Ich sage wie Tinténiac: »Nur einen Führer und Patronen!« Sehen Sie, Graf, ich kenne sie so ziemlich, alle möglichen und unmöglichen Führer, die von gestern, die von heut und die von morgen: nicht Einer hat den Soldatenschädel, den wir gerade brauchen. In dieser verteufelten Vendée muß der General auch ein Inquisitor sein; den Feind abhetzen muß er, ihm jede Mühle, den Busch, den Graben, die Erdscholle streitig machen, ihm faule Händel zwischen die Beine werfen, Alles verwerthen, nichts aus den Augen verlieren, viel massakriren, abschrecken, den Schlaf und die Barmherzigkeit davonjagen. Zur Stunde giebt es in jener Armee von Bauern wohl Helden, aber keine Kommandeurs. Von Elbée ist eine Null, Lescure ein kranker Mann, Bonchamps ein Pardonirer: Mitleid dummes Zeug! La Rochejacquelein mag einen prächtigen Infanterielieutenant abgeben; Silz weiß mit der Taktik, aber nicht mit den Nothbehelfen des Freischaarenkriegs umzugehen. Cathelineau ist ein naiver Fuhrmann, Stofflet ein durchtriebener Förster, Bérard ein untauglicher, Boulainvilliers ein lächerlicher, Charette ein abscheulicher Mensch; den Barbier Gaston will ich hier gar nicht erwähnen, denn Sapperlot noch einmal! weshalb liegen wir der Revolution in den Haaren, und was soll uns von den Republikanern unterscheiden, wenn wir den Edelleuten Perrückenmacher als Kommandanten zumuthen?

– Diese Schandrevolution steckt eben auch uns mit an.

– Wie eine Räude – ganz Frankreich.

– Ja, die Räude des dritten Standes, fuhr Boisberthelot fort. Nur England kann uns davon kuriren.

– Und das wird es auch, verlassen Sie sich darauf, Kapitän.

– Einstweilen bleibt's etwas Unappetitliches.

– Und wie! Ueberall Plebs; die Monarchie mit Stofflet, dem Förster des Herrn von Maulevrier als Generalissimus, braucht die Republik um den Portiersohn des Herzogs von Castries, Seine Excellenz Herrn Staatsminister Pache, nicht zu beneiden. Ein sauberes Gegenüber, dieser Vendéer Krieg: auf der einen Seite der Bierbrauer Santerre und auf der andern Gaston, der Haarkünstler.

– Mein lieber La Vieuville, auf diesen Gaston halte ich gewissermaßen etwas. Er hat sich in seinem Rayon von Guéménée nicht übel benommen und dreihundert Blaue ganz hübsch zusammengepfeffert, die zuvor noch ihre eigene Grube graben mußten.

– Recht brav, aber das hätte ich gerade so gut besorgt.

– Ei der Tausend, ich auch.

– Große Kriegsthaten, begann La Vieuville abermals, beanspruchen bei dem, der sie vollbringen soll, Noblesse; sie geziemen den Rittern kurzweg und nicht einem Ritter vom Kamm.

– Und dennoch, entgegnete Boisberthelot, giebt es in jenem dritten Stand anständige Menschen. Da haben Sie zum Beispiel einen gewissen Uhrmacher Joly, vormals Sergeant beim Regiment Flandern: Der Mann geht Ihnen unter die Vendéer und sammelt eine Bande bei der Küste; nun hat er aber einen Sohn, der als Republikaner bei den Blauen dient, während er zu den Weißen hält. Schließlich Zusammenstoß, Gefecht. Der Vater nimmt seinen Sohn gefangen und jagt ihm eine Kugel durch das Hirn.

– Der ist allerdings nicht ohne, sagte La Vieuville.

– Ein monarchischer Brutus, setzte Boisberthelot hinzu.

– Unerträglich bleibt es aber trotz alledem doch, unter dem Kommando eines Coquereau zu stehen, eines Jean-Jean, Moulins, Focart, Bouju oder Chouppes!

– Lieber Chevalier, drüben beim Feind ärgern sie sich genau so. Wir stecken voll geringer Leute und sie voll Adel. Oder meinen Sie, daß die Sansculotten ein Wohlgefallen finden an Bürgergeneralen wie dem Grafen von Canclaux, dem Vicomte von Miranda, dem Vicomte von Beauharnais, dem Grafen von Valence, dem Marquis von Custine, dem Herzog von Biron?

– Ein tolles Durcheinander!

– Und dem Grafen von Chartres nun gar!

– Dem Sohn von Egalité? Apropos, wann wird denn der Vater wohl einmal König?

– Niemals.

– Er rückt dem Throne näher. Seine Verbrechen kommen ihm zu Statten.

– Aber seine Laster gestatten ihm nicht, zu kommen, sagte Boisberthelot. Und nach einer Pause setzte er wieder hinzu:

– Und doch hatte er eine Aussöhnung angestrebt. Er hatte den König besucht. Ich war dabei, in Versailles, wie ihm auf den Rücken gespuckt wurde.

– Von der großen Treppe herab?

– Ja.

– Geschah ihm ganz recht.

– Unter uns nannten wir ihn Philipp, »das liebe Vieh«.

– Eine Glatze, ein Gesicht voller Beulen, ein Königsmörder – ekelhaft! Und La Vieuville setzte noch hinzu:

– Ich war bei Quessant mit ihm zusammen.

– Auf dem »Saint-Esprit?«

– Ja.

– Wäre er dem Signal gefolgt, das ihm befahl, unter dem Wind des Admiralsschiffs von d'Orvillers zu bleiben, so hätte er die Engländer am Durchbrechen verhindert.

– Gewiß.

– Hat er sich damals wirklich bis zum Kiel hinab verkrochen?

– Das nicht. Aber behaupten muß man es doch, sagte La Vieuville und brach in Lachen aus.

– Dummköpfe giebt's einmal, ergänzte Boisberthelot. Nehmen Sie nur zum Beispiel jenen Boulainvilliers, den Sie soeben erwähnt: ich hab ihn gekannt, hab ihn wirthschaften sehen. Zu Anfang waren die Bauern mit Piken bewaffnet; hatte sich der Mensch wahrhaftig in den Kopf gesetzt, sie auf die Pike abzurichten! Er ließ ihnen Handgriffe einüben: Pike schräg! oder: Schleift die Pike, Spitze herab! Liniensoldaten aus diesen Wilden zu machen, war seine Marotte. Er glaubte, ihnen beibringen zu können, wie man Carrés mit vorgeschobenen Schützen oder hohle Vierecke formirt. Dabei radebrechte er die Kommandosprache von Olims Zeiten, und nannte den Feldwebel noch Rottmeister wie unter Ludwig XIV. Er war förmlich darauf versessen, all die Wilderer zu einem Regiment zusammenzuschweißen; er hatte regelrechte Kompagnien organisirt, deren Sergeanten jeden Abend einen Kreis um ihn bilden mußten, um die Parole und Gegenparole vom Leibkompagnie-Sergeanten des Obersten zu empfangen, der sie dem Leibkompagnie-Sergeanten des Majors zuflüsterte, welcher sie wiederum seinem nächsten Nachbar übermittelte und so von Ohr zu Ohr bis herab zum letzten Mann. Einmal sogar kassirte er einen Offizier, der sich mit bedecktem Haupte erhoben hatte, als ihm der Sergeant die Parole geben sollte. Wie das anschlug, können Sie sich schon vorstellen. Dem Strohkopf ging nicht ein, daß Rüpel rüpelhaft geführt sein wollen, und daß sich aus Waldmenschen keine Kasernenmenschen machen lassen. Ich hab ihn wirthschaften sehen, diesen Boulainvilliers.

Sie thaten ein paar Schritte, Jeder mit eigenen Gedanken beschäftigt. Dann wurde das Gespräch wieder aufgenommen:

– Apropos, bestätigt sich's auch, daß Dampierre gefallen ist?

– Ja wohl, Kapitän.

– Vor Condé?

– Im Lager von Pamars. Eine Kanonenkugel.

Boisbertheloi seufzte.

– Der Graf von Dampierre! Auch Einer von den Unsern, der zu den ihren zählte.

– Er reise glücklich!« sagte La Vieuville.

– Und Mèsdames? wo sind die?

– In Triest.

– Immer noch?

– Immer. Und La Vieuville setzte heftig hinzu:

– O über diese Republik! So viel Verwüstungen um einer Bagatelle willen! Wenn man bedenkt, daß diese Revolution aus einem Defizit von ein paar Millionen herausgewachsen ist! ...

– Kleine Ausgangspunkte niemals unterschätzen, bemerkte Boisberthelot.

– Uns geht doch Alles schief, fuhr La Vieuville fort.

– Leider: La Rouarie ist todt und Du Dresnay versimpelt.