte sich wieder. Auf die Frage, die er an den Lootsen gestellt hatte, antwortete der Horizont, denn plötzlich wurde das Meer frei. Der Nebel, der auf den Wellen lungerte, war allenthalben geborsten; in blassem Dämmerschein breitete sich das dunkle Durcheinanderwühlen der Wogen unabsehbar aus, und man gewahrte Folgendes: Oben eine feste, deckelförmige Wolkenmasse, die jedoch nicht mehr bis zur See herunterreichte; östlich eine weißliche Helle, das Grauen des Tages, westlich, wo der Mond unterging, einen anderen fahlen Schimmer, so daß am Horizont, zwischen der dunklen Fluth und dem dunklen Himmel, zwei dünne, fahle Lichtstreifen einander gegenüberlagen. Von diesen beiden Lichtstreifen hob sich, schwarz, aufrecht, unbeweglich, der Schattenriß von Gegenständen ab: im Occident am mondbeschienenen Himmel ragten, senkrecht wie keltische Peulvens, drei hochgezackte Felsen; im Orient beim bleichdämmernden Sonnenaufgang in bedrohlich geordneter Reihe, durch gleichmäßige Zwischenräume von einander getrennt, acht Segel.
1 comment