Als der Morgen kam, lief der Arkader Amissos zu seinem Rottenführer. Ohne zu sprechen, das hohlwangige Gesicht von Freude gebläht, deutete er in die Ferne.

Viele sahen hinüber: Zypressen hoben ihre grünen Leiber über den Rand der Wüste, und dahinter war etwas wie ein schimmerndes Dach, auf Säulen gestützt. Einige begannen schon zu jauchzen, da, als hätte ein Sturm es fortgeblasen, war das entzückende Gebild hinweg.

Amissos fiel wie ein Erschlagener auf den Boden; man schaffte ihn auf einen der Transportwagen, auf denen sich Kranke und Verschmachtende befanden. »Mein lieber Amissos,« sagte dort ein weißbärtiger Hauptmann zu ihm, »ist es nicht ein Jammer, geboren zu werden, wenn man so sterben muß? Wo sind unsere Täler, unsere Weinberge, unsere süßen Plätzchen vor dem Stadttor, wo man plaudernd aufs Meer blickte?«

»Schweig, alter Hund!« stöhnte ein anderer, der durch den Ge-nuß verdorbener Speisen eine Seuche bekommen hatte. »Siehst du nicht, daß wir in Ruhe sterben wollen? Was peinigst du uns noch mit deinem verdammten Plätzchen am Stadttor?«

Und Amissos blickte auf; alle blickten auf und sahen die Wüste, die zitronengelb, trocken und leer war. In unheimlicher Blässe wölbte sich der Himmel darüber, in der Tiefe von einem rötlichen Ring zitternder Luft eingesäumt. In dem übermäßig in die Länge und Breite gedehnten Zug des Heeres sah man Reiter-scharen in unabsehbarer Kette, Roß auf Roß, Mann hinter Mann.

Die Pferde ließen den Kopf mit dem schaumtriefenden Maul tief hängen. Bisweilen stürzte eines zusammen wie ein ausgebrann-ter Holzstoß; die Lücke, die sein Fall verursacht, blieb noch stundenlang sichtbar. Die verglasten Augen von Tier und Mensch fragten nach keinem Ziel mehr. Herz und Gehirn verbrannten ihnen.

Das Mittagsgespenst zog umher in der träumenden Öde.

Langsam erhob sich Staub wie die Luftbläschen im Wasser; er legte sich in die Poren der Haut und versengte sie. O Konon, wo sind deine Verse, deine unverschämten Scherze, dein feiles Schmeichlerwesen?

Konon, der Literat, befand sich unter dem Troß des Heeres.

Ein Dutzend goldne Becher, fünf Halsbänder und einen Purpurmantel brachte er aus Indien mit. Jetzt waren alle Gedichte klanglos und überflüssig, der Purpurmantel hing schmierig und zerfetzt von der Schulter, Gold war wertlos und lästig.

Auf den Wagen hockten stumpf in sich vergraben die Weiber.

Manche hielt einen Säugling verzweiflungsvoll in den Schoß gepreßt, als wollte sie ihn wieder zurückschieben in die Urnacht des Mutterleibes, wo ihm selbst aus dem erschöpftesten Blute noch Nahrung zufließt. Andere gingen zu Fuß und schleppten größere Kinder an der Hand; wenn sie endlich in den brennenden Sand niederstürzten, gellte ihr Hilferuf noch lange in die gleichgültigen Ohren der Weiterziehenden. Lesbische Mädchen, milesische Tänzerinnen, Buhlerinnen aus Ägypten, syrische Dirnen lagen im Sand umher und starben unter Qualen.

Als die Raststunde kam, hieß es auf einmal, Wasser sei im Lager. Wie ein Wurm, der langausgedehnt im Erdreich gekrochen, sich zur Nacht zusammenrollt, so kamen stundenlang noch die erschöpften Nachzügler durch die Finsternis. Ein Wasseräderlein, schmal wie eine Hand, floß über eine Felsrinne. Tausende, durch keinen Zuruf, keinen Befehl zu bändigen, hatten sich darüber hingestürzt und leckten winselnd den feuchten Stein. Eine Abteilung Rundschildner zerschlug mit ihren Äxten Gerät, Leitern, Sturmböcke, Wagendeichseln; sie machten Feuer damit und schlachteten einige Pferde und einen kranken Elefanten.

Indessen fiel weit im Norden, in den Gebirgen Gedrosiens, ein Wolkenbruch herab. Das Wasser raste durch die Felsentäler ins offenere Land, hinunter in die Wüste. Mitten in der Nacht kam die Flut; der armdicke Bach schwoll an, ehe die Schläfer an seinem Rand sich retten konnten.