Die Söldner, von der Wildheit der Natur bedrückt und geängstigt, verwünschten ihre Abenteuer-gelüste und die Versprechungen ihres Führers Arrhidäos, dem sie zu mißtrauen angefangen hatten.
Es waren nur wenige Makedonier; die andern waren Thessaler, Samiaten, Lyder und Griechen. Die Verwegenheit ihrer Gesichter war nicht die von ehrgeizig gestimmten Soldaten, sondern die von eilig aufgelesenen und schlecht bezahlten Wegelagerern. Die meisten hatten schon in Syrakus, in Karthago, in Rhegion und bei den Persern gedient — Menschen, die um zehn Drachmen für jede Untat zu haben waren, stadtverwiesene Sykophanten, Meuchelmörder, Tempelräuber und Burschen, die auf ihren Wangen das Siegeszeichen der Städte, gegen die sie gekämpft, als Schand-mal aufgebrannt trugen.
Arrhidäos, im einfachen Panzer und mit dem schweren Metallhelm auf dem Haupt, war tief in sich selbst verloren. Sein hageres, langes Gesicht mit der scharfen und hageren Nase, zu der das breitrunde muschelförmige Kinn in auffallendem Gegensatz stand, war von schwebenden Phantasien bewegt. Bisweilen spornte er blitzenden Auges sein Pferd, daß es wiehernd voraus-lief, und wenn er sich weit genug und unbeachtet glaubte, rief er einen anfeuernden Vers in die hehre Einöde der echoenden Felsklüfte, in den siedenden Lärm der Bergbäche.
Gegen Abend erweiterte sich die Schlucht, und die kreisförmig zurücktretenden Felswände umschlossen eine öde Hochflä-
che, die mit ungeheuren Blöcken besät und von breiten Streifen erstarrter Lava durchzogen war. Dann bog sich jählings der Weg hinab, und noch auf dem Abhang reitend, gewahrte Arrhidäos ein tiefes Tal, wie versteckt inmitten der Gebirge liegend, von leuchtendem Pflanzengrün überzogen, und in seiner Mitte einen See, auf dessen blauem Spiegel sich Myriaden von Wasservö-
geln schaukelten. Der Wind trug die Blütengerüche bis herauf.
Kastanien, Birnen- und Granatbäume wuchsen am Seeufer, ein Hügel war ganz mit roten Blüten überdeckt und sah aus wie ein umgestürztes Gefäß aus poliertem Kupfer, an dessen Seiten Blut herabströmt.
Wegen der Steile des Weges stiegen die Reiter ab und führten die Pferde über den mit Zwergeichen bewachsenen Hang hinunter. Während ihnen gegenüber ein Schneegipfel, der bis in die Abendwolken hineinragte, rot erglühte, leuchtete der See in immer dunklerem Blau.
Arrhidäos wandte sich an seinen Begleiter, einen Rhetor namens Dion, der den Zug der Truppe als halbwegs sichere Weg-begleitung zum großen Heer benutzte und sich dafür durch Schmeichlerdienste erkenntlich zeigte. Er war schon beinahe siebzig Jahre alt, ein verkommener Mensch, aufgeblasenen Geistes, bettelarm.
»All dieses Land gehörte Alexander,« sagte Arrhidäos mit einer Niedergeschlagenheit, deren er nicht Herr werden konnte,
»und ich habe nicht einmal fünfhundert Goldstücke, um meine Leute zu bezahlen.« Und mit dem Tonfall kindlicher Trauer, der ihm oft eigen war, fuhr er fort: »Warum ihm alles und mir nichts? Löse mir doch dies Rätsel, Dion. Bin ich denn schlechter, geringer, kraftloser, unwürdiger? Bin ich mißgestalt, sind meine Augen ohne Glanz, ist meine Zunge nicht beredt? Ich wollte mich ja zufriedengeben, wenn ich nur in meinem Innern nicht diese Glut spürte. Ich kann nicht schlafen, Dion, beständig höre ich Stimmen, und wenn ich so daliege, in Schweiß gebadet, dann kommen Pläne über Pläne, alles scheint leicht; dann schlaf ich so um Tagesgrauen ein und habe die schönsten Träume, aber leider kann ich sie nie austräumen, weil mich die Lagertrompete weckt.«
Dion schüttelte den Kopf, rückte den Myrtenkranz auf seinem kahlen Schädel zurecht und verzog die rüsselartigen Lippen zu einem beruhigenden Grinsen. In diesem Augenblick hielten die Söldner ihre Tiere an und deuteten hinüber auf eine Stelle des Seeufers. Eine Rauchsäule wälzte sich schwarz und qualmend über halbverkohlte Baumwipfel; sie konnte keinem friedlichen Feuer, sondern nur einer Brandstätte entstammen.
Die Söldner eilten vollends hinab, schwangen sich auf die Pferde und ritten im gestreckten Galopp über die Talsohle. Arrhidäos sprengte als erster unter den dunklen Schatten der Bäume, deren rissige, harztriefende Rinde in der purpurnen Dämmerung glühte. Es herrschte Brandgeruch. Die Stille des Hains wurde durch keinen andern Laut gestört als das sausende Geräusch der Pferdetritte im hohen Gras. Die Söldner schwiegen.
Im weiten Halbkreis traten die uralten Bäume zurück. Auf der tiefblauen und wie gehämmertes Metall glatten Seefläche glänzte prächtig das Gefieder der Wasserhühner. In der Mitte des gelichteten Runds stand ein Tempel von halb persischer, halb lydischer Bauart. Aus seinem Dach drängte sich schwer die Brandwolke. Die vier schlanken Säulen der Vorhalle waren umgestürzt und der goldnen Verzierungen beraubt.
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