Männer, Frauen und Kinder, die Tiere, die verglimmenden Feuer, die Waffen, die Zelte, alles wurde fortgeschwemmt. Entsetzliche Schreie mischten sich in das hohle Brausen der Wasser, in ihr Zischen im Sand, Gebete, Verwünschungen, Todesröcheln, Gelächter des Wahnsinns er-schallten. Und nach einer Stunde war alles wie vorher, die wilde Woge versickert, und die immer noch eintreffenden Nachzügler standen verschmachtend da. Sie warfen sich hin und befeuchte-ten Lippen und Zunge an den nassen Kleidern und Leibern der Toten, an den aufgelösten Haaren der Dirnen, am Purpurmantel Konons, der dalag und eine Manuskriptenrolle krampfhaft mit den erstarrten Händen umschloß; es war ein Lobgedicht auf He-phästion, den Führer der Edelscharen und Freund des Königs.

Es wurde verkündet, daß König Alexander den folgenden Tag zum Rasten bestimmt habe: von nun an solle nur in der Nacht marschiert werden.

Alexander lag auf einem niedrigen Ruhebett im Zelt, am Lager-ende saß Hephästion, die Knie übereinandergeschlagen, den Rumpf weit vorgebeugt. Alexander flüsterte, seine weißen Zäh-ne funkelten feucht durch die Halbdunkelheit bei jeder Bewegung der Lippen. Der Kopf begleitete fast jedes Wort mit einem leidenschaftlichen Nicken. Er richtete sich auf, die etwas schiefe linke Schulter schien wie von einer unsichtbaren Last beladen, er nahm beide Hände Hephästions in die seinen und sprach und sprach und flüsterte und flüsterte. Ein dunkler aufgeregter Singsang von Worten: Beteuerungen, Pläne, Ungeduld mit der Not der Stunde, es war, wie wenn ein Riese lästernd den Boden stampft und zugleich, wie wenn ein Kind stammelnd trotzt; dabei verriet das sprühende Auge Schmerz über den Ausbruch.

Hephästion schwieg. Doch sein still brennender Blick hatte Worte genug: Wogegen eiferst du, wogegen empörst du dich? Die Elemente sind dir nicht zu Willen, gedulde dich; fasse dich, un-glückseliges Herz, laß dich nicht hinreißen!

Mit nackten Füßen schritt Alexander auf und ab; auf und ab, immer schneller, immer wilder. Das mantelartige Nachtgewand flatterte hinter ihm her. Er murmelte unverständliche Worte, seine Fäuste ballten sich, die Haut seines Gesichtes spannte sich, die nassen Haare bedeckten die Stirn und die eine Wange. Er ging hin und riß den Vorhang der Zelttür herab.

Fahl glänzte der Morgen aus dem tiefen Osten der Wüste herauf. Wie Urweltschatten standen aufgewehte Dünen links und rechts. Die Wachen waren hingesunken. Ein einziger Mann stand gegen einen Pfahl gelehnt, schwarz und still.

Unergründliche Einsamkeit!

Mit einem Blick des Außersichseins starrte Alexander hinein in die Ödnis. Es war, als fordere er die Wüste zum Zweikampf heraus.

Beim Aufbruch am Abend erhob sich ein Sturmwind, der die spärlichen Merkzeichen des Weges verwehte. Die von der Küste mit-genommenen Führer wußten nicht aus noch ein, sie blieben auf der Stelle und rührten sich nicht, eingeschüchtert durch die Verzweiflung der umstehenden Edelknaben Alexanders. Die Wahrsager suchten sich mit Hilfe der Sternbilder zurechtzufinden.

Charmides, einer der jüngsten Edelknaben, hockte auf seiner nysäischen Stute, die Knie wie im Krampf emporgezogen, die Augen geschlossen. Bisweilen tastete er wie ein Schlafender über den Hals des Tieres hinaus, als suche er seine Gefährten. Doch viele waren schon dahin: der blondgelockte Philippides, den eine indische Sklavin so verzaubert hatte, daß er ihretwegen die fremden Götter anbetete; Medon, von Alexander besonders geliebt wegen seiner Tapferkeit; Himeneus, der schönste Jüngling aus Pella, Amphinomos, der Liebling des Leibwächters Ptolemäos.

Die Sonne hatte sie getötet, der Sand begraben.

In dumpfem Schmerz die Augen öffnend, sah sich Charmides plötzlich allein. Das ganze Heer schien vom Erdboden eingesogen zu sein.