Alexander in Babylon: Historischer Roman

Jakob Wassermann

ALEXANDER

IN

BABYLON

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Jakob Wassermann

ALEXANDER

IN

BABYLON

Ein historischer Roman

(1905)

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lit era scripta manet

Jakob Wassermann

(10.03.1873 - 01.01.1934)

. Ausgabe, April 2005

© eBOOK-Bibliothek 2005 für diese Ausgabe

Alexander der Große (356 – 323 v. Chr.) (Abbildung aus »Denkmäler des Klassichen Altertums«, Druck und Verlag von R. Oldenbourg, München und Leipzig, 1885) VORSPIEL

Am neunten Tage des makedonischen Monats Lus begann die Not aufs höchste zu steigen.

Die Wachen bei den zusammengeschmolzenen Vorrä-

ten von Fischmehl und getrockneten Fischen rissen, vom Hunger überwältigt, die königlichen Siegel ab; als sie die erste Gier gestillt hatten, teilten sie auch andern aus, was sie bewahren sollten, von den gleichfalls hungernden Kamelen umdrängt, welche schrien. Der Thessaler Pasas war unter den Frevlern der erste gewesen.

Von unheilvoller Ahnung gefaßt, standen in geringer Entfernung die Befehlshaber. Keiner wagte dazwischenzutreten oder den Vorfall zu melden.

Pasas’ beide Hände waren mit der weißen, staubähnlichen Speise gefüllt, und er lachte; lachte wie jener Philistion, von dem man erzählt, daß er an unmäßigem Lachen gestorben sei.

Einige Makedonier der Edelscharen kamen hinzu. Sie wollten nicht an der Untat teilnehmen, obwohl der Hunger sie quälte, als ob glühende Eisenkugeln durch ihre Gedärme rollten. Ihre Blicke richteten sich stumpf nach Osten; es war, als sähen sie noch die reichen Städte, die sie dort verlassen. Aber ringsum breitete sich die Wüste aus, dunkelgelb und regungslos.

Die Nacht brach an. Sie kam nicht allmählich, sondern plötzlich wie der Schrecken. Die Söldner, die sich gesättigt hatten, suchten mit brennender Kehle nach Wasser; die salzige Nahrung hatte ihren Durst ins Unerträgliche gesteigert. Sie scherten sich nicht um die hohläugig im heißen Sand keuchenden Kameraden und traten auf die dunklen Körper, die zu erschöpft waren, um Gegenwehr zu leisten. Kein Lagerfeuer flammte mehr; nur weit im Rücken des Heeres, bei den phönikischen Kaufleuten, stiegen einige Brände empor, genährt durch die wohlriechenden und kostbaren Nardenwurzeln.

Einer von den Suchenden stieß ein mißtönendes Triumph-geschrei aus. Neben einer aufgewehten Düne hatte er eine Pfüt-ze mit brackigem, stinkendem Wasser entdeckt; er lag schon bis zum Gürtel darin und trank nicht nur mit den Lippen, sondern mit dem ganzen Gesicht. Schwer atmend warfen sich andere neben ihn und tranken lautlos, bemüht, ihren Fund geheimzuhal-ten. Ihre Körper erstarrten vor Wollust.

Aber als hätten sie das Wasser in der Luft gerochen, erfuh-ren es die nahe lagernden Scharen der Messenier. Mit kraftlos wankenden Beinen stürzten sie herbei und verloren unterwegs Helme und Mützen. Nach wenigen Augenblicken bezeichnete ein Haufen von Gliedmaßen, Rümpfen und Köpfen die Stelle, wo vorher das elende Rinnsal gewesen, und Hunderte von Zuspätkommenden scharrten heulend im Sand.

Keine Schlafesruhe herrschte im weithin verstreuten Lager, sondern die bleierne Stille vollständiger Ermattung. Die Sterne brannten groß und rot, die Milchstraße lief als weißglühendes Band von einem Saume des Himmels zum andern. Da und dort hockten Söldner aufrecht und lauschten mit fiebernder Angst auf das ferne Gebrüll wilder Tiere.

Spät nachts schlich ein Fußsoldat zu einem Gepäckwagen, wo Pferde angebunden waren. Mit dem kurzen Schwert durchschnitt er einem der Tiere den Hals; er sank zu gleicher Zeit mit ihm nieder, als es zusammenstürzte, und ließ das herausschie-

ßende Blut in seinen verdorrten Rachen strömen.