Das Kranzgesimse war flammengeschwärzt, auf den Stufen lag heruntergeronnenes und halbvertrocknetes Blut. Die Wohnhütten der Priesterinnen waren verbrannt oder zertrümmert. Angekohlte Balken, Opfer-gefäße, Weihgeschenke, wertloser, doch ehrwürdiger Schmuck bedeckten den Boden. Am Ufer lag in einer Blutlache der Leichnam einer jungen Priesterin; ein abgebrochener Speerschaft ragte aus ihrer Brust, Kopf und Hals waren ins Wasser getaucht.

Selbst auf die verhärteten Sinne der Söldner wirkte es befrem-dend, wie das Bild des Mordes in den süßen Frieden eines para-diesischen Tals eingewebt war. Leuchtend weiß und grau stiegen die Gebirge empor; der Seespiegel begann sich schon schwärzlich zu färben, das Getier, das sich auf ihm getummelt, verschwand lautlos. Die Söldner löschten das Glimmen des Gebälks im Tem-pelinnern, richteten die Zelte auf, brieten Vögel am Spieß, die sie in Eile geschossen, und kochten Reis in großen Pfannen.

Arrhidäos liebte das Schweigen der Natur. In Stunden wie dieser fühlte er sich dem Schicksal gewachsen. Ihm war, als ob mit dem Wunsch und der Glut des Wünschens schon das Wich-tigste vollbracht sei. Die Tat war nur der enteilende Schatten des Traumes von ihr. Allmählich stieg seine wunderbare Erregung so sehr, daß er aufsprang und mit großen Schritten umherging.

Er erschien sich in diesem Augenblick als der beseelende Dämon, der in Alexander aus der Ferne gewirkt, der dem Geiste nach vollbracht, was Alexander dem Wesen nach und vor den Augen der Welt erreicht hatte.

Indem er sich umdrehte, stolperte er über einen Stein. Das be-trübte ihn als schlechtes Vorzeichen, und statt des Lichts sah er nun auf einmal wieder Dunkelheit vor sich. Warum bin ich denn nach Asien gegangen? dachte er. Warum in ein Land, das schon ein anderer besitzt? Warum nicht gegen Westen? Warum nicht in den furchtbaren Norden? Was will ich hier, wo alles schon getan ist? Eine fressende, unbestimmte Sehnsucht erfüllte Arrhidäos’

Herz. Vom Lager herüber drang das Schwatzen der Söldner, aber als er sich dem Hain näherte und die Stille wie etwas Bewegliches auf ihn zufloß und ihn umhüllte, löste sich der Lärm des kleinen Lagers auf und zerbröckelte wie Salz in Wasser. Hie und da drang noch ein rohes Lachen herüber oder die heisertrunke-ne Stimme Dions, der ein Kornstampferliedchen vortrug. In einer Mischung von Einsamkeitsgrauen und Götterfurcht begann Arrhidäos zu weinen.

Dem Ufer folgend, kam er an einen gewaltig dicken Baum, dessen weit hinausgreifende Äste bis über den Wasserspiegel hingen. Am Fuß des Baumes, auf dem im Nachtschein gelbschim-mernden Moos lag ein schlafendes Weib. Arrhidäos starrte eine Weile auf sie herab. »Wer bist du?« fragte er mit seiner heiseren Stimme und berührte mit der Sandale den nackten Arm der Em-porschreckenden. Er erhielt keine Antwort und stand eine Weile ratlos. Dann wandte er sich und stieß einen hallenden Doppelruf aus. Seine beiden Sklaven liefen herüber, einer trug die brennende Fackel. Arrhidäos befahl ihnen, das Weib ins Lager zu führen, und versank wieder in sein trübe gärendes Inneres.

Als er zurückkehrte, hatten sich die Söldner schon zur Ruhe hingelegt. In den Bergen schallte der Schrei des Wildes, Vogel-rufe tönten durch die Nacht, die Spannketten der Pferde klirrten.