Er weiß alles, dachte er erstarrend.

Ja, Alexander wußte von dem Anschlag und wußte auch, daß Hephästion davon unterrichtet war. Im Gedränge der Vorhalle, nach dem Frühstück, war ihm ein Zettel in die Hand gespielt worden. Wahrscheinlich war es einer der Übeltäter selbst gewesen, hatte den Genossen und dem Verratenen zugleich dienen wollen; kein Auge hatte ja ein festes Ziel, noch weniger irgendein Herz einen Mittelpunkt, zu jeder Stunde geschah gerade das Unerwartete, ein Luftbild, ein Nichts zerstörte die feste Abrede zwischen Freunden, und wer die letzte Sprosse auf der Leiter seiner Wünsche erklimmen wollte, verlor lieber sich selbst als die gute Gelegenheit. Bleiern und lähmend spürte Hephästion, wie das Mißtrauen in Alexander tobte, so daß er nur mit Anwendung aller Kraft an sich halten, den Zutrinkenden danken, den Fragern antworten konnte. Manchmal flog sein Blick fragend zu Hephästion hinüber, aber Hephästion war zu stolz, diesen vermessenen Argwohn zu stillen. Er schwieg und tat, als bemerke er nichts.

Aber er mußte es immer deutlicher gewahren, wie Alexander litt, wie er die Zähne aufeinanderrieb und an den Lippen nagte, wie er mit beiden Händen die dichten Haare gleich einem geduckt Lauschenden gegen die Ohren hielt, wie sein Auge dahin und dorthin flog, wie seine Faust krampfhaft und immer krampfhafter den Becher umklammerte, wie durch jedes Wort, das er sprach, die knirschende Wehklage tönte: Seht, auch Hephästion hat mich verraten, Hephästion ist im Einverständnis mit denen, die mir nach dem Leben trachten.

Nackte Knaben liefen hin und her; sie schöpften Wein aus den großen Behältern in die kleineren Amphoren. Sie kletterten wie Zwerge an ehernen, auf kolossalen Statuen ruhenden Kratern herum, die mit dunklem chalybonischem Wein gefüllt waren.

Sie trugen die auf Würfeln ruhenden Eimer, die mit Inselweinen gefüllt waren, zu den Tischen. Wie beflügelt eilten sie dahin mit ihren Trinkhörnern, Schöpfgefäßen, Doppelbechern und Schalen aus Onyx, Achat, Alabaster und Porphyr. Seltsam wie das Rascheln vieler kleiner Tiere im Gras klangen ihre Schritte auf dem mit Blüten und Laubwerk bedeckten Boden. Lange Züge von Sklaven reichten die Speisen: das gebratene Fleisch kappado-kischer Schafe, Rinderkeulen am Spieß gebraten, Vögel auf phö-

nikische Art zubereitet, seltene Fische aus dem Schwarzen Meer, flache Gerstenkuchen aus Babylon, euböisches Obst, bernstein-farbene Riesendatteln aus den karäischen Dörfern, ägyptische Käse und sizilische Leckereien.

Alle, die in Alexanders Nähe waren, wurden jetzt aufmerksam und verfolgten mit wachsender Unruhe das aufregende Spiel seiner Mienen. Da suchte auch der Unschuldige in seinem Innern nach einer Schuld, und der nicht ganz Reine gedachte seines Ma-kels. Sie peitschten deshalb ihre Laune an, warfen mit prahleri-schen Worten um sich, schlangen die Arme um die Frauen; der graubärtige Krateros richtete sich vom Lager empor, wie ein Satyr tauchte er auf mit weinschmatzendem Mund, pries lallend Alexander, riß ein Stück der Rosengirlanden von der Säule nebenan und warf es Alexander zu. Der einzige Perdikkas bewahrte seine Besonnenheit. Seine Augen sahen aus wie gefroren, ihn gelüstete es unaufhörlich nach blutiger Abrechnung, und über diesem Verlangen trug er die Maske der Gerechtigkeit; stets zu Anklagen fertig, war ihm der Ton friedlich scherzenden Genusses lästig, und nur eine Stunde wie diese spannte seine Erwartung höher.

Plötzlich erhob sich Alexander. Er schloß die Augen, so daß das Gesicht wie schlafend aussah, und die Stimme brach dunkel aus den bebenden Lippen: »Hast du mir nichts zu sagen, Hephästion?«

Ringsum entstand jähes Schweigen. Hephästion schüttelte den Kopf und verneinte stolz und entschlossen. Da öffnete Alexander die Augen. Sein Blick flackerte. Er riß mit der Linken das Diadem vom Kopf, beugte sich hinüber und legte den königlichen Schmuck mit einer wild-verachtungsvollen Gebärde, ganz außer sich vor Groll und Gram, Hephästion um die Stirn, als wolle er sagen: Wenn du mich verraten willst, dann will ich nicht mehr Herr sein, dann sei du es.

Die Speiseträger blieben stehen, die Musiker unterbrachen ihr Spiel, die Witzlinge stockten in ihren Zoten, die Knaben hörten auf, ihre von Wohlgerüchen dampfenden Schalen zu schwingen, den Tänzerinnen entsanken die Schleier, den Trinkenden die Po-kale. Hephästion drückte die Hand auf die Brust, als schmerze es ihm im Innern. Er war wie eine Bildsäule anzusehen, doch schaute er mit einem aufmerksamen und fragenden Blick zu Alexander empor.

Durch die Eingänge und oberen Lichtöffnungen des Zeltbaues strömte die Glut des Sonnenunterganges. Sie färbte die Gesichter von Männern und Frauen dunkelrot, überzog die ölglänzenden Leiber der Weinmischer, durchleuchtete die Alabasterkannen, daß sie wie mit Flammen gefüllt aussahen, spielte im Geschmeide und im Gold der Gewänder, umlohte die hohen Säulen und verbreitete, als die Sonne in der Falte zwischen Himmel und Ebene versunken war, eine rosige, bewegliche, schwere Dämmerung.