Es ist die Mutter, ist Olympias, die Fürstin, die Geheimnisvolle, die Priesterin von Samothrake, die Feindin der Menschen. Wohin geht sie? Woher kommt sie? Ihrem geöffneten Mund entströmen Flammen, zwischen den Zähnen hält sie blutiges Opferfleisch, die Woge, die ihr Fuß betritt, prallt kreischend zurück wie ein geschlagener Hund, in ihren Augen ist Mord, Blut, Zerstörung, Verachtung des Schicksals. Sie stürmt auf Alexander zu; aufgewühlt von Schreckgesichten flieht sie vielleicht vor dem Tod, an den sie nicht mehr geglaubt hat, seit sie in den Armen des libyschen Gottes gelegen und Alexander mit ihm gezeugt hat.

Ihn hat stets der Schrecken von der Mutter ferngehalten. Er blickt in seine Jugend und Jünglingszeit zurück, als ob dreizehn Jahre nicht gewesen wären, er erlebt sie noch einmal, er sieht be-fremdet sich selbst, den schwermütigen Knaben am Hof zu Pella, ratlos vor den Mächten in der eigenen Brust, stets erstaunt und beklommen in diesem Brodem der Ausschweifungen, der Ränke, des Argwohns, der grausamen Übeltat. Vater und Mutter einander nach dem Leben trachtend; angeberische Schleichhunde hin-

über und herüber; boshafte Diener, den Todesaugenblick des Kö-

nigs erlauernd; Kriegslärm, Parteigezänk, erlogene und erborgte Prunkfeierlichkeiten, friedloses Vorüberhetzen der Tage, zerna-gende Ungewißheit der Zukunft. Und Alexander selbst, allen Ehrgeizigen ein Hemmnis, willkommene Beute der Verleumder, die Einsamkeit fürchtend, weil sie den Meuchelmörder verbergen konnte, und dann die grauenvollen Stunden bei der Mutter!

Wie sie ihn liebkost, wie sie ihn züchtigt! Wie sie ihn nachts aus dem Bett reißt und hinausschleppt in das Unwetter und ihn an den Rand eines feindlichen Lagerfeuers trägt, um zu erproben, ob er sich fürchte, und wie sie triumphierend aufschreit, ihn an die Brust drückt und seinen ganzen Körper mit Küssen bedeckt, als er lächelnd in den Wald der aufgesteckten Lanzen weist!

Doch wenn er träumend, mit gesenktem Kopf umhergeht, zerrt sie ihn bei den Haaren über den Palasthof und schlägt ihn unter dem Geschrei und Gelächter der Mägde so lange, bis er sinnlos liegenbleibt.

Der Vater ist all diesem abgewandt, zwischen Krieg und Wollust teilt sich sein Leben; er haßt das verschlossene und beobach-terische Wesen Alexanders, er fürchtet die Jugend, je mehr ihm vor dem Altwerden graut. Er ist so gottlos wie klug, so unmäßig wie tapfer; Blutschande und Knabenliebe, Verrat und Mord machen sein Lager und sein Haus zu einem verruchten Aufenthalt; mit den ekelsten Dirnen und den widerlichsten Schmarotzern entwirft er zwischen zwei Schlachten Anschläge auf das Leben seines Weibes und seines Sohnes. Alexander muß fliehen. Die winterliche Unwirtlichkeit der Gebirge lehrt ihn die Not kennen, er verzweifelt an sich und der Welt, der leidenschaftliche Brief der Mutter, worin sie ihn an seine göttliche Abkunft mahnt, läßt ihn gleichgültig, bitter ist ihm die Gegenwart, trostlos die Zukunft, der Vergangenheit will er nicht gedenken. Die Tage vergehen am Strand des illyrischen Meeres; die weitgeschwungene Linie zu sehen, in der sich Himmel und Meere vereinigen, kann ihn allein noch beruhigen, der Anblick der Dinge und Menschen ist ihm ein Greuel, sein Gang, sein Blick, seine Miene sind die eines Verstörten, Verstoßenen, eines Wahnsinnigen. Seine fünfzehn Jahre enthalten die Erfahrung von hundert.

Da kommt Hephästion. Schüchtern und unbemerkt hat er sich schon am königlichen Hof in Alexanders Nähe gehalten. Alexander hat ihn nie gesehen, seine meist gesenkten Augen sind den begegnenden Blicken stets ausgewichen. Hephästion ist in Athen gewesen; die Lehren und das Beispiel wahrhafter Philosophie haben seinen Geist gereinigt und geschärft. Er sieht das Vaterland, wenn auch ruhmvoll nach außen, im Innern von Schmach bedeckt. Auf Alexander richtet sich seine Hoffnung, und so tritt er zu dem Flüchtling am Meer. Unvergeßliche Stunde! Unvergeßlich ist die erste innige Frage Hephästions und seine tiefe Stimme, die ein wenig gebrochen klingt durch die Fülle des Herzens. Dann Alexanders Schweigen, sein Trotz, sein Weinen, seine endlosen Klagen — und Hephästion stumm, stumm sich niederbeugend; der sanfte brüderliche Kuß! Da erwacht Alexander, und der Himmel zeigt ein anderes Antlitz. Er erzittert, bis zum Abend zittert sein Leib, er wirft die Gewänder ab und stürzt sich ins Meer, seine Glieder verlangen nach Kampf, er tobt den schäumenden Wellen entgegen.

Im Gespräch teilen sich die Seelen einander mit. Die Zukunft gewinnt Gestalt. Hat Alexander sich bis jetzt wie ein Tier ver-krochen, wie ein Tier, wie ein Sklave stumpf das Unvermeidliche ertragen, so drängt er jetzt den Göttern entgegen, zu Göttlichem scheint er sich auserlesen, und er glaubt an die göttliche Umar-mung der Mutter.

Und es kommen Tage und Nächte, in denen Zweifel und Zuversicht wechseln, Beklommenheit und Raserei, Gottesgefühl und Menschenangst. Hephästion ist der Wärter der kranken, aufbrüllenden Seele. Alle andern fürchten Alexander; es geht die Sage, sein zorniger Geifer wirke wie Gift; er ist gemieden, seine Gegenwart verbreitet Entsetzen.

Die Freunde gehen nach Athen. Die lasterhafteste aller Städ-te flößt Alexander einen Abscheu ein, der ihm den Schlaf raubt.